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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
setzten Preise -- und nicht minder in den Freuden des Harem,
wie unter Anderm die zügellosen Billets seiner griechischen Kebs-
weiber bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine
geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben --
Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen füllten nicht
wenige der Stunden des Königs aus -- und in einer rohen An-
eignung der hellenischen Civilisation. Er liebte griechische Kunst
und Musik, das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geräth,
alte persische und griechische Prachtstücke -- sein Ringkabinet
war berühmt --, hatte stets griechische Geschichtsschreiber, Phi-
losophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hof-
festen neben den Preisen für Essen und Trinken auch welche aus
für den lustigsten Spassmacher und den besten Sänger. So war
der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Ver-
hältniss des Herrschers und der Beherrschten mehr den Cha-
rakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes trägt, ist der Unter-
than hündisch treu und hündisch falsch, der Herrscher grausam
und misstrauisch. In beidem ist Mithradates kaum übertroffen
worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft
wegen wirklicher oder angeblicher Verrätherei seine Mutter, sein
Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und
ebensoviele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es,
dass sich unter seinen geheimen Papieren im Voraus aufgesetzte
Todesurtheile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vor-
fanden. Ebenso ist es ächt sultanisch, dass er späterhin, nur um
seinen Feinden die Siegstrophäen zu entziehen, seinen ganzen
Harem tödten liess und seine geliebteste Kebse, eine schöne
Ephesierin, dadurch auszeichnete, dass er ihr die Wahl der Todes-
art freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte
betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte
und versuchte seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen.
Verrath und Mord hatte er von früh auf von Jedermann und zu-
meist von den Nächsten erwarten und gegen Jedermann und zu-
meist gegen die Nächsten üben gelernt; wovon denn die noth-
wendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war,
dass all seine Unternehmungen schliesslich misslangen durch die
Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne
Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräther bestrafte,
schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persön-
liches Verhältniss zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden
waren; allein dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem
rohen Tyrannen. Was Mithradates in der That auszeichnet unter

Röm. Gesch. II. 17

DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES.
setzten Preise — und nicht minder in den Freuden des Harem,
wie unter Anderm die zügellosen Billets seiner griechischen Kebs-
weiber bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine
geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben —
Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen füllten nicht
wenige der Stunden des Königs aus — und in einer rohen An-
eignung der hellenischen Civilisation. Er liebte griechische Kunst
und Musik, das heiſst er sammelte Pretiosen, reiches Geräth,
alte persische und griechische Prachtstücke — sein Ringkabinet
war berühmt —, hatte stets griechische Geschichtsschreiber, Phi-
losophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hof-
festen neben den Preisen für Essen und Trinken auch welche aus
für den lustigsten Spaſsmacher und den besten Sänger. So war
der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Ver-
hältniſs des Herrschers und der Beherrschten mehr den Cha-
rakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes trägt, ist der Unter-
than hündisch treu und hündisch falsch, der Herrscher grausam
und miſstrauisch. In beidem ist Mithradates kaum übertroffen
worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft
wegen wirklicher oder angeblicher Verrätherei seine Mutter, sein
Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und
ebensoviele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es,
daſs sich unter seinen geheimen Papieren im Voraus aufgesetzte
Todesurtheile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vor-
fanden. Ebenso ist es ächt sultanisch, daſs er späterhin, nur um
seinen Feinden die Siegstrophäen zu entziehen, seinen ganzen
Harem tödten lieſs und seine geliebteste Kebse, eine schöne
Ephesierin, dadurch auszeichnete, daſs er ihr die Wahl der Todes-
art freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte
betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte
und versuchte seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen.
Verrath und Mord hatte er von früh auf von Jedermann und zu-
meist von den Nächsten erwarten und gegen Jedermann und zu-
meist gegen die Nächsten üben gelernt; wovon denn die noth-
wendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war,
daſs all seine Unternehmungen schlieſslich miſslangen durch die
Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne
Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräther bestrafte,
schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persön-
liches Verhältniſs zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden
waren; allein dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem
rohen Tyrannen. Was Mithradates in der That auszeichnet unter

Röm. Gesch. II. 17
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[257/0267] DER OSTEN UND KÖNIG MITHRADATES. setzten Preise — und nicht minder in den Freuden des Harem, wie unter Anderm die zügellosen Billets seiner griechischen Kebs- weiber bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine geistigen Bedürfnisse befriedigte er im wüstesten Aberglauben — Traumdeuterei und das griechische Mysterienwesen füllten nicht wenige der Stunden des Königs aus — und in einer rohen An- eignung der hellenischen Civilisation. Er liebte griechische Kunst und Musik, das heiſst er sammelte Pretiosen, reiches Geräth, alte persische und griechische Prachtstücke — sein Ringkabinet war berühmt —, hatte stets griechische Geschichtsschreiber, Phi- losophen, Poeten in seiner Umgebung und setzte bei seinen Hof- festen neben den Preisen für Essen und Trinken auch welche aus für den lustigsten Spaſsmacher und den besten Sänger. So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Ver- hältniſs des Herrschers und der Beherrschten mehr den Cha- rakter des Natur- als des sittlichen Gesetzes trägt, ist der Unter- than hündisch treu und hündisch falsch, der Herrscher grausam und miſstrauisch. In beidem ist Mithradates kaum übertroffen worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher oder angeblicher Verrätherei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermählte Schwester, drei seiner Söhne und ebensoviele seiner Töchter. Vielleicht noch empörender ist es, daſs sich unter seinen geheimen Papieren im Voraus aufgesetzte Todesurtheile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vor- fanden. Ebenso ist es ächt sultanisch, daſs er späterhin, nur um seinen Feinden die Siegstrophäen zu entziehen, seinen ganzen Harem tödten lieſs und seine geliebteste Kebse, eine schöne Ephesierin, dadurch auszeichnete, daſs er ihr die Wahl der Todes- art freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschäfte und versuchte seinen Körper an einzelne Gifte zu gewöhnen. Verrath und Mord hatte er von früh auf von Jedermann und zu- meist von den Nächsten erwarten und gegen Jedermann und zu- meist gegen die Nächsten üben gelernt; wovon denn die noth- wendige und durch seine ganze Geschichte belegte Folge war, daſs all seine Unternehmungen schlieſslich miſslangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl einzelne Züge von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verräther bestrafte, schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persön- liches Verhältniſs zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein dergleichen Anfälle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was Mithradates in der That auszeichnet unter Röm. Gesch. II. 17

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/267>, abgerufen am 17.05.2024.