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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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SULPICISCHE REVOLUTION.
Abtheilung der Legionare dem gegebenen Beispiel. Angestiftet
von einem der Helden des Marktes Gaius Titius vergriff sie sich
an dem Consul Cato und nur durch einen Zufall entging derselbe
diesmal dem Tode. Titius ward festgesetzt, aber nicht bestraft
und als Cato bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam,
wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius
Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen,
als die Urheber seines Todes bezeichnet. -- Zu dieser beginnen-
den politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetz-
lichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossen-
krieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geld-
männer hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig auch nur
die Zinsen zu erschwingen und dennoch von ihren Gläubigern
unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gericht, dem
Stadtpraetor Asellio, theils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen
verkaufen zu können, theils die alten verschollenen Zinsgesetze
(I, 195) wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestell-
ten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider ge-
zahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich
dazu her das thatsächlich bestehende Recht durch dessen Buch-
staben zu beugen und instruirte in gewöhnlicher Weise die ver-
langten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung
des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammen-
thaten und den Praetor, da er eben in priesterlichem Schmuck
ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen
und erschlugen -- eine Frevelthat, wegen deren nicht einmal
eine Untersuchung stattfand (665). Andrerseits ging in den
Schuldnerkreisen die Rede, dass der leidenden Menge nicht an-
ders geholfen werden könne als durch ,neue Rechnungsbücher',
das heisst durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämmt-
licher Gläubiger an sämmtliche Schuldner. Man stand genau wieder
wie während des Ständekrieges; wieder machten die Capitalisten im
Bunde mit der befangenen Aristokratie den Cassiern und Valeriern
den Krieg und den Prozess; wieder stand man an dem Rande
desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den
Gläubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die Stelle der
einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen Acker-
stadt die sociale Zerrissenheit einer Capitale vieler Nationen und
diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler
sich begegnet; nur waren alle Verhältnisse breiter, schroffer, in
grauenhafter Weise grossartiger geworden. Indem der Bundes-
genossenkrieg all die gährenden politischen und socialen Ele-

SULPICISCHE REVOLUTION.
Abtheilung der Legionare dem gegebenen Beispiel. Angestiftet
von einem der Helden des Marktes Gaius Titius vergriff sie sich
an dem Consul Cato und nur durch einen Zufall entging derselbe
diesmal dem Tode. Titius ward festgesetzt, aber nicht bestraft
und als Cato bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam,
wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius
Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen,
als die Urheber seines Todes bezeichnet. — Zu dieser beginnen-
den politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetz-
lichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossen-
krieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geld-
männer hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig auch nur
die Zinsen zu erschwingen und dennoch von ihren Gläubigern
unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gericht, dem
Stadtpraetor Asellio, theils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen
verkaufen zu können, theils die alten verschollenen Zinsgesetze
(I, 195) wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestell-
ten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider ge-
zahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich
dazu her das thatsächlich bestehende Recht durch dessen Buch-
staben zu beugen und instruirte in gewöhnlicher Weise die ver-
langten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung
des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammen-
thaten und den Praetor, da er eben in priesterlichem Schmuck
ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen
und erschlugen — eine Frevelthat, wegen deren nicht einmal
eine Untersuchung stattfand (665). Andrerseits ging in den
Schuldnerkreisen die Rede, daſs der leidenden Menge nicht an-
ders geholfen werden könne als durch ‚neue Rechnungsbücher‘,
das heiſst durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämmt-
licher Gläubiger an sämmtliche Schuldner. Man stand genau wieder
wie während des Ständekrieges; wieder machten die Capitalisten im
Bunde mit der befangenen Aristokratie den Cassiern und Valeriern
den Krieg und den Prozeſs; wieder stand man an dem Rande
desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den
Gläubiger mit sich hinabreiſst; nur war seitdem an die Stelle der
einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer groſsen Acker-
stadt die sociale Zerrissenheit einer Capitale vieler Nationen und
diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler
sich begegnet; nur waren alle Verhältnisse breiter, schroffer, in
grauenhafter Weise groſsartiger geworden. Indem der Bundes-
genossenkrieg all die gährenden politischen und socialen Ele-

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[239/0249] SULPICISCHE REVOLUTION. Abtheilung der Legionare dem gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes Gaius Titius vergriff sie sich an dem Consul Cato und nur durch einen Zufall entging derselbe diesmal dem Tode. Titius ward festgesetzt, aber nicht bestraft und als Cato bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen Offiziere, namentlich der jüngere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet. — Zu dieser beginnen- den politischen und militärischen kam die vielleicht noch entsetz- lichere ökonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossen- krieges und der asiatischen Unruhen über die römischen Geld- männer hereingebrochen war. Die Schuldner, unfähig auch nur die Zinsen zu erschwingen und dennoch von ihren Gläubigern unerbittlich gedrängt, hatten bei dem beikommenden Gericht, dem Stadtpraetor Asellio, theils Aufschub erbeten, um ihre Besitzungen verkaufen zu können, theils die alten verschollenen Zinsgesetze (I, 195) wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestell- ten Vorschrift den vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider ge- zahlten Zinsen von den Gläubigern eingeklagt. Asellio gab sich dazu her das thatsächlich bestehende Recht durch dessen Buch- staben zu beugen und instruirte in gewöhnlicher Weise die ver- langten Zinsklagen; worauf die verletzten Gläubiger unter Leitung des Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammen- thaten und den Praetor, da er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der Eintracht überfielen und erschlugen — eine Frevelthat, wegen deren nicht einmal eine Untersuchung stattfand (665). Andrerseits ging in den Schuldnerkreisen die Rede, daſs der leidenden Menge nicht an- ders geholfen werden könne als durch ‚neue Rechnungsbücher‘, das heiſst durch gesetzliche Vernichtung der Forderungen sämmt- licher Gläubiger an sämmtliche Schuldner. Man stand genau wieder wie während des Ständekrieges; wieder machten die Capitalisten im Bunde mit der befangenen Aristokratie den Cassiern und Valeriern den Krieg und den Prozeſs; wieder stand man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den Gläubiger mit sich hinabreiſst; nur war seitdem an die Stelle der einfach bürgerlichen und sittlichen Ordnung einer groſsen Acker- stadt die sociale Zerrissenheit einer Capitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle Verhältnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise groſsartiger geworden. Indem der Bundes- genossenkrieg all die gährenden politischen und socialen Ele-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/249>, abgerufen am 02.05.2024.