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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten
beim Becher leicht begreiflich, dass es besser sei sie zu Kamera-
den als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den
Feldherrn diesem gefährlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die
Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; es
war Scipio, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla
behauptete, dass es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlos-
sen gewesen sei; worauf Scipios Soldaten, unter dem Vorwand,
dass ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, in
Masse übergingen in die feindlichen Reihen. Die Scene schloss mit
einer allgemeinen Umarmung, der die commandirenden Offiziere
der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla liess den Consul
auffordern sein Amt niederzulegen, was er that, und ihn nebst sei-
nem Stab durch seine Reiter dahin escortiren, wohin sie begehrten;
allein kaum in Freiheit gesetzt legte Scipio die Abzeichen seiner
Würde wieder an und begann aufs neue Truppen zusammenzu-
ziehen, ohne indess weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla
und Metellus nahmen Winterquartiere in Campanien und hielten,
nachdem ein zweiter Versuch mit Norbanus sich zu verständigen
gescheitert war, Capua den Winter über blokirt.

Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Un-
terwerfung von Apulien, Picenum und Campanien, die Auflösung
der einen, die Besiegung und Blokirung der andern consulari-
schen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genöthigt
jede für sich Partei zwischen ihren zwiefachen Drängern zu er-
greifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und liessen sich die
von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förm-
liche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garanti-
ren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absicht-
lich zur Schau die revolutionäre Regierung in dem nächsten
Feldzug niederwerfen und wieder in Rom einziehen zu können.
-- Aber auch der Revolution schien die Angst und die Verzweif-
lung neue Kräfte zu geben. Das Consulat übernahmen zwei ihrer
entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Mal und Gaius Ma-
rius der Sohn; dass der letztere eben zwanzigjährige Mann ge-
setzmässig das Consulat nicht bekleiden konnte, achtete man so
wenig wie jeden andren Punct der Verfassung. Quintus Serto-
rius, der in dieser und in andern Angelegenheiten eine unbequeme
Kritik machte, wurde angewiesen, sich, um neue Werbungen vor-
zunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das dies-
seitige Spanien zu begeben. Die Kasse zu füllen musste der Se-
nat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräths

VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten
beim Becher leicht begreiflich, daſs es besser sei sie zu Kamera-
den als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den
Feldherrn diesem gefährlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die
Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; es
war Scipio, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla
behauptete, daſs es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlos-
sen gewesen sei; worauf Scipios Soldaten, unter dem Vorwand,
daſs ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, in
Masse übergingen in die feindlichen Reihen. Die Scene schloſs mit
einer allgemeinen Umarmung, der die commandirenden Offiziere
der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla lieſs den Consul
auffordern sein Amt niederzulegen, was er that, und ihn nebst sei-
nem Stab durch seine Reiter dahin escortiren, wohin sie begehrten;
allein kaum in Freiheit gesetzt legte Scipio die Abzeichen seiner
Würde wieder an und begann aufs neue Truppen zusammenzu-
ziehen, ohne indeſs weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla
und Metellus nahmen Winterquartiere in Campanien und hielten,
nachdem ein zweiter Versuch mit Norbanus sich zu verständigen
gescheitert war, Capua den Winter über blokirt.

Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Un-
terwerfung von Apulien, Picenum und Campanien, die Auflösung
der einen, die Besiegung und Blokirung der andern consulari-
schen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genöthigt
jede für sich Partei zwischen ihren zwiefachen Drängern zu er-
greifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und lieſsen sich die
von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förm-
liche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garanti-
ren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absicht-
lich zur Schau die revolutionäre Regierung in dem nächsten
Feldzug niederwerfen und wieder in Rom einziehen zu können.
— Aber auch der Revolution schien die Angst und die Verzweif-
lung neue Kräfte zu geben. Das Consulat übernahmen zwei ihrer
entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Mal und Gaius Ma-
rius der Sohn; daſs der letztere eben zwanzigjährige Mann ge-
setzmäſsig das Consulat nicht bekleiden konnte, achtete man so
wenig wie jeden andren Punct der Verfassung. Quintus Serto-
rius, der in dieser und in andern Angelegenheiten eine unbequeme
Kritik machte, wurde angewiesen, sich, um neue Werbungen vor-
zunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das dies-
seitige Spanien zu begeben. Die Kasse zu füllen muſste der Se-
nat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräths

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[310/0320] VIERTES BUCH. KAPITEL IX. versehen, machten es den nicht allzu kriegslustigen Rekruten beim Becher leicht begreiflich, daſs es besser sei sie zu Kamera- den als zu Feinden zu haben; vergeblich warnte Sertorius den Feldherrn diesem gefährlichen Verkehr ein Ende zu machen. Die Verständigung, die so nahe geschienen, trat doch nicht ein; es war Scipio, welcher den Waffenstillstand kündigte. Aber Sulla behauptete, daſs es zu spät und der Vertrag bereits abgeschlos- sen gewesen sei; worauf Scipios Soldaten, unter dem Vorwand, daſs ihr Feldherr den Waffenstillstand widerrechtlich aufgesagt, in Masse übergingen in die feindlichen Reihen. Die Scene schloſs mit einer allgemeinen Umarmung, der die commandirenden Offiziere der Revolutionsarmee zuzusehen hatten. Sulla lieſs den Consul auffordern sein Amt niederzulegen, was er that, und ihn nebst sei- nem Stab durch seine Reiter dahin escortiren, wohin sie begehrten; allein kaum in Freiheit gesetzt legte Scipio die Abzeichen seiner Würde wieder an und begann aufs neue Truppen zusammenzu- ziehen, ohne indeſs weiter etwas von Belang auszurichten. Sulla und Metellus nahmen Winterquartiere in Campanien und hielten, nachdem ein zweiter Versuch mit Norbanus sich zu verständigen gescheitert war, Capua den Winter über blokirt. Die Ergebnisse des ersten Feldzugs waren für Sulla die Un- terwerfung von Apulien, Picenum und Campanien, die Auflösung der einen, die Besiegung und Blokirung der andern consulari- schen Armee. Schon traten die italischen Gemeinden, genöthigt jede für sich Partei zwischen ihren zwiefachen Drängern zu er- greifen, zahlreich mit ihm in Unterhandlung und lieſsen sich die von der Gegenpartei erworbenen politischen Rechte durch förm- liche Separatverträge von dem Feldherrn der Oligarchie garanti- ren; Sulla hegte die bestimmte Erwartung und trug sie absicht- lich zur Schau die revolutionäre Regierung in dem nächsten Feldzug niederwerfen und wieder in Rom einziehen zu können. — Aber auch der Revolution schien die Angst und die Verzweif- lung neue Kräfte zu geben. Das Consulat übernahmen zwei ihrer entschiedensten Führer, Carbo zum dritten Mal und Gaius Ma- rius der Sohn; daſs der letztere eben zwanzigjährige Mann ge- setzmäſsig das Consulat nicht bekleiden konnte, achtete man so wenig wie jeden andren Punct der Verfassung. Quintus Serto- rius, der in dieser und in andern Angelegenheiten eine unbequeme Kritik machte, wurde angewiesen, sich, um neue Werbungen vor- zunehmen, nach Etrurien und von da in seine Provinz, das dies- seitige Spanien zu begeben. Die Kasse zu füllen muſste der Se- nat die Einschmelzung des goldenen und silbernen Tempelgeräths

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/320>, abgerufen am 15.05.2024.