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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL X.
Scipio noch für die Revolution thätig gewesen wären, und von
den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise der-
selben Vorschub gethan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien
tödtete, war nicht bloss straffrei wie der Henker, der ordnungs-
mässig eine Execution vollzieht, sondern erhielt auch für die Hin-
richtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3400 Thlr.); jeder
dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste
Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der
Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kin-
der und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlos-
sen, dennoch aber, in sofern sie senatorischen Standes waren, ver-
pflichtet die senatorischen Lasten für ihren Theil zu übernehmen.
Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter
und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revo-
lution gefallen waren; was selbst über die im ältesten Recht ge-
gen diejenigen, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten,
geordneten Strafen noch hinausging. Das Schrecklichste in diesem
Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Ka-
tegorien, gegen die sofort im Senat remonstrirt ward und der
Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, dass er die Namen der
Geächteten öffentlich anschlagen liess und als letzten Termin für
den Schluss der Aechtungsliste den 1. Juni 673 festsetzte. So
sehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen
steigende Bluttafel* das gerechte Entsetzen der Menge war, so

* Diese Gesammtzahl giebt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian
b. c. 1, 95 wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträg-
lich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus 2, 9 (dar-
aus Augustin de civ. dei 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch
Sull. 31 wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius 5, 21 in den
ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen
Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja theils
nicht bloss Senatoren und Ritter getödtet wurden, theils die Liste Monate
lang offen blieb. Wenn an einer andern Stelle Appian 1, 103 als von Sulla
getödtet oder verbannt aufführt 15 Consulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter,
so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürger-
kriegs überhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die funfzehn Consu-
lare sind Quintus Catulus Consul 652, Marcus Antonius 655, Publius Cras-
sus 657, Quintus Scaevola 659, Lucius Domitius 660, Lucius Caesar 664,
Quintus Rufus 666, Lucius Cinna 667-670, Gnaeus Octavius 667, Lucius
Merula 667, Lucius Flaccus 668, Gnaeus Carbo 669. 670. 672, Gaius Nor-
banus 671, Lucius Scipio 671, Gaius Marius 672, von denen vierzehn ge-
tödtet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der liviani-
sche Bericht bei Eutrop 5, 9 und Orosius 5, 22 als im Bundesgenossen- und
Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angiebt 24 Consulare, 7 Prätorier,
60 Aedilicier, 200 Senatoren, so sind hier theils die im italischen Krieg ge-

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Scipio noch für die Revolution thätig gewesen wären, und von
den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise der-
selben Vorschub gethan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien
tödtete, war nicht bloſs straffrei wie der Henker, der ordnungs-
mäſsig eine Execution vollzieht, sondern erhielt auch für die Hin-
richtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3400 Thlr.); jeder
dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste
Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der
Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kin-
der und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlos-
sen, dennoch aber, in sofern sie senatorischen Standes waren, ver-
pflichtet die senatorischen Lasten für ihren Theil zu übernehmen.
Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter
und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revo-
lution gefallen waren; was selbst über die im ältesten Recht ge-
gen diejenigen, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten,
geordneten Strafen noch hinausging. Das Schrecklichste in diesem
Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Ka-
tegorien, gegen die sofort im Senat remonstrirt ward und der
Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daſs er die Namen der
Geächteten öffentlich anschlagen lieſs und als letzten Termin für
den Schluſs der Aechtungsliste den 1. Juni 673 festsetzte. So
sehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen
steigende Bluttafel* das gerechte Entsetzen der Menge war, so

* Diese Gesammtzahl giebt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian
b. c. 1, 95 wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträg-
lich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus 2, 9 (dar-
aus Augustin de civ. dei 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch
Sull. 31 wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius 5, 21 in den
ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen
Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja theils
nicht bloſs Senatoren und Ritter getödtet wurden, theils die Liste Monate
lang offen blieb. Wenn an einer andern Stelle Appian 1, 103 als von Sulla
getödtet oder verbannt aufführt 15 Consulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter,
so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürger-
kriegs überhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die funfzehn Consu-
lare sind Quintus Catulus Consul 652, Marcus Antonius 655, Publius Cras-
sus 657, Quintus Scaevola 659, Lucius Domitius 660, Lucius Caesar 664,
Quintus Rufus 666, Lucius Cinna 667-670, Gnaeus Octavius 667, Lucius
Merula 667, Lucius Flaccus 668, Gnaeus Carbo 669. 670. 672, Gaius Nor-
banus 671, Lucius Scipio 671, Gaius Marius 672, von denen vierzehn ge-
tödtet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der liviani-
sche Bericht bei Eutrop 5, 9 und Orosius 5, 22 als im Bundesgenossen- und
Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angiebt 24 Consulare, 7 Prätorier,
60 Aedilicier, 200 Senatoren, so sind hier theils die im italischen Krieg ge-
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[326/0336] VIERTES BUCH. KAPITEL X. Scipio noch für die Revolution thätig gewesen wären, und von den übrigen Bürgern diejenigen, die in auffallender Weise der- selben Vorschub gethan hätten. Wer einen dieser Vogelfreien tödtete, war nicht bloſs straffrei wie der Henker, der ordnungs- mäſsig eine Execution vollzieht, sondern erhielt auch für die Hin- richtung eine Vergütung von 12000 Denaren (3400 Thlr.); jeder dagegen, der eines Geächteten sich annahm, selbst der nächste Verwandte, unterlag der schwersten Strafe. Das Vermögen der Geächteten verfiel dem Staat gleich der Feindesbeute; ihre Kin- der und Enkel wurden von der politischen Laufbahn ausgeschlos- sen, dennoch aber, in sofern sie senatorischen Standes waren, ver- pflichtet die senatorischen Lasten für ihren Theil zu übernehmen. Die letzten Bestimmungen fanden auch Anwendung auf die Güter und die Nachkommen derjenigen, die im Kampfe für die Revo- lution gefallen waren; was selbst über die im ältesten Recht ge- gen diejenigen, die die Waffen gegen ihr Vaterland getragen hatten, geordneten Strafen noch hinausging. Das Schrecklichste in diesem Schreckenssystem war die Unbestimmtheit der aufgestellten Ka- tegorien, gegen die sofort im Senat remonstrirt ward und der Sulla selber dadurch abzuhelfen suchte, daſs er die Namen der Geächteten öffentlich anschlagen lieſs und als letzten Termin für den Schluſs der Aechtungsliste den 1. Juni 673 festsetzte. So sehr diese täglich anschwellende und zuletzt bis auf 4700 Namen steigende Bluttafel * das gerechte Entsetzen der Menge war, so * Diese Gesammtzahl giebt Valerius Maximus 9, 2, 1. Nach Appian b. c. 1, 95 wurden von Sulla geächtet gegen 40 Senatoren, wozu nachträg- lich noch einige hinzukamen, und etwa 1600 Ritter; nach Florus 2, 9 (dar- aus Augustin de civ. dei 3, 28) 2000 Senatoren und Ritter. Nach Plutarch Sull. 31 wurden in den ersten drei Tagen 520, nach Orosius 5, 21 in den ersten Tagen 580 Namen in die Liste eingetragen. Zwischen all diesen Berichten ist ein wesentlicher Widerspruch nicht vorhanden, da ja theils nicht bloſs Senatoren und Ritter getödtet wurden, theils die Liste Monate lang offen blieb. Wenn an einer andern Stelle Appian 1, 103 als von Sulla getödtet oder verbannt aufführt 15 Consulare, 90 Senatoren, 2600 Ritter, so sind hier, wie schon der Zusammenhang zeigt, die Opfer des Bürger- kriegs überhaupt und die Opfer Sullas verwechselt. Die funfzehn Consu- lare sind Quintus Catulus Consul 652, Marcus Antonius 655, Publius Cras- sus 657, Quintus Scaevola 659, Lucius Domitius 660, Lucius Caesar 664, Quintus Rufus 666, Lucius Cinna 667-670, Gnaeus Octavius 667, Lucius Merula 667, Lucius Flaccus 668, Gnaeus Carbo 669. 670. 672, Gaius Nor- banus 671, Lucius Scipio 671, Gaius Marius 672, von denen vierzehn ge- tödtet, einer, Lucius Scipio, verbannt wurde. Wenn dagegen der liviani- sche Bericht bei Eutrop 5, 9 und Orosius 5, 22 als im Bundesgenossen- und Bürgerkrieg weggerafft (consumpti) angiebt 24 Consulare, 7 Prätorier, 60 Aedilicier, 200 Senatoren, so sind hier theils die im italischen Krieg ge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/336>, abgerufen am 22.11.2024.