Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
niten feindlich gegenüberstand. Strabo dagegen, der keinen
Feind vor sich hatte, hätte mit seiner starken und ihm ergebe-
nen Armee wahrscheinlich den Brand im Beginnen zu ersticken
vermocht, wenn er gewollt hätte; allein er verhandelte mit beiden
Parteien und rührte sich nicht -- es schien, als wolle er eine die
andere aufreiben lassen und dann als Schiedsrichter zwischen sie
treten. So kam es in der That zur Umstellung Roms durch
Cinna und Marius. Marius, jetzt an der Spitze von drei Legio-
nen, lief an den Küstenplätzen Latiums an und besetzte eine Ort-
schaft nach der andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrath in
seine Gewalt kam und gleichsam zum Vorspiel des herannahen-
den Schreckenregiments der wilden Bande von dem Feldherrn
zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Cinna liess Arimi-
num besetzen und unterbrach dadurch die wichtige Verbindung
der Hauptstadt auf der flaminischen Strasse mit dem Pothal, von
wo die Regierung Mannschaft und Zufuhr erwartete. Er selbst
und ein anderes Corps unter Carbo stellten sich auf am rechten
Tiberufer dem Janiculum gegenüber, Sertorius am linken bei
dem servianischen Wall; Marius gelang es die Tiber durch eine
Schiffbrücke abzusperren. Die Hauptstadt schwebte in grosser
Gefahr; die Consuln Octavius und Merula liessen eiligst Mauern
und Thore in Vertheidigungszustand setzen und besetzten mit
dem Bürgeraufgebot das Janiculum. Der Senat entschloss sich,
um den Uebertritt der Neubürger und der Italiker zu Cinna zu
hemmen und das Heer des Metellus aus Samnium wegziehen zu
können, den sämmtlichen italischen Gemeinden, so weit sie es
noch nicht hatten, das römische Vollbürgerrecht zu verleihen *.
So opferte die Regierung, um die Quelle zu verstopfen, die den
besiegten Strassenkrawall zu einer furchtbaren Insurrection an-
geschwellt hatte, jetzt freiwillig auf, was in dem Bundesgenossen-
krieg um so fürchterlich theuren Preis errungen worden war; allein
als die von den einsichtigen Männern sofort verdammte Politik
der halben Concessionen jetzt verlassen ward, war es bereits zu
spät. Zwar erklärte sich in Folge dieses Beschlusses ein Theil der
noch schwankenden italischen Gemeinden für den Senat; allein
die Samniten stellten demselben Bedingungen, als wären sie Sie-

* Dass eine Bestätigung durch die Comitien nicht stattfand, geht aus
Cic. Phil. 12, 11 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu
haben die Frist des plautisch-papirischen Gesetzes (S. 230) einfach zu
verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und thatsächlich hinauslief
auf Ertheilung des Bürgerrechts an alle Italiker.

VIERTES BUCH. KAPITEL IX.
niten feindlich gegenüberstand. Strabo dagegen, der keinen
Feind vor sich hatte, hätte mit seiner starken und ihm ergebe-
nen Armee wahrscheinlich den Brand im Beginnen zu ersticken
vermocht, wenn er gewollt hätte; allein er verhandelte mit beiden
Parteien und rührte sich nicht — es schien, als wolle er eine die
andere aufreiben lassen und dann als Schiedsrichter zwischen sie
treten. So kam es in der That zur Umstellung Roms durch
Cinna und Marius. Marius, jetzt an der Spitze von drei Legio-
nen, lief an den Küstenplätzen Latiums an und besetzte eine Ort-
schaft nach der andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrath in
seine Gewalt kam und gleichsam zum Vorspiel des herannahen-
den Schreckenregiments der wilden Bande von dem Feldherrn
zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Cinna lieſs Arimi-
num besetzen und unterbrach dadurch die wichtige Verbindung
der Hauptstadt auf der flaminischen Straſse mit dem Pothal, von
wo die Regierung Mannschaft und Zufuhr erwartete. Er selbst
und ein anderes Corps unter Carbo stellten sich auf am rechten
Tiberufer dem Janiculum gegenüber, Sertorius am linken bei
dem servianischen Wall; Marius gelang es die Tiber durch eine
Schiffbrücke abzusperren. Die Hauptstadt schwebte in groſser
Gefahr; die Consuln Octavius und Merula lieſsen eiligst Mauern
und Thore in Vertheidigungszustand setzen und besetzten mit
dem Bürgeraufgebot das Janiculum. Der Senat entschloſs sich,
um den Uebertritt der Neubürger und der Italiker zu Cinna zu
hemmen und das Heer des Metellus aus Samnium wegziehen zu
können, den sämmtlichen italischen Gemeinden, so weit sie es
noch nicht hatten, das römische Vollbürgerrecht zu verleihen *.
So opferte die Regierung, um die Quelle zu verstopfen, die den
besiegten Straſsenkrawall zu einer furchtbaren Insurrection an-
geschwellt hatte, jetzt freiwillig auf, was in dem Bundesgenossen-
krieg um so fürchterlich theuren Preis errungen worden war; allein
als die von den einsichtigen Männern sofort verdammte Politik
der halben Concessionen jetzt verlassen ward, war es bereits zu
spät. Zwar erklärte sich in Folge dieses Beschlusses ein Theil der
noch schwankenden italischen Gemeinden für den Senat; allein
die Samniten stellten demselben Bedingungen, als wären sie Sie-

* Daſs eine Bestätigung durch die Comitien nicht stattfand, geht aus
Cic. Phil. 12, 11 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu
haben die Frist des plautisch-papirischen Gesetzes (S. 230) einfach zu
verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und thatsächlich hinauslief
auf Ertheilung des Bürgerrechts an alle Italiker.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0306" n="296"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL IX.</fw><lb/>
niten feindlich gegenüberstand. Strabo dagegen, der keinen<lb/>
Feind vor sich hatte, hätte mit seiner starken und ihm ergebe-<lb/>
nen Armee wahrscheinlich den Brand im Beginnen zu ersticken<lb/>
vermocht, wenn er gewollt hätte; allein er verhandelte mit beiden<lb/>
Parteien und rührte sich nicht &#x2014; es schien, als wolle er eine die<lb/>
andere aufreiben lassen und dann als Schiedsrichter zwischen sie<lb/>
treten. So kam es in der That zur Umstellung Roms durch<lb/>
Cinna und Marius. Marius, jetzt an der Spitze von drei Legio-<lb/>
nen, lief an den Küstenplätzen Latiums an und besetzte eine Ort-<lb/>
schaft nach der andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrath in<lb/>
seine Gewalt kam und gleichsam zum Vorspiel des herannahen-<lb/>
den Schreckenregiments der wilden Bande von dem Feldherrn<lb/>
zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Cinna lie&#x017F;s Arimi-<lb/>
num besetzen und unterbrach dadurch die wichtige Verbindung<lb/>
der Hauptstadt auf der flaminischen Stra&#x017F;se mit dem Pothal, von<lb/>
wo die Regierung Mannschaft und Zufuhr erwartete. Er selbst<lb/>
und ein anderes Corps unter Carbo stellten sich auf am rechten<lb/>
Tiberufer dem Janiculum gegenüber, Sertorius am linken bei<lb/>
dem servianischen Wall; Marius gelang es die Tiber durch eine<lb/>
Schiffbrücke abzusperren. Die Hauptstadt schwebte in gro&#x017F;ser<lb/>
Gefahr; die Consuln Octavius und Merula lie&#x017F;sen eiligst Mauern<lb/>
und Thore in Vertheidigungszustand setzen und besetzten mit<lb/>
dem Bürgeraufgebot das Janiculum. Der Senat entschlo&#x017F;s sich,<lb/>
um den Uebertritt der Neubürger und der Italiker zu Cinna zu<lb/>
hemmen und das Heer des Metellus aus Samnium wegziehen zu<lb/>
können, den sämmtlichen italischen Gemeinden, so weit sie es<lb/>
noch nicht hatten, das römische Vollbürgerrecht zu verleihen <note place="foot" n="*">Da&#x017F;s eine Bestätigung durch die Comitien nicht stattfand, geht aus<lb/>
Cic. <hi rendition="#i">Phil.</hi> 12, 11 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu<lb/>
haben die Frist des plautisch-papirischen Gesetzes (S. 230) einfach zu<lb/>
verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und thatsächlich hinauslief<lb/>
auf Ertheilung des Bürgerrechts an alle Italiker.</note>.<lb/>
So opferte die Regierung, um die Quelle zu verstopfen, die den<lb/>
besiegten Stra&#x017F;senkrawall zu einer furchtbaren Insurrection an-<lb/>
geschwellt hatte, jetzt freiwillig auf, was in dem Bundesgenossen-<lb/>
krieg um so fürchterlich theuren Preis errungen worden war; allein<lb/>
als die von den einsichtigen Männern sofort verdammte Politik<lb/>
der halben Concessionen jetzt verlassen ward, war es bereits zu<lb/>
spät. Zwar erklärte sich in Folge dieses Beschlusses ein Theil der<lb/>
noch schwankenden italischen Gemeinden für den Senat; allein<lb/>
die Samniten stellten demselben Bedingungen, als wären sie Sie-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0306] VIERTES BUCH. KAPITEL IX. niten feindlich gegenüberstand. Strabo dagegen, der keinen Feind vor sich hatte, hätte mit seiner starken und ihm ergebe- nen Armee wahrscheinlich den Brand im Beginnen zu ersticken vermocht, wenn er gewollt hätte; allein er verhandelte mit beiden Parteien und rührte sich nicht — es schien, als wolle er eine die andere aufreiben lassen und dann als Schiedsrichter zwischen sie treten. So kam es in der That zur Umstellung Roms durch Cinna und Marius. Marius, jetzt an der Spitze von drei Legio- nen, lief an den Küstenplätzen Latiums an und besetzte eine Ort- schaft nach der andern, bis zuletzt sogar Ostia durch Verrath in seine Gewalt kam und gleichsam zum Vorspiel des herannahen- den Schreckenregiments der wilden Bande von dem Feldherrn zu Mord und Plünderung preisgegeben ward. Cinna lieſs Arimi- num besetzen und unterbrach dadurch die wichtige Verbindung der Hauptstadt auf der flaminischen Straſse mit dem Pothal, von wo die Regierung Mannschaft und Zufuhr erwartete. Er selbst und ein anderes Corps unter Carbo stellten sich auf am rechten Tiberufer dem Janiculum gegenüber, Sertorius am linken bei dem servianischen Wall; Marius gelang es die Tiber durch eine Schiffbrücke abzusperren. Die Hauptstadt schwebte in groſser Gefahr; die Consuln Octavius und Merula lieſsen eiligst Mauern und Thore in Vertheidigungszustand setzen und besetzten mit dem Bürgeraufgebot das Janiculum. Der Senat entschloſs sich, um den Uebertritt der Neubürger und der Italiker zu Cinna zu hemmen und das Heer des Metellus aus Samnium wegziehen zu können, den sämmtlichen italischen Gemeinden, so weit sie es noch nicht hatten, das römische Vollbürgerrecht zu verleihen *. So opferte die Regierung, um die Quelle zu verstopfen, die den besiegten Straſsenkrawall zu einer furchtbaren Insurrection an- geschwellt hatte, jetzt freiwillig auf, was in dem Bundesgenossen- krieg um so fürchterlich theuren Preis errungen worden war; allein als die von den einsichtigen Männern sofort verdammte Politik der halben Concessionen jetzt verlassen ward, war es bereits zu spät. Zwar erklärte sich in Folge dieses Beschlusses ein Theil der noch schwankenden italischen Gemeinden für den Senat; allein die Samniten stellten demselben Bedingungen, als wären sie Sie- * Daſs eine Bestätigung durch die Comitien nicht stattfand, geht aus Cic. Phil. 12, 11 hervor. Der Senat scheint sich der Form bedient zu haben die Frist des plautisch-papirischen Gesetzes (S. 230) einfach zu verlängern, was ihm nach Herkommen freistand und thatsächlich hinauslief auf Ertheilung des Bürgerrechts an alle Italiker.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/306
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/306>, abgerufen am 15.05.2024.