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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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und die totale Auflösung seines Corps, von dem nur etwa
1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf die Nachricht von
dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die
gegen ihn zurückgebliebene Abtheilung bei Fidentia (zwischen
Piacenza und Parma). Das lucanische Corps des Albinovanus
trat in Masse über; der Führer machte seine anfängliche Zöge-
rung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolu-
tionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei
niedermachen liess; überhaupt schloss, wer irgend nur durfte,
jetzt seinen Frieden. Ariminum gerieth mit allen Vorräthen und
Kassen in Metellus Hand; Norbanus schiffte nach Rhodos sich
ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Trup-
pen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte
Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als
Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor
er die Fassung; obwohl er eine noch immer ansehnliche Trup-
penmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heim-
lich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Africa sich ein.
Die im Stich gelassenen Truppen befolgten theils das Beispiel,
mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen
nach Hause, theils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die
letzten Schaaren nahm Carrinas zusammen und führte sie nach
Latium zu der Armee vor Praeneste. Hier hatte nichts sich ver-
ändert. Auch Carrinas Corps vermochte nicht Sullas Stellung zu
erschüttern, und schon näherte sich die Vorhut der oligarchi-
schen Nordarmee unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die
Schlinge um das samnitisch-römische Heer sich zusammen. Da
entschlossen sich die Führer desselben von Praeneste abzulassen
und mit gesammter Hand auf das nur einen starken Tagemarsch
entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verlo-
ren; ihre Rückzugslinie, die latinische Strasse, gerieth durch diesen
Marsch in Sullas Hand und in der Stadt, die der Vertheidigung
keinerlei Hülfsmittel darbot, eingekeilt zwischen Metellus und
Sullas weit überlegenen Armeen, wurden sie unfehlbar erdrückt.
Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern ein-
zig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wuthaus-
bruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor allem der ver-
zweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von
Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit
geraubt hätten, los zu werden, müsse man den Wald vernichten,
in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr

CINNA UND SULLA.
und die totale Auflösung seines Corps, von dem nur etwa
1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf die Nachricht von
dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die
gegen ihn zurückgebliebene Abtheilung bei Fidentia (zwischen
Piacenza und Parma). Das lucanische Corps des Albinovanus
trat in Masse über; der Führer machte seine anfängliche Zöge-
rung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolu-
tionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei
niedermachen lieſs; überhaupt schloſs, wer irgend nur durfte,
jetzt seinen Frieden. Ariminum gerieth mit allen Vorräthen und
Kassen in Metellus Hand; Norbanus schiffte nach Rhodos sich
ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte
das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Trup-
pen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte
Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als
Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor
er die Fassung; obwohl er eine noch immer ansehnliche Trup-
penmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heim-
lich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Africa sich ein.
Die im Stich gelassenen Truppen befolgten theils das Beispiel,
mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen
nach Hause, theils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die
letzten Schaaren nahm Carrinas zusammen und führte sie nach
Latium zu der Armee vor Praeneste. Hier hatte nichts sich ver-
ändert. Auch Carrinas Corps vermochte nicht Sullas Stellung zu
erschüttern, und schon näherte sich die Vorhut der oligarchi-
schen Nordarmee unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die
Schlinge um das samnitisch-römische Heer sich zusammen. Da
entschlossen sich die Führer desselben von Praeneste abzulassen
und mit gesammter Hand auf das nur einen starken Tagemarsch
entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verlo-
ren; ihre Rückzugslinie, die latinische Straſse, gerieth durch diesen
Marsch in Sullas Hand und in der Stadt, die der Vertheidigung
keinerlei Hülfsmittel darbot, eingekeilt zwischen Metellus und
Sullas weit überlegenen Armeen, wurden sie unfehlbar erdrückt.
Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern ein-
zig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wuthaus-
bruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor allem der ver-
zweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von
Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit
geraubt hätten, los zu werden, müsse man den Wald vernichten,
in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr

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[315/0325] CINNA UND SULLA. und die totale Auflösung seines Corps, von dem nur etwa 1000 Mann nach Etrurien zurückkamen. Auf die Nachricht von dieser Schlacht fiel Lucullus aus Placentia aus und schlug die gegen ihn zurückgebliebene Abtheilung bei Fidentia (zwischen Piacenza und Parma). Das lucanische Corps des Albinovanus trat in Masse über; der Führer machte seine anfängliche Zöge- rung wieder gut, indem er die vornehmsten Offiziere der revolu- tionären Armee zu einem Bankett bei sich einlud und sie dabei niedermachen lieſs; überhaupt schloſs, wer irgend nur durfte, jetzt seinen Frieden. Ariminum gerieth mit allen Vorräthen und Kassen in Metellus Hand; Norbanus schiffte nach Rhodos sich ein; das ganze Land zwischen Alpen und Apenninen erkannte das Optimatenregiment an. Die bisher dort beschäftigten Trup- pen konnten sich wenden zum Angriff auf Etrurien, die letzte Landschaft, wo die Gegner noch das Feld behaupteten. Als Carbo im Lager bei Clusium diese Nachrichten erhielt, verlor er die Fassung; obwohl er eine noch immer ansehnliche Trup- penmasse unter seinen Befehlen hatte, entwich er dennoch heim- lich aus seinem Hauptquartier und schiffte nach Africa sich ein. Die im Stich gelassenen Truppen befolgten theils das Beispiel, mit dem der Feldherr ihnen vorangegangen war, und gingen nach Hause, theils wurden sie von Pompeius aufgerieben; die letzten Schaaren nahm Carrinas zusammen und führte sie nach Latium zu der Armee vor Praeneste. Hier hatte nichts sich ver- ändert. Auch Carrinas Corps vermochte nicht Sullas Stellung zu erschüttern, und schon näherte sich die Vorhut der oligarchi- schen Nordarmee unter Pompeius; in wenigen Tagen zog die Schlinge um das samnitisch-römische Heer sich zusammen. Da entschlossen sich die Führer desselben von Praeneste abzulassen und mit gesammter Hand auf das nur einen starken Tagemarsch entfernte Rom sich zu werfen. Militärisch waren sie damit verlo- ren; ihre Rückzugslinie, die latinische Straſse, gerieth durch diesen Marsch in Sullas Hand und in der Stadt, die der Vertheidigung keinerlei Hülfsmittel darbot, eingekeilt zwischen Metellus und Sullas weit überlegenen Armeen, wurden sie unfehlbar erdrückt. Aber es handelte sich auch nicht mehr um Rettung, sondern ein- zig um Rache bei diesem Zug nach Rom, dem letzten Wuthaus- bruch der leidenschaftlichen Revolutionäre und vor allem der ver- zweifelnden sabellischen Nation. Es war Ernst, was Pontius von Telesia den Seinigen zurief: um der Wölfe, die Italien die Freiheit geraubt hätten, los zu werden, müsse man den Wald vernichten, in dem sie hausten. Nie hat Rom in einer furchtbareren Gefahr

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/325>, abgerufen am 22.11.2024.