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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen
theils die Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der
ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Rich-
ter und Heerführer vorstand, theils eigene priesterliche Fami-
lien, denen vornämlich oblag die Kunde der mit anderen Völkern
geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhal-
tung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene
des Königs. Auf einer weit niedrigeren Culturstufe standen ihre
östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am untern Kur
bis zum kaspischen Meere hinab sassen. Vorwiegend ein Hirten-
volk weideten sie, zu Fuss oder zu Pferde, ihre zahlreichen Heer-
den auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; ihre weni-
gen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne
Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward
nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig wa-
ren, hatte seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonde-
ren Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen vermochten sich
die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu mes-
sen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im Ganzen die
gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurf-
spiessen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken
hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab
auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche
zum Theil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen
und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren
Aeckern und Triften in vollkommener seit unvordenklicher Zeit
bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die
Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völ-
kerfluthen aufgerichtet zu haben: an ihm hatten die Waffen des
Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden und jetzt schickte
die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an auch gegen die
Römer sie zu vertheidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, dass
der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu
überschreiten und den pontischen König jenseit des Kaukasus zu
verfolgen beabsichtige -- denn Mithradates, vernahm man, über-
winterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Ana-
klia) am schwarzen Meer --, überschritten zuerst die Albaner
unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/9 den Kur
und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei grössere
Corps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompe-
ius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Haupt-
angriff traf, hielt tapfer Stand und Pompeius selbst verfolgte,

FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV.
Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen
theils die Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der
ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Rich-
ter und Heerführer vorstand, theils eigene priesterliche Fami-
lien, denen vornämlich oblag die Kunde der mit anderen Völkern
geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhal-
tung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene
des Königs. Auf einer weit niedrigeren Culturstufe standen ihre
östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am untern Kur
bis zum kaspischen Meere hinab saſsen. Vorwiegend ein Hirten-
volk weideten sie, zu Fuſs oder zu Pferde, ihre zahlreichen Heer-
den auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; ihre weni-
gen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne
Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward
nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig wa-
ren, hatte seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonde-
ren Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen vermochten sich
die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu mes-
sen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im Ganzen die
gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurf-
spieſsen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken
hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab
auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche
zum Theil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen
und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren
Aeckern und Triften in vollkommener seit unvordenklicher Zeit
bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die
Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völ-
kerfluthen aufgerichtet zu haben: an ihm hatten die Waffen des
Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden und jetzt schickte
die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an auch gegen die
Römer sie zu vertheidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daſs
der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu
überschreiten und den pontischen König jenseit des Kaukasus zu
verfolgen beabsichtige — denn Mithradates, vernahm man, über-
winterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Ana-
klia) am schwarzen Meer —, überschritten zuerst die Albaner
unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/9 den Kur
und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei gröſsere
Corps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompe-
ius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Haupt-
angriff traf, hielt tapfer Stand und Pompeius selbst verfolgte,

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[118/0128] FÜNFTES BUCH. KAPITEL IV. Heer und Volk waren eins; an der Spitze des Volkes standen theils die Herrengeschlechter, daraus immer der Aelteste der ganzen iberischen Nation als König, der Nächstälteste als Rich- ter und Heerführer vorstand, theils eigene priesterliche Fami- lien, denen vornämlich oblag die Kunde der mit anderen Völkern geschlossenen Verträge zu bewahren und über deren Einhal- tung zu wachen. Die Masse der Unfreien galten als Leibeigene des Königs. Auf einer weit niedrigeren Culturstufe standen ihre östlichen Nachbarn, die Albaner oder Alaner, die am untern Kur bis zum kaspischen Meere hinab saſsen. Vorwiegend ein Hirten- volk weideten sie, zu Fuſs oder zu Pferde, ihre zahlreichen Heer- den auf den üppigen Wiesen des heutigen Schirwan; ihre weni- gen Ackerfelder wurden noch mit dem alten Holzpflug ohne eiserne Schar bestellt. Münze war unbekannt und über hundert ward nicht gezählt. Jeder ihrer Stämme, deren sechsundzwanzig wa- ren, hatte seinen eigenen Häuptling und sprach seinen besonde- ren Dialekt. An Zahl den Iberern weit überlegen vermochten sich die Albaner an Tapferkeit durchaus nicht mit denselben zu mes- sen. Die Fechtart beider Nationen war übrigens im Ganzen die gleiche: sie stritten vorwiegend mit Pfeilen und leichten Wurf- spieſsen, die sie häufig nach Indianerart aus Waldverstecken hinter Baumstämmen hervor oder von den Baumwipfeln herab auf den Feind entsendeten; die Albaner hatten auch zahlreiche zum Theil nach medisch-armenischer Art mit schweren Kürassen und Schienen gepanzerte Reiter. Beide Nationen lebten auf ihren Aeckern und Triften in vollkommener seit unvordenklicher Zeit bewahrter Unabhängigkeit. Den Kaukasus scheint gleichsam die Natur selbst zwischen Europa und Asien als Damm gegen die Völ- kerfluthen aufgerichtet zu haben: an ihm hatten die Waffen des Kyros wie die Alexanders ihre Grenze gefunden und jetzt schickte die tapfere Besatzung dieser Scheidewand sich an auch gegen die Römer sie zu vertheidigen. Aufgeschreckt durch die Kunde, daſs der römische Oberfeldherr im nächsten Frühjahr das Gebirge zu überschreiten und den pontischen König jenseit des Kaukasus zu verfolgen beabsichtige — denn Mithradates, vernahm man, über- winterte in Dioskurias (Iskuria zwischen Suchum Kale und Ana- klia) am schwarzen Meer —, überschritten zuerst die Albaner unter dem Fürsten Oroizes noch im Mittwinter 688/9 den Kur und warfen sich auf das der Verpflegung wegen in drei gröſsere Corps unter Quintus Metellus Celer, Lucius Flaccus und Pompe- ius selbst auseinander gelegte Heer. Aber Celer, den der Haupt- angriff traf, hielt tapfer Stand und Pompeius selbst verfolgte,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/128>, abgerufen am 08.05.2024.