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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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von Colonien angeordnet. Es wurde der in den Schlachten und
Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwun-
dene Senat ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senato-
ren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen
ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der le-
gislatorischen Initiative wesentliche Aenderungen vorgenommen.
Die im J. 513 eingeführte Stimmordnung der Centuriatcomitien
(I, 602), in der die fünf Vermögensclassen jede gleich viel Stim-
men besassen, wurde wieder vertauscht mit der alten serviani-
schen, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen
von 100000 Sesterzen (7150 Thlr.) oder mehr allein fast
die Hälfte der Stimmen inne hatte. Thatsächlich ward damit für
die Wahl der Consuln, Praetoren und Censoren ein Census ein-
geführt, der die nicht Wohlhabenden vom activen Wahlrecht
der Sache nach ausschloss. Die legislatorische Initiative wurde
den einzelnen Beamten, namentlich den Volkstribunen, dadurch
beschränkt, dass jeder Antrag fortan zunächst dem Senat vorge-
legt werden musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, vor
das Volk gelangen konnte. -- Diese durch den sulpicischen Re-
volutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Man-
nes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei auf-
getreten war, des Consuls Sulla, tragen einen ganz eigenthüm-
lichen Charakter. Sulla wagte es ohne die Bürgerschaft oder
Geschworne zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer,
darunter den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurtheil
und die Acht auszusprechen und öffentlich zu diesen Hinrich-
tungen sich zu bekennen; eine Verletzung der altheiligen Provo-
cationsgesetze, die selbst von sehr conservativen Männern, wie
zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er
wagte es eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahl-
ordnung umzustossen und den seit langem verschollenen und
verfehmten Wahlcensus wieder herzustellen. Er wagte es das
Recht der Legislation seinen beiden uralten Factoren, den Beam-
ten und den Comitien, thatsächlich zu entziehen und es auf eine
Behörde zu übertragen, die seit ältesten Zeiten kein anderes
Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das gefragt werden
zu können *. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen

Rufus von 666 in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt
aber darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (I, 195) zu sehen, so
dass der höchste erlaubte Zinsfuss wieder des Capitals für das zehn-
monatliche oder 10% für das zwölfmonatliche Jahr ward.
* Das Recht der patricischen Senatoren den Centurienbeschluss zu bil-

VIERTES BUCH. KAPITEL VII.
von Colonien angeordnet. Es wurde der in den Schlachten und
Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwun-
dene Senat ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senato-
ren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen
ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der le-
gislatorischen Initiative wesentliche Aenderungen vorgenommen.
Die im J. 513 eingeführte Stimmordnung der Centuriatcomitien
(I, 602), in der die fünf Vermögensclassen jede gleich viel Stim-
men besaſsen, wurde wieder vertauscht mit der alten serviani-
schen, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen
von 100000 Sesterzen (7150 Thlr.) oder mehr allein fast
die Hälfte der Stimmen inne hatte. Thatsächlich ward damit für
die Wahl der Consuln, Praetoren und Censoren ein Census ein-
geführt, der die nicht Wohlhabenden vom activen Wahlrecht
der Sache nach ausschloſs. Die legislatorische Initiative wurde
den einzelnen Beamten, namentlich den Volkstribunen, dadurch
beschränkt, daſs jeder Antrag fortan zunächst dem Senat vorge-
legt werden muſste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, vor
das Volk gelangen konnte. — Diese durch den sulpicischen Re-
volutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Man-
nes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei auf-
getreten war, des Consuls Sulla, tragen einen ganz eigenthüm-
lichen Charakter. Sulla wagte es ohne die Bürgerschaft oder
Geschworne zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer,
darunter den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurtheil
und die Acht auszusprechen und öffentlich zu diesen Hinrich-
tungen sich zu bekennen; eine Verletzung der altheiligen Provo-
cationsgesetze, die selbst von sehr conservativen Männern, wie
zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er
wagte es eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahl-
ordnung umzustoſsen und den seit langem verschollenen und
verfehmten Wahlcensus wieder herzustellen. Er wagte es das
Recht der Legislation seinen beiden uralten Factoren, den Beam-
ten und den Comitien, thatsächlich zu entziehen und es auf eine
Behörde zu übertragen, die seit ältesten Zeiten kein anderes
Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das gefragt werden
zu können *. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen

Rufus von 666 in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt
aber darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (I, 195) zu sehen, so
daſs der höchste erlaubte Zinsfuſs wieder des Capitals für das zehn-
monatliche oder 10% für das zwölfmonatliche Jahr ward.
* Das Recht der patricischen Senatoren den Centurienbeschluſs zu bil-
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[248/0258] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. von Colonien angeordnet. Es wurde der in den Schlachten und Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwun- dene Senat ergänzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senato- ren, deren Auswahl natürlich im optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des Wahlmodus und der le- gislatorischen Initiative wesentliche Aenderungen vorgenommen. Die im J. 513 eingeführte Stimmordnung der Centuriatcomitien (I, 602), in der die fünf Vermögensclassen jede gleich viel Stim- men besaſsen, wurde wieder vertauscht mit der alten serviani- schen, nach der die erste Steuerklasse mit einem Vermögen von 100000 Sesterzen (7150 Thlr.) oder mehr allein fast die Hälfte der Stimmen inne hatte. Thatsächlich ward damit für die Wahl der Consuln, Praetoren und Censoren ein Census ein- geführt, der die nicht Wohlhabenden vom activen Wahlrecht der Sache nach ausschloſs. Die legislatorische Initiative wurde den einzelnen Beamten, namentlich den Volkstribunen, dadurch beschränkt, daſs jeder Antrag fortan zunächst dem Senat vorge- legt werden muſste und erst, wenn dieser ihn gebilligt hatte, vor das Volk gelangen konnte. — Diese durch den sulpicischen Re- volutionsversuch hervorgerufenen Verfügungen desjenigen Man- nes, der darin als Schild und Schwert der Verfassungspartei auf- getreten war, des Consuls Sulla, tragen einen ganz eigenthüm- lichen Charakter. Sulla wagte es ohne die Bürgerschaft oder Geschworne zu fragen, über zwölf der angesehensten Männer, darunter den berühmtesten General seiner Zeit, das Todesurtheil und die Acht auszusprechen und öffentlich zu diesen Hinrich- tungen sich zu bekennen; eine Verletzung der altheiligen Provo- cationsgesetze, die selbst von sehr conservativen Männern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel erfuhr. Er wagte es eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahl- ordnung umzustoſsen und den seit langem verschollenen und verfehmten Wahlcensus wieder herzustellen. Er wagte es das Recht der Legislation seinen beiden uralten Factoren, den Beam- ten und den Comitien, thatsächlich zu entziehen und es auf eine Behörde zu übertragen, die seit ältesten Zeiten kein anderes Recht in dieser Hinsicht besessen hatte als das gefragt werden zu können *. Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen * * Das Recht der patricischen Senatoren den Centurienbeschluſs zu bil- * Rufus von 666 in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt aber darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (I, 195) zu sehen, so daſs der höchste erlaubte Zinsfuſs wieder [FORMEL] des Capitals für das zehn- monatliche oder 10% für das zwölfmonatliche Jahr ward.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/258>, abgerufen am 18.05.2024.