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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Politisch war diese Massregel nicht bloss ohne jeden vernünftigen
Zweck -- denn der finanzielle liess auch ohne diesen Blutbefehl
sich erreichen und die Kleinasiaten waren selbst durch das Be-
wusstsein des ärgsten Frevels nicht zum nationalen Enthusias-
mus zu treiben --, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einer-
seits den römischen Senat, so weit er irgend noch der Energie
fähig war, zur energischen Kriegführung zwang, andrerseits nicht
bloss die Römer traf, sondern ebenso gut des Königs natürliche
Bundesgenossen, die nicht römischen Italiker. Es ist dieser ephe-
sische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Act der
thierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Pro-
portionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen
Schein von Grossartigkeit erhält. -- Ueberhaupt ging des Königs
Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber
der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten Sulla
liessen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er
richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen
Statthalters Pergamon ward seine neue Hauptstadt, das alte Reich
von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn Mi-
thradates zur Verwaltung übergeben: Kappadokien, Phrygien, Bi-
thynien wurden organisirt als pontische Satrapien. Die Grossen
des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben
und Lehen bedacht und sämmtlichen Gemeinden nicht bloss die
rückständigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf
fünf Jahre zugesichert -- eine Massregel, die ebenso verkehrt
war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch
sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. -- Freilich
füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die uner-
messlichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und an-
deren Confiscationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos
800 Talente (1373000 Thlr.), welche die Juden dort deponirt
hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche
Theil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln wa-
ren in des Königs Gewalt; ausser den kleinen paphlagonischen
Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt;
das gesammte aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flot-
ten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und Ly-
kien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward
zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Mae-
ander aber bestand glücklich eine schwere Belagerung, bei wel-
cher Mithradates bester Capitän Archelaos geschlagen und ver-
wundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkom-

VIERTES BUCH. KAPITEL VIII.
Politisch war diese Maſsregel nicht bloſs ohne jeden vernünftigen
Zweck — denn der finanzielle lieſs auch ohne diesen Blutbefehl
sich erreichen und die Kleinasiaten waren selbst durch das Be-
wuſstsein des ärgsten Frevels nicht zum nationalen Enthusias-
mus zu treiben —, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einer-
seits den römischen Senat, so weit er irgend noch der Energie
fähig war, zur energischen Kriegführung zwang, andrerseits nicht
bloſs die Römer traf, sondern ebenso gut des Königs natürliche
Bundesgenossen, die nicht römischen Italiker. Es ist dieser ephe-
sische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Act der
thierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Pro-
portionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen
Schein von Groſsartigkeit erhält. — Ueberhaupt ging des Königs
Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber
der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten Sulla
lieſsen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er
richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen
Statthalters Pergamon ward seine neue Hauptstadt, das alte Reich
von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn Mi-
thradates zur Verwaltung übergeben: Kappadokien, Phrygien, Bi-
thynien wurden organisirt als pontische Satrapien. Die Groſsen
des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben
und Lehen bedacht und sämmtlichen Gemeinden nicht bloſs die
rückständigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf
fünf Jahre zugesichert — eine Maſsregel, die ebenso verkehrt
war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch
sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. — Freilich
füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die uner-
meſslichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und an-
deren Confiscationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos
800 Talente (1373000 Thlr.), welche die Juden dort deponirt
hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche
Theil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln wa-
ren in des Königs Gewalt; auſser den kleinen paphlagonischen
Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt;
das gesammte aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flot-
ten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und Ly-
kien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward
zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Mae-
ander aber bestand glücklich eine schwere Belagerung, bei wel-
cher Mithradates bester Capitän Archelaos geschlagen und ver-
wundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkom-

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[274/0284] VIERTES BUCH. KAPITEL VIII. Politisch war diese Maſsregel nicht bloſs ohne jeden vernünftigen Zweck — denn der finanzielle lieſs auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen und die Kleinasiaten waren selbst durch das Be- wuſstsein des ärgsten Frevels nicht zum nationalen Enthusias- mus zu treiben —, sondern sogar zweckwidrig, indem sie einer- seits den römischen Senat, so weit er irgend noch der Energie fähig war, zur energischen Kriegführung zwang, andrerseits nicht bloſs die Römer traf, sondern ebenso gut des Königs natürliche Bundesgenossen, die nicht römischen Italiker. Es ist dieser ephe- sische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser Act der thierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Pro- portionen, in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Groſsartigkeit erhält. — Ueberhaupt ging des Königs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefürchteten Sulla lieſsen ihn übergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich häuslich in Vorderasien ein; der Sitz des römischen Statthalters Pergamon ward seine neue Hauptstadt, das alte Reich von Sinope wurde als Statthalterschaft an des Königs Sohn Mi- thradates zur Verwaltung übergeben: Kappadokien, Phrygien, Bi- thynien wurden organisirt als pontische Satrapien. Die Groſsen des Reichs und des Königs Günstlinge wurden mit reichen Gaben und Lehen bedacht und sämmtlichen Gemeinden nicht bloſs die rückständigen Steuern erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf fünf Jahre zugesichert — eine Maſsregel, die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Römer, wenn der König dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte. — Freilich füllte des Königs Schatz ohnehin sich reichlich durch die uner- meſslichen Summen, die aus dem Vermögen der Italiker und an- deren Confiscationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1373000 Thlr.), welche die Juden dort deponirt hatten, von Mithradates weggenommen wurden. Der nördliche Theil von Kleinasien und die meisten dazu gehörigen Inseln wa- ren in des Königs Gewalt; auſser den kleinen paphlagonischen Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesammte aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flot- ten. Nur der Südwesten, die Städtebünde von Karien und Ly- kien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Mae- ander aber bestand glücklich eine schwere Belagerung, bei wel- cher Mithradates bester Capitän Archelaos geschlagen und ver- wundet ward. Rhodos, der Zufluchtsort der aus Asien entkom-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/284>, abgerufen am 22.11.2024.