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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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und Fallthüren, wie es fiel, jeder Partei dienen konnte und ge-
dient hat. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in
der Staatsreligion, vornämlich in der Auguraldisciplin; aber
auch die Gegenpartei machte keine principielle Opposition gegen
ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern be-
trachtete dasselbe im Ganzen als eine Schanze, die aus dem Be-
sitz des Feindes in den eigenen übergehen könne.

Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Reli-
gionsgespenst stehen die verschiedenen fremden, meistentheils
orientalischen Culte, welche diese Epoche hegte und pflegte
und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht
abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vor-
nehmen Damen und Herren wie in den Sclavenkreisen, bei dem
General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provin-
zen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube be-
reits reicht. Als im kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin
Martha sich erbot die Wege und Mittel zur Ueberwindung der
Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie
mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und nament-
lich Marius eigene Gemahlin expedirten sie dennoch nach dem
Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit
sich herumführte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Füh-
rer der verschiedensten Parteien im Bürgerkrieg, Marius, Octa-
vius, Sulla trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und
Orakel. Selbst der Senat musste während desselben in den Wir-
ren des J. 667 sich dazu verstehen den Faseleien einer verrückten
Prophetin gemäss Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren
der römisch-hellenischen Religion wie für das im Steigen be-
griffene Bedürfniss der Menge nach stärkeren religiösen Stimu-
lantien ist es bezeichnend, dass der Aberglaube nicht mehr, wie
in den Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion;
selbst die etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in
erster Linie erscheinen die in den heissen Landschaften des Ostens
gezeitigten Culte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte
Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevöl-
kerung theils durch die Sclaveneinfuhr, theils durch den gestei-
gerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremd-
ländischen Religionen tritt sehr scharf hervor in den Aufständen
der sicilischen grösstentheils aus Syrien herstammenden Sclaven.
Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den
Sclaven in diesem Krieg geschleuderten Bleikugeln tragen gros-
sentheils Götternamen, neben Zeus und Artemis besonders den der

Röm. Gesch. II. 26

RELIGION.
und Fallthüren, wie es fiel, jeder Partei dienen konnte und ge-
dient hat. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in
der Staatsreligion, vornämlich in der Auguraldisciplin; aber
auch die Gegenpartei machte keine principielle Opposition gegen
ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern be-
trachtete dasselbe im Ganzen als eine Schanze, die aus dem Be-
sitz des Feindes in den eigenen übergehen könne.

Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Reli-
gionsgespenst stehen die verschiedenen fremden, meistentheils
orientalischen Culte, welche diese Epoche hegte und pflegte
und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht
abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vor-
nehmen Damen und Herren wie in den Sclavenkreisen, bei dem
General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provin-
zen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube be-
reits reicht. Als im kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin
Martha sich erbot die Wege und Mittel zur Ueberwindung der
Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie
mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und nament-
lich Marius eigene Gemahlin expedirten sie dennoch nach dem
Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit
sich herumführte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Füh-
rer der verschiedensten Parteien im Bürgerkrieg, Marius, Octa-
vius, Sulla trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und
Orakel. Selbst der Senat muſste während desselben in den Wir-
ren des J. 667 sich dazu verstehen den Faseleien einer verrückten
Prophetin gemäſs Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren
der römisch-hellenischen Religion wie für das im Steigen be-
griffene Bedürfniſs der Menge nach stärkeren religiösen Stimu-
lantien ist es bezeichnend, daſs der Aberglaube nicht mehr, wie
in den Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion;
selbst die etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in
erster Linie erscheinen die in den heiſsen Landschaften des Ostens
gezeitigten Culte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte
Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevöl-
kerung theils durch die Sclaveneinfuhr, theils durch den gestei-
gerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremd-
ländischen Religionen tritt sehr scharf hervor in den Aufständen
der sicilischen gröſstentheils aus Syrien herstammenden Sclaven.
Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den
Sclaven in diesem Krieg geschleuderten Bleikugeln tragen gros-
sentheils Götternamen, neben Zeus und Artemis besonders den der

Röm. Gesch. II. 26
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[401/0411] RELIGION. und Fallthüren, wie es fiel, jeder Partei dienen konnte und ge- dient hat. Zumeist sah allerdings die Oligarchie ihr Palladium in der Staatsreligion, vornämlich in der Auguraldisciplin; aber auch die Gegenpartei machte keine principielle Opposition gegen ein Institut, das nur noch ein Scheinleben hatte, sondern be- trachtete dasselbe im Ganzen als eine Schanze, die aus dem Be- sitz des Feindes in den eigenen übergehen könne. Im scharfen Gegensatz gegen dies eben geschilderte Reli- gionsgespenst stehen die verschiedenen fremden, meistentheils orientalischen Culte, welche diese Epoche hegte und pflegte und denen wenigstens eine sehr entschiedene Lebenskraft nicht abgesprochen werden kann. Sie begegnen überall, bei den vor- nehmen Damen und Herren wie in den Sclavenkreisen, bei dem General wie bei dem Lanzknecht, in Italien wie in den Provin- zen. Es ist unglaublich, wie hoch hinauf dieser Aberglaube be- reits reicht. Als im kimbrischen Krieg eine syrische Prophetin Martha sich erbot die Wege und Mittel zur Ueberwindung der Deutschen dem Senat an die Hand zu geben, wies dieser zwar sie mit Verachtung zurück; aber die römischen Damen und nament- lich Marius eigene Gemahlin expedirten sie dennoch nach dem Hauptquartier, wo der Gemahl sie bereitwillig aufnahm und mit sich herumführte, bis die Teutonen geschlagen waren. Die Füh- rer der verschiedensten Parteien im Bürgerkrieg, Marius, Octa- vius, Sulla trafen zusammen in dem Glauben an Zeichen und Orakel. Selbst der Senat muſste während desselben in den Wir- ren des J. 667 sich dazu verstehen den Faseleien einer verrückten Prophetin gemäſs Anordnungen zu treffen. Für das Erstarren der römisch-hellenischen Religion wie für das im Steigen be- griffene Bedürfniſs der Menge nach stärkeren religiösen Stimu- lantien ist es bezeichnend, daſs der Aberglaube nicht mehr, wie in den Bakchenmysterien, anknüpft an die nationale Religion; selbst die etruskische Mystik ist bereits überflügelt; durchaus in erster Linie erscheinen die in den heiſsen Landschaften des Ostens gezeitigten Culte. Sehr viel hat dazu beigetragen das massenhafte Eindringen kleinasiatischer und syrischer Elemente in die Bevöl- kerung theils durch die Sclaveneinfuhr, theils durch den gestei- gerten Verkehr Italiens mit dem Osten. Die Macht dieser fremd- ländischen Religionen tritt sehr scharf hervor in den Aufständen der sicilischen gröſstentheils aus Syrien herstammenden Sclaven. Eunus spie Feuer, Athenion las in den Sternen; die von den Sclaven in diesem Krieg geschleuderten Bleikugeln tragen gros- sentheils Götternamen, neben Zeus und Artemis besonders den der Röm. Gesch. II. 26

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/411>, abgerufen am 17.05.2024.