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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
lich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder
ganz in Luxus und Litteratur unterging oder der aufgehenden
Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren macht
hievon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren
659), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung und
doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Er-
scheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit.
Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll
Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfas-
sung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne
Leidenschaft hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmei-
ster oder Corporal abgeben mögen. Unglücklicher Weise aber ge-
rieth er früh unter die Gewalt der Phrase, und, theils beherrscht
von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstracter Kahlheit und
geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt in
Umlauf waren, theils von dem Exempel seines Urgrossvaters, den
zu reproduciren er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an
als Musterbürger und wandelnder Tugendspiegel in der sündigen
Hauptstadt einherzuziehen, gleich dem alten Cato auf die Zeiten
zu schelten, zu Fuss zu gehen statt zu reiten, die Annahme von
Zinsen zu verweigern, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und
die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, dass
er nach König Romulus Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame
Carricatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Hass und Zorn
zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich
führte, der mit seinem bornirten, aber originellen und gesunden
Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war
dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den
Lippen troff und den man überall mit dem Buche in der Hand
sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst
irgend ein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche
der abstracten Moralphilosophie. Dennoch gelangte er zu sittli-
cher Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit im-
ponirten sein Muth und seine negativen Tugenden der Menge; er
machte Schule und es gab Einzelne -- freilich waren sie danach --,
die die lebendige Philosophenschablone weiter copirten und aber-
mals carrikirten. Auf ähnlichen Ursachen beruht auch sein politi-
scher Einfluss. Da er der einzige namhafte Conservative war, der
wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Muth besass
und immer bereit stand, wo es nöthig und nicht nöthig war, seine
Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder
sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten,

FÜNFTES BUCH. KAPITEL V.
lich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder
ganz in Luxus und Litteratur unterging oder der aufgehenden
Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren macht
hievon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren
659), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung und
doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Er-
scheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit.
Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll
Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfas-
sung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne
Leidenschaft hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmei-
ster oder Corporal abgeben mögen. Unglücklicher Weise aber ge-
rieth er früh unter die Gewalt der Phrase, und, theils beherrscht
von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstracter Kahlheit und
geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt in
Umlauf waren, theils von dem Exempel seines Urgroſsvaters, den
zu reproduciren er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an
als Musterbürger und wandelnder Tugendspiegel in der sündigen
Hauptstadt einherzuziehen, gleich dem alten Cato auf die Zeiten
zu schelten, zu Fuſs zu gehen statt zu reiten, die Annahme von
Zinsen zu verweigern, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und
die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daſs
er nach König Romulus Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame
Carricatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haſs und Zorn
zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich
führte, der mit seinem bornirten, aber originellen und gesunden
Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war
dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den
Lippen troff und den man überall mit dem Buche in der Hand
sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst
irgend ein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche
der abstracten Moralphilosophie. Dennoch gelangte er zu sittli-
cher Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit im-
ponirten sein Muth und seine negativen Tugenden der Menge; er
machte Schule und es gab Einzelne — freilich waren sie danach —,
die die lebendige Philosophenschablone weiter copirten und aber-
mals carrikirten. Auf ähnlichen Ursachen beruht auch sein politi-
scher Einfluſs. Da er der einzige namhafte Conservative war, der
wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Muth besaſs
und immer bereit stand, wo es nöthig und nicht nöthig war, seine
Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder
sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten,

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[150/0160] FÜNFTES BUCH. KAPITEL V. lich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus und Litteratur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren macht hievon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung und doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Er- scheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfas- sung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne Leidenschaft hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmei- ster oder Corporal abgeben mögen. Unglücklicher Weise aber ge- rieth er früh unter die Gewalt der Phrase, und, theils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstracter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt in Umlauf waren, theils von dem Exempel seines Urgroſsvaters, den zu reproduciren er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an als Musterbürger und wandelnder Tugendspiegel in der sündigen Hauptstadt einherzuziehen, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu schelten, zu Fuſs zu gehen statt zu reiten, die Annahme von Zinsen zu verweigern, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daſs er nach König Romulus Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame Carricatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haſs und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich führte, der mit seinem bornirten, aber originellen und gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den Lippen troff und den man überall mit dem Buche in der Hand sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgend ein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstracten Moralphilosophie. Dennoch gelangte er zu sittli- cher Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit im- ponirten sein Muth und seine negativen Tugenden der Menge; er machte Schule und es gab Einzelne — freilich waren sie danach —, die die lebendige Philosophenschablone weiter copirten und aber- mals carrikirten. Auf ähnlichen Ursachen beruht auch sein politi- scher Einfluſs. Da er der einzige namhafte Conservative war, der wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Muth besaſs und immer bereit stand, wo es nöthig und nicht nöthig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/160>, abgerufen am 25.11.2024.