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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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zogen und für sie das alte Verhältniss wiederhergestellt. Den ari-
stokratischen Ultras mochte dies als eine grosse Concession
erscheinen; Sulla sah, dass es nothwendig sei den revolutionären
Führern jene mächtigen Hebel aus der Hand zu winden und dass
die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der
Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nach-
giebigkeit im Princip verband sich das härteste Gericht über
die einzelnen Gemeinden, das Sullas Beauftragte, gestützt auf
die überallhin vertheilten Besatzungen, in sämmtlichen Land-
schaften Italiens mit rücksichtsloser Strenge abhielten. Manche
Städte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die
sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, dafür jetzt die für
diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft.
Den minder schuldigen wurden Geldbussen, Niederreissung der
Mauern, Schleifung ihrer Burgen dictirt; den hartnäckigsten Geg-
nern confiscirte der Regent einen Theil ihrer Feldmark, zum
Theil sogar das ganze Gebiet. In diesem Falle ward auch allen
aus dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen ihr
Stadt- und zugleich das römische Bürgerrecht aberkannt, wo-
gegen sie das schlechteste latinische empfingen*. Man vermied
also an italischen Unterthanengemeinden geringeren Rechts der
Opposition einen Kern zu gewähren; die heimathlosen Expro-
priirten mussten bald in der Masse des Proletariats sich ver-
lieren. In Campanien ward nicht bloss, wie sich von selbst ver-
steht, die demokratische Colonie Capua aufgehoben und die Do-
mäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrschein-
lich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria
(Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesammte Mark der
grossen und reichen Stadt Praeneste und vermuthlich auch die
von Norba eingezogen. Sulmo in der paelignischen Landschaft
ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regen-
ten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt

* B. I, S. 610. Es kam hiebei noch die eigenthümliche Erschwerung
hinzu, dass das latinische Recht sonst regelmässig eben wie das peregrini-
sche die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen
Gemeinde in sich schloss, hier aber -- ähnlich wie bei den sogenannten
peregrini dediticii und den späteren junischen Latinern -- ohne ein solches
eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, dass diese Latiner die an die
Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, genau genommen auch
nicht testiren konnten, da Niemand anders ein Testament errichten kann
als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus römischen
Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich und mit Römern
oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.

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zogen und für sie das alte Verhältniſs wiederhergestellt. Den ari-
stokratischen Ultras mochte dies als eine groſse Concession
erscheinen; Sulla sah, daſs es nothwendig sei den revolutionären
Führern jene mächtigen Hebel aus der Hand zu winden und daſs
die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der
Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nach-
giebigkeit im Princip verband sich das härteste Gericht über
die einzelnen Gemeinden, das Sullas Beauftragte, gestützt auf
die überallhin vertheilten Besatzungen, in sämmtlichen Land-
schaften Italiens mit rücksichtsloser Strenge abhielten. Manche
Städte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die
sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, dafür jetzt die für
diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft.
Den minder schuldigen wurden Geldbuſsen, Niederreiſsung der
Mauern, Schleifung ihrer Burgen dictirt; den hartnäckigsten Geg-
nern confiscirte der Regent einen Theil ihrer Feldmark, zum
Theil sogar das ganze Gebiet. In diesem Falle ward auch allen
aus dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen ihr
Stadt- und zugleich das römische Bürgerrecht aberkannt, wo-
gegen sie das schlechteste latinische empfingen*. Man vermied
also an italischen Unterthanengemeinden geringeren Rechts der
Opposition einen Kern zu gewähren; die heimathlosen Expro-
priirten muſsten bald in der Masse des Proletariats sich ver-
lieren. In Campanien ward nicht bloſs, wie sich von selbst ver-
steht, die demokratische Colonie Capua aufgehoben und die Do-
mäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrschein-
lich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria
(Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesammte Mark der
groſsen und reichen Stadt Praeneste und vermuthlich auch die
von Norba eingezogen. Sulmo in der paelignischen Landschaft
ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regen-
ten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt

* B. I, S. 610. Es kam hiebei noch die eigenthümliche Erschwerung
hinzu, daſs das latinische Recht sonst regelmäſsig eben wie das peregrini-
sche die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen
Gemeinde in sich schloſs, hier aber — ähnlich wie bei den sogenannten
peregrini dediticii und den späteren junischen Latinern — ohne ein solches
eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daſs diese Latiner die an die
Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, genau genommen auch
nicht testiren konnten, da Niemand anders ein Testament errichten kann
als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus römischen
Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich und mit Römern
oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.
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[330/0340] VIERTES BUCH. KAPITEL X. zogen und für sie das alte Verhältniſs wiederhergestellt. Den ari- stokratischen Ultras mochte dies als eine groſse Concession erscheinen; Sulla sah, daſs es nothwendig sei den revolutionären Führern jene mächtigen Hebel aus der Hand zu winden und daſs die Herrschaft der Oligarchie durch die Vermehrung der Zahl der Bürger nicht wesentlich gefährdet ward. Aber mit dieser Nach- giebigkeit im Princip verband sich das härteste Gericht über die einzelnen Gemeinden, das Sullas Beauftragte, gestützt auf die überallhin vertheilten Besatzungen, in sämmtlichen Land- schaften Italiens mit rücksichtsloser Strenge abhielten. Manche Städte wurden belohnt, wie zum Beispiel die erste Gemeinde, die sich an Sulla angeschlossen hatte, Brundisium, dafür jetzt die für diesen Seehafen so wichtige Zollfreiheit erhielt; mehrere bestraft. Den minder schuldigen wurden Geldbuſsen, Niederreiſsung der Mauern, Schleifung ihrer Burgen dictirt; den hartnäckigsten Geg- nern confiscirte der Regent einen Theil ihrer Feldmark, zum Theil sogar das ganze Gebiet. In diesem Falle ward auch allen aus dem Besitz gesetzten Bürgern, aber auch nur diesen ihr Stadt- und zugleich das römische Bürgerrecht aberkannt, wo- gegen sie das schlechteste latinische empfingen *. Man vermied also an italischen Unterthanengemeinden geringeren Rechts der Opposition einen Kern zu gewähren; die heimathlosen Expro- priirten muſsten bald in der Masse des Proletariats sich ver- lieren. In Campanien ward nicht bloſs, wie sich von selbst ver- steht, die demokratische Colonie Capua aufgehoben und die Do- mäne an den Staat zurückgegeben, sondern auch, wahrschein- lich um diese Zeit, der Gemeinde Neapolis die Insel Aenaria (Ischia) entzogen. In Latium wurde die gesammte Mark der groſsen und reichen Stadt Praeneste und vermuthlich auch die von Norba eingezogen. Sulmo in der paelignischen Landschaft ward sogar geschleift. Aber vor allem schwer lastete des Regen- ten eiserner Arm auf den beiden Landschaften, die bis zuletzt * B. I, S. 610. Es kam hiebei noch die eigenthümliche Erschwerung hinzu, daſs das latinische Recht sonst regelmäſsig eben wie das peregrini- sche die Mitgliedschaft in einer bestimmten latinischen oder peregrinischen Gemeinde in sich schloſs, hier aber — ähnlich wie bei den sogenannten peregrini dediticii und den späteren junischen Latinern — ohne ein solches eigenes Stadtrecht auftrat. Die Folge war, daſs diese Latiner die an die Stadtverfassung geknüpften Privilegien entbehrten, genau genommen auch nicht testiren konnten, da Niemand anders ein Testament errichten kann als nach dem Recht seiner Stadt; wohl aber konnten sie aus römischen Testamenten erwerben und unter Lebenden unter sich und mit Römern oder Latinern in den Formen des römischen Rechts verkehren.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/340>, abgerufen am 22.05.2024.