Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

RELIGION.
Grundgedankens ist die varronische Theologie, in der die römi-
sche Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats wie
der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte
die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohlthun sie
zweckdienlicher und den Theilen der Weltseele principmässig
entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige
Vorstellungen erweckenden Götterbilder * und das verkehrte Opfer-
wesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal bestän-
den, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und da-
zuthun, dass ,der gemeine Mann' die Götter vielmehr höher achten
als geringschätzen lerne. Dass der gemeine Mann, zu dessen Besten
die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt
verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von
selbst und wird weiterhin sich zeigen; und so war denn die rö-
mische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levi-
tenschaft ohne gläubige Gemeinde. Die nothwendige Folge davon,
dass man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte,
war es, dass die politischen Parteien anfingen auch das Gebiet
der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Vertheidigung
zu betrachten; was namentlich der Fall war mit der Augural-
wissenschaft und mit den Wahlen zu den Priestercollegien. Die
alte und natürliche Uebung die Bürgerversammlung zu entlassen,
wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römi-
schen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener
Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln
entwickelt; in den ersten Decennien dieser Epoche ward durch
das aelische und das fufische Gesetz dies so weit ausgedehnt, dass
jede Volksversammlung auseinanderzugehen genöthigt war, wenn
es einem höheren Beamten einfiel nach Gewitterzeichen am Him-
mel zu schauen und die römische Oligarchie war stolz auf den
schlauen Gedanken fortan durch eine einzige fromme Lüge je-
dem Volksbeschluss den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu
können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf
gegen die alte Uebung, dass die vier höchsten Priestercollegien
bei entstehenden Vacanzen sich selber ergänzten und forderte die
Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie

* Auch in Varros Satire ,die Aboriginer' wurde in spöttlicher Weise
dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem
Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Göt-
terpuppen und Götterbilderchen.

RELIGION.
Grundgedankens ist die varronische Theologie, in der die römi-
sche Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der
Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats wie
der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte
die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohlthun sie
zweckdienlicher und den Theilen der Weltseele principmäſsig
entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige
Vorstellungen erweckenden Götterbilder * und das verkehrte Opfer-
wesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal bestän-
den, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und da-
zuthun, daſs ‚der gemeine Mann‘ die Götter vielmehr höher achten
als geringschätzen lerne. Daſs der gemeine Mann, zu dessen Besten
die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt
verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von
selbst und wird weiterhin sich zeigen; und so war denn die rö-
mische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levi-
tenschaft ohne gläubige Gemeinde. Die nothwendige Folge davon,
daſs man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte,
war es, daſs die politischen Parteien anfingen auch das Gebiet
der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Vertheidigung
zu betrachten; was namentlich der Fall war mit der Augural-
wissenschaft und mit den Wahlen zu den Priestercollegien. Die
alte und natürliche Uebung die Bürgerversammlung zu entlassen,
wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römi-
schen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener
Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln
entwickelt; in den ersten Decennien dieser Epoche ward durch
das aelische und das fufische Gesetz dies so weit ausgedehnt, daſs
jede Volksversammlung auseinanderzugehen genöthigt war, wenn
es einem höheren Beamten einfiel nach Gewitterzeichen am Him-
mel zu schauen und die römische Oligarchie war stolz auf den
schlauen Gedanken fortan durch eine einzige fromme Lüge je-
dem Volksbeschluſs den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu
können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf
gegen die alte Uebung, daſs die vier höchsten Priestercollegien
bei entstehenden Vacanzen sich selber ergänzten und forderte die
Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie

* Auch in Varros Satire ‚die Aboriginer‘ wurde in spöttlicher Weise
dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem
Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Göt-
terpuppen und Götterbilderchen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0409" n="399"/><fw place="top" type="header">RELIGION.</fw><lb/>
Grundgedankens ist die varronische Theologie, in der die römi-<lb/>
sche Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der<lb/>
Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats wie<lb/>
der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte<lb/>
die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohlthun sie<lb/>
zweckdienlicher und den Theilen der Weltseele principmä&#x017F;sig<lb/>
entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige<lb/>
Vorstellungen erweckenden Götterbilder <note place="foot" n="*">Auch in Varros Satire &#x201A;die Aboriginer&#x2018; wurde in spöttlicher Weise<lb/>
dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem<lb/>
Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Göt-<lb/>
terpuppen und Götterbilderchen.</note> und das verkehrte Opfer-<lb/>
wesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal bestän-<lb/>
den, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und da-<lb/>
zuthun, da&#x017F;s &#x201A;der gemeine Mann&#x2018; die Götter vielmehr höher achten<lb/>
als geringschätzen lerne. Da&#x017F;s der gemeine Mann, zu dessen Besten<lb/>
die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt<lb/>
verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von<lb/>
selbst und wird weiterhin sich zeigen; und so war denn die rö-<lb/>
mische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levi-<lb/>
tenschaft ohne gläubige Gemeinde. Die nothwendige Folge davon,<lb/>
da&#x017F;s man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte,<lb/>
war es, da&#x017F;s die politischen Parteien anfingen auch das Gebiet<lb/>
der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Vertheidigung<lb/>
zu betrachten; was namentlich der Fall war mit der Augural-<lb/>
wissenschaft und mit den Wahlen zu den Priestercollegien. Die<lb/>
alte und natürliche Uebung die Bürgerversammlung zu entlassen,<lb/>
wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römi-<lb/>
schen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener<lb/>
Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln<lb/>
entwickelt; in den ersten Decennien dieser Epoche ward durch<lb/>
das aelische und das fufische Gesetz dies so weit ausgedehnt, da&#x017F;s<lb/>
jede Volksversammlung auseinanderzugehen genöthigt war, wenn<lb/>
es einem höheren Beamten einfiel nach Gewitterzeichen am Him-<lb/>
mel zu schauen und die römische Oligarchie war stolz auf den<lb/>
schlauen Gedanken fortan durch eine einzige fromme Lüge je-<lb/>
dem Volksbeschlu&#x017F;s den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu<lb/>
können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf<lb/>
gegen die alte Uebung, da&#x017F;s die vier höchsten Priestercollegien<lb/>
bei entstehenden Vacanzen sich selber ergänzten und forderte die<lb/>
Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[399/0409] RELIGION. Grundgedankens ist die varronische Theologie, in der die römi- sche Religion durchaus behandelt wird als ein Staatsinstitut. Der Staat, wird hier gelehrt, sei älter als die Götter des Staats wie der Maler älter als das Gemälde; wenn es sich darum handelte die Götter neu zu machen, würde man allerdings wohlthun sie zweckdienlicher und den Theilen der Weltseele principmäſsig entsprechender zu machen und zu benennen, auch die nur irrige Vorstellungen erweckenden Götterbilder * und das verkehrte Opfer- wesen zu beseitigen; allein da diese Einrichtungen einmal bestän- den, so müsse jeder gute Bürger sie kennen und befolgen und da- zuthun, daſs ‚der gemeine Mann‘ die Götter vielmehr höher achten als geringschätzen lerne. Daſs der gemeine Mann, zu dessen Besten die Herren ihren Verstand gefangen gaben, diesen Glauben jetzt verschmähte und sein Heil anderswo suchte, versteht sich von selbst und wird weiterhin sich zeigen; und so war denn die rö- mische Hochkirche fertig, eine scheinheilige Priester- und Levi- tenschaft ohne gläubige Gemeinde. Die nothwendige Folge davon, daſs man die Landesreligion für eine politische Institution erklärte, war es, daſs die politischen Parteien anfingen auch das Gebiet der Staatskirche als Tummelplatz für Angriff und Vertheidigung zu betrachten; was namentlich der Fall war mit der Augural- wissenschaft und mit den Wahlen zu den Priestercollegien. Die alte und natürliche Uebung die Bürgerversammlung zu entlassen, wenn ein Gewitter heraufzog, hatte unter den Händen der römi- schen Augurn sich zu einem weitläufigen System verschiedener Himmelszeichen und daran sich knüpfender Verhaltungsregeln entwickelt; in den ersten Decennien dieser Epoche ward durch das aelische und das fufische Gesetz dies so weit ausgedehnt, daſs jede Volksversammlung auseinanderzugehen genöthigt war, wenn es einem höheren Beamten einfiel nach Gewitterzeichen am Him- mel zu schauen und die römische Oligarchie war stolz auf den schlauen Gedanken fortan durch eine einzige fromme Lüge je- dem Volksbeschluſs den Stempel der Nichtigkeit aufdrücken zu können. Umgekehrt lehnte die römische Opposition sich auf gegen die alte Uebung, daſs die vier höchsten Priestercollegien bei entstehenden Vacanzen sich selber ergänzten und forderte die Erstreckung der Volkswahl auch auf die Stellen selbst, wie sie * Auch in Varros Satire ‚die Aboriginer‘ wurde in spöttlicher Weise dargestellt, wie die Urmenschen sich nicht hätten genügen lassen mit dem Gott, den nur der Gedanke erkennt, sondern sich gesehnt hätten nach Göt- terpuppen und Götterbilderchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/409
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/409>, abgerufen am 17.05.2024.