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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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mente in der Bürgerschaft gegen einander rüttelte, legte er den
Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie
ein Zufall.

Es war der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus, der im
J. 666 bei der Bürgerschaft die Anträge stellte jeden Senator, der
über 2000 Denare schulde, seiner Rathstelle verlustig zu erklä-
ren; den durch unfreie Geschwornengerichte verurtheilten Bür-
gern die Rückkehr in die Heimath zu gestatten; die Neubürger
durch sämmtliche Districte zu vertheilen und imgleichen den
Freigelassenen Stimmrecht in allen Districten zu gestatten. Es
waren Vorschläge, die zum Theil wenigstens aus dem Munde die-
ses Mannes überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geb. 630)
verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adlichen
Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerb-
ten Reichthum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von
den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme,
die lebhaften zuweilen an Theateraction streifenden Geberden, die
üppige Fülle seines Wortstroms imponirten den Hörern, wenn sie
auch nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach hing er von
Haus aus der Senatspartei an und sein erstes politisches Auftre-
ten (659) war die Anklage des der Regierungspartei tödtlich ver-
hassten Norbanus gewesen (S. 199). Zwar gehörte er unter den
Conservativen zu der Fraction des Crassus und Drusus, hatte nach
dem Ausbruch des Krieges die Gefahren derselben getheilt und
war fast der einzige namhafte aus denselben unversehrt hervor-
gegangene Mann; nichts desto weniger dachte er auch jetzt noch
wie früher und war revolutionären Neuerungen abgeneigt. Indem
er so eben noch einen seiner Collegen durch sein Einschreiten
verhindert hatte die auf Grund des varischen Gesetzes ergangenen
Geschwornenurtheile durch Volksschluss zu cassiren, hatte er be-
wiesen, dass er, ganz im Sinne des Drusus, die Verfassung ein-
gehalten wissen wollte, auch wo sie ihm persönlich unbequem
fiel. Was von sich selbst forderte er denn auch von Andern: als
der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
Ueberspringung der Praetur um das Consulat für 667 bewarb,
wie es heisst in der Absicht sich später die Führung des asiati-
schen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und
schärfer als irgend ein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Der
Bruch mit der mächtigen Familie der Julier, unter denen na-
mentlich der Bruder des Gaius, der Consular Lucius Caesar im
Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben anhängenden
Fraction der Aristokratie scheint für Rufus die nächste Veran-

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mente in der Bürgerschaft gegen einander rüttelte, legte er den
Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie
ein Zufall.

Es war der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus, der im
J. 666 bei der Bürgerschaft die Anträge stellte jeden Senator, der
über 2000 Denare schulde, seiner Rathstelle verlustig zu erklä-
ren; den durch unfreie Geschwornengerichte verurtheilten Bür-
gern die Rückkehr in die Heimath zu gestatten; die Neubürger
durch sämmtliche Districte zu vertheilen und imgleichen den
Freigelassenen Stimmrecht in allen Districten zu gestatten. Es
waren Vorschläge, die zum Theil wenigstens aus dem Munde die-
ses Mannes überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geb. 630)
verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adlichen
Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerb-
ten Reichthum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von
den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme,
die lebhaften zuweilen an Theateraction streifenden Geberden, die
üppige Fülle seines Wortstroms imponirten den Hörern, wenn sie
auch nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach hing er von
Haus aus der Senatspartei an und sein erstes politisches Auftre-
ten (659) war die Anklage des der Regierungspartei tödtlich ver-
haſsten Norbanus gewesen (S. 199). Zwar gehörte er unter den
Conservativen zu der Fraction des Crassus und Drusus, hatte nach
dem Ausbruch des Krieges die Gefahren derselben getheilt und
war fast der einzige namhafte aus denselben unversehrt hervor-
gegangene Mann; nichts desto weniger dachte er auch jetzt noch
wie früher und war revolutionären Neuerungen abgeneigt. Indem
er so eben noch einen seiner Collegen durch sein Einschreiten
verhindert hatte die auf Grund des varischen Gesetzes ergangenen
Geschwornenurtheile durch Volksschluſs zu cassiren, hatte er be-
wiesen, daſs er, ganz im Sinne des Drusus, die Verfassung ein-
gehalten wissen wollte, auch wo sie ihm persönlich unbequem
fiel. Was von sich selbst forderte er denn auch von Andern: als
der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
Ueberspringung der Praetur um das Consulat für 667 bewarb,
wie es heiſst in der Absicht sich später die Führung des asiati-
schen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und
schärfer als irgend ein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Der
Bruch mit der mächtigen Familie der Julier, unter denen na-
mentlich der Bruder des Gaius, der Consular Lucius Caesar im
Senat sehr einfluſsreich war, und mit der derselben anhängenden
Fraction der Aristokratie scheint für Rufus die nächste Veran-

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[240/0250] VIERTES BUCH. KAPITEL VII. mente in der Bürgerschaft gegen einander rüttelte, legte er den Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall. Es war der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus, der im J. 666 bei der Bürgerschaft die Anträge stellte jeden Senator, der über 2000 Denare schulde, seiner Rathstelle verlustig zu erklä- ren; den durch unfreie Geschwornengerichte verurtheilten Bür- gern die Rückkehr in die Heimath zu gestatten; die Neubürger durch sämmtliche Districte zu vertheilen und imgleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Districten zu gestatten. Es waren Vorschläge, die zum Theil wenigstens aus dem Munde die- ses Mannes überraschten. Publius Sulpicius Rufus (geb. 630) verdankte seine politische Bedeutung weniger seiner adlichen Geburt, seinen bedeutenden Verbindungen und seinem angeerb- ten Reichthum als seinem ungemeinen Rednertalent, worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die mächtige Stimme, die lebhaften zuweilen an Theateraction streifenden Geberden, die üppige Fülle seines Wortstroms imponirten den Hörern, wenn sie auch nicht überzeugten. Seiner Parteistellung nach hing er von Haus aus der Senatspartei an und sein erstes politisches Auftre- ten (659) war die Anklage des der Regierungspartei tödtlich ver- haſsten Norbanus gewesen (S. 199). Zwar gehörte er unter den Conservativen zu der Fraction des Crassus und Drusus, hatte nach dem Ausbruch des Krieges die Gefahren derselben getheilt und war fast der einzige namhafte aus denselben unversehrt hervor- gegangene Mann; nichts desto weniger dachte er auch jetzt noch wie früher und war revolutionären Neuerungen abgeneigt. Indem er so eben noch einen seiner Collegen durch sein Einschreiten verhindert hatte die auf Grund des varischen Gesetzes ergangenen Geschwornenurtheile durch Volksschluſs zu cassiren, hatte er be- wiesen, daſs er, ganz im Sinne des Drusus, die Verfassung ein- gehalten wissen wollte, auch wo sie ihm persönlich unbequem fiel. Was von sich selbst forderte er denn auch von Andern: als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit Ueberspringung der Praetur um das Consulat für 667 bewarb, wie es heiſst in der Absicht sich später die Führung des asiati- schen Krieges übertragen zu lassen, trat, entschlossener und schärfer als irgend ein anderer, Sulpicius ihm entgegen. Der Bruch mit der mächtigen Familie der Julier, unter denen na- mentlich der Bruder des Gaius, der Consular Lucius Caesar im Senat sehr einfluſsreich war, und mit der derselben anhängenden Fraction der Aristokratie scheint für Rufus die nächste Veran-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/250>, abgerufen am 02.05.2024.