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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
mischen Praetoren und Censoren verwaltet ward. Das Höchste,
wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernann-
ten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen
(I, 609). Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, ausser
dass hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statt-
halter trat. In den freien, das heisst formell souveränen Städten
ward die Civil- und Criminaljurisdiction von den Municipalbeam-
ten nach den Localstatuten verwaltet; nur dass freilich wo nicht
ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Römer als Klä-
ger oder Beklagter verlangen konnte seine Sache vor italischen
Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die ge-
wöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die
einzige regelmässige Gerichtsbehörde, der die Instruirung aller Pro-
zesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sicilien, in dem Fall,
dass der Beklagte ein Siculer war, ein einheimischer Geschwor-
ner gegeben und nach Ortsgebrauch entschieden werden musste;
in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
instruirenden Beamten abgehangen zu haben. -- Im siebenten
Jahrhundert ward diese unbedingte Centralisation des öffentlichen
Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunct Rom
wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische
Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis
hinab zur sicilischen Meerenge reichte (S. 329), musste man wohl
sich entschliessen innerhalb dieser grossen wiederum kleinere
Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürger-
gemeinden organisirt und bei dieser Gelegenheit wurden wohl zu-
gleich die durch ihren Umfang gefährlichen grösseren Gaue, so weit
dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere Stadt-
bezirke aufgelöst (S. 216). Jede dieser Vollbürgergemeinden ver-
einigte so weit möglich die bisherigen Rechte der Nichtbürger- und
der Bürgergemeinden. Im Ganzen organisirte man sie nach dem
Muster der bisherigen formell souveränen latinischen, oder auch,
insofern deren Verfassung in den Grundzügen der römischen
gleich ist, nach dem Muster der römischen Gemeinde; nur dass
darauf gehalten ward für dieselben verfassungsmässigen Institu-
tionen andere und geringere Namen zu verwenden als in der
Hauptstadt, das heisst im Staat. Eine Bürgerversammlung tritt
an die Spitze mit der Befugniss Gemeindestatute zu erlassen und
die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderath von hun-
dert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. Das
Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei or-

DIE SULLANISCHE VERFASSUNG.
mischen Praetoren und Censoren verwaltet ward. Das Höchste,
wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernann-
ten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die
dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen
(I, 609). Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, auſser
daſs hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statt-
halter trat. In den freien, das heiſst formell souveränen Städten
ward die Civil- und Criminaljurisdiction von den Municipalbeam-
ten nach den Localstatuten verwaltet; nur daſs freilich wo nicht
ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Römer als Klä-
ger oder Beklagter verlangen konnte seine Sache vor italischen
Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die ge-
wöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die
einzige regelmäſsige Gerichtsbehörde, der die Instruirung aller Pro-
zesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sicilien, in dem Fall,
daſs der Beklagte ein Siculer war, ein einheimischer Geschwor-
ner gegeben und nach Ortsgebrauch entschieden werden muſste;
in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des
instruirenden Beamten abgehangen zu haben. — Im siebenten
Jahrhundert ward diese unbedingte Centralisation des öffentlichen
Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunct Rom
wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische
Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis
hinab zur sicilischen Meerenge reichte (S. 329), muſste man wohl
sich entschlieſsen innerhalb dieser groſsen wiederum kleinere
Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürger-
gemeinden organisirt und bei dieser Gelegenheit wurden wohl zu-
gleich die durch ihren Umfang gefährlichen gröſseren Gaue, so weit
dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere Stadt-
bezirke aufgelöst (S. 216). Jede dieser Vollbürgergemeinden ver-
einigte so weit möglich die bisherigen Rechte der Nichtbürger- und
der Bürgergemeinden. Im Ganzen organisirte man sie nach dem
Muster der bisherigen formell souveränen latinischen, oder auch,
insofern deren Verfassung in den Grundzügen der römischen
gleich ist, nach dem Muster der römischen Gemeinde; nur daſs
darauf gehalten ward für dieselben verfassungsmäſsigen Institu-
tionen andere und geringere Namen zu verwenden als in der
Hauptstadt, das heiſst im Staat. Eine Bürgerversammlung tritt
an die Spitze mit der Befugniſs Gemeindestatute zu erlassen und
die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderath von hun-
dert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. Das
Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei or-

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[345/0355] DIE SULLANISCHE VERFASSUNG. mischen Praetoren und Censoren verwaltet ward. Das Höchste, wozu man sich verstand, war durch einen von Rom aus ernann- ten Stellvertreter (praefectus) des Gerichtsherrn wenigstens die dringendsten Rechtssachen an Ort und Stelle erledigen zu lassen (I, 609). Nicht anders verfuhr man in den Provinzen, auſser daſs hier an die Stelle der hauptstädtischen Behörden der Statt- halter trat. In den freien, das heiſst formell souveränen Städten ward die Civil- und Criminaljurisdiction von den Municipalbeam- ten nach den Localstatuten verwaltet; nur daſs freilich wo nicht ganz besondere Privilegien entgegenstanden, jeder Römer als Klä- ger oder Beklagter verlangen konnte seine Sache vor italischen Richtern nach italischem Recht entschieden zu sehen. Für die ge- wöhnlichen Provinzialgemeinden war der römische Statthalter die einzige regelmäſsige Gerichtsbehörde, der die Instruirung aller Pro- zesse oblag. Es war schon viel, wenn, wie in Sicilien, in dem Fall, daſs der Beklagte ein Siculer war, ein einheimischer Geschwor- ner gegeben und nach Ortsgebrauch entschieden werden muſste; in den meisten Provinzen scheint auch dies vom Gutfinden des instruirenden Beamten abgehangen zu haben. — Im siebenten Jahrhundert ward diese unbedingte Centralisation des öffentlichen Lebens der römischen Gemeinde in dem einen Mittelpunct Rom wenigstens für Italien aufgegeben. Seit dies eine einzige städtische Gemeinde war und das Stadtgebiet vom Arnus und Rubico bis hinab zur sicilischen Meerenge reichte (S. 329), muſste man wohl sich entschlieſsen innerhalb dieser groſsen wiederum kleinere Stadtgemeinden zu bilden. So ward Italien nach Vollbürger- gemeinden organisirt und bei dieser Gelegenheit wurden wohl zu- gleich die durch ihren Umfang gefährlichen gröſseren Gaue, so weit dies nicht schon früher geschehen war, in mehrere kleinere Stadt- bezirke aufgelöst (S. 216). Jede dieser Vollbürgergemeinden ver- einigte so weit möglich die bisherigen Rechte der Nichtbürger- und der Bürgergemeinden. Im Ganzen organisirte man sie nach dem Muster der bisherigen formell souveränen latinischen, oder auch, insofern deren Verfassung in den Grundzügen der römischen gleich ist, nach dem Muster der römischen Gemeinde; nur daſs darauf gehalten ward für dieselben verfassungsmäſsigen Institu- tionen andere und geringere Namen zu verwenden als in der Hauptstadt, das heiſst im Staat. Eine Bürgerversammlung tritt an die Spitze mit der Befugniſs Gemeindestatute zu erlassen und die Gemeindebeamten zu ernennen. Ein Gemeinderath von hun- dert Mitgliedern übernimmt die Rolle des römischen Senats. Das Gerichtswesen wird verwaltet von vier Gerichtsherren, zwei or-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/355>, abgerufen am 23.11.2024.