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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
gleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und
weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die rö-
mische Suprematie, der nationalen Reaction der Asiaten gegen
die Occidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich
ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herr-
schend am Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Re-
ligion der Landesbewohner wie die officielle des Hofes vorwie-
gend der alte Nationalcult; der Hellenismus daselbst war wenig ver-
schieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und
der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen
Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen Träume
an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der That ward
in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als wor-
über auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung
fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem un-
geheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von
den Kämpfen bei Marathon auf die heutige Generation sich ver-
erbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden
zählen wird wie seine Vergangenheit.

Das Reich, dessen Zügel Mithradates zu seinen Jahren ge-
kommen mit fester Hand ergriff, war schon nicht unbedeutend,
wenngleich der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500
deutsche Meilen angegeben wird. Die pontische Landschaft ist
noch heute eine der lachendsten der Erde; Getreidefelder wech-
seln mit Wäldern von wilden Obstbäumen. Allein mit Ausnahme
der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen
bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus,
Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats
und die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land
noch in einem sehr primitiven Zustand. Eigentliche Städte gab
es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackersleuten als
Zufluchtstätten und dem König als Schatzkammern zur Aufbe-
wahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in
Kleinarmenien 75 solcher kleiner königlicher Castelle gezählt
wurden. Wir finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu ge-
than hätte das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubrin-
gen; um so thätiger erscheint er bemüht sein Gebiet und seinen
Einfluss nach allen Seiten hin auszudehnen: am schwarzen Meer
wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere,
seine Flotten und seine Botschafter thätig. Nirgends aber bot
sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den öst-

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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
gleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas
gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und
weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die rö-
mische Suprematie, der nationalen Reaction der Asiaten gegen
die Occidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich
ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herr-
schend am Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Re-
ligion der Landesbewohner wie die officielle des Hofes vorwie-
gend der alte Nationalcult; der Hellenismus daselbst war wenig ver-
schieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und
der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen
Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen Träume
an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der That ward
in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als wor-
über auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung
fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem un-
geheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von
den Kämpfen bei Marathon auf die heutige Generation sich ver-
erbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden
zählen wird wie seine Vergangenheit.

Das Reich, dessen Zügel Mithradates zu seinen Jahren ge-
kommen mit fester Hand ergriff, war schon nicht unbedeutend,
wenngleich der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500
deutsche Meilen angegeben wird. Die pontische Landschaft ist
noch heute eine der lachendsten der Erde; Getreidefelder wech-
seln mit Wäldern von wilden Obstbäumen. Allein mit Ausnahme
der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen
bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus,
Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats
und die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land
noch in einem sehr primitiven Zustand. Eigentliche Städte gab
es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackersleuten als
Zufluchtstätten und dem König als Schatzkammern zur Aufbe-
wahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in
Kleinarmenien 75 solcher kleiner königlicher Castelle gezählt
wurden. Wir finden nicht, daſs Mithradates wesentlich dazu ge-
than hätte das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubrin-
gen; um so thätiger erscheint er bemüht sein Gebiet und seinen
Einfluſs nach allen Seiten hin auszudehnen: am schwarzen Meer
wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere,
seine Flotten und seine Botschafter thätig. Nirgends aber bot
sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den öst-

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[259/0269] DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. gleich die letzte Regung der politischen Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und weit tieferen Gegensätzen beruhenden Auflehnung gegen die rö- mische Suprematie, der nationalen Reaction der Asiaten gegen die Occidentalen. Wie Mithradates selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das Haremwesen herr- schend am Hofe und überhaupt unter den Vornehmen, die Re- ligion der Landesbewohner wie die officielle des Hofes vorwie- gend der alte Nationalcult; der Hellenismus daselbst war wenig ver- schieden von dem Hellenismus der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick für ihre politischen Träume an diesem König einen Halt zu finden meinen; in der That ward in seinen Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als wor- über auf den Feldern von Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein neuer Gang in dem un- geheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von den Kämpfen bei Marathon auf die heutige Generation sich ver- erbt hat und vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zählen wird wie seine Vergangenheit. Das Reich, dessen Zügel Mithradates zu seinen Jahren ge- kommen mit fester Hand ergriff, war schon nicht unbedeutend, wenngleich der Umfang desselben wohl übertrieben auf 500 deutsche Meilen angegeben wird. Die pontische Landschaft ist noch heute eine der lachendsten der Erde; Getreidefelder wech- seln mit Wäldern von wilden Obstbäumen. Allein mit Ausnahme der Küste, wo mehrere ursprünglich griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplätze Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die blühendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr primitiven Zustand. Eigentliche Städte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen, die den Ackersleuten als Zufluchtstätten und dem König als Schatzkammern zur Aufbe- wahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien 75 solcher kleiner königlicher Castelle gezählt wurden. Wir finden nicht, daſs Mithradates wesentlich dazu ge- than hätte das städtische Wesen in seinem Reiche emporzubrin- gen; um so thätiger erscheint er bemüht sein Gebiet und seinen Einfluſs nach allen Seiten hin auszudehnen: am schwarzen Meer wie gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und seine Botschafter thätig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter Spielraum wie an den öst- 17*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/269>, abgerufen am 22.11.2024.