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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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EMPÖRUNG DER ITALIKER.
noch loderte die Flamme zwischen den Ruinen empor, aber man
war des Feuers überall Meister und nirgends drohte noch Gefahr.
Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses plötzlichen Um-
schwunges in der oberflächlichen Ueberlieferung nicht mehr ge-
nügend wiederzuerkennen vermögen. So unzweifelhaft Strabos
und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die
energischere Concentrirung der römischen Streitkräfte, die ra-
schere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch
auch politische Ursachen neben den militärischen den beispiellos
raschen Sturz der Insurgentenmacht herbeigeführt haben; es
mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck Abfall
und Verrath der gemeinen Sache in die Reihe der Feinde zu tra-
gen erfüllt haben, es mag wie so oft unter die lose verknüpften
aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht
gefallen sein. Wir sehen nur -- und es deutet auch dies auf eine
sicher unter heftigen Convulsionen erfolgte innerliche Auflösung
der Italia --, dass die Samniten, vielleicht unter Leitung des Mar-
sers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes
gewesen und nach der Capitulation der Marser landflüchtig zu
dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere rein land-
schaftliche Organisation gaben und, nachdem die ,Italia' über-
wunden war, es unternahmen als Safinen oder Samniten den
Kampf noch weiter fortzusetzen *. Das feste Aesernia ward aus
der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer
sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss und 1000
zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von
20000 Sclaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze,
darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen
sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs
Neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz
wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Conföderation
gescheitert war, noch einen Versuch machen seine landschaftliche
Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein
dieser Entschluss der tapfersten Verzweiflung änderte in der
Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und
Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die In-
surrection war nichts desto weniger schon jetzt wesentlich zu

* Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mu-
til
in oskischer Schrift angehören; denn so lange die Italia von den Insur-
genten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht
Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
noch loderte die Flamme zwischen den Ruinen empor, aber man
war des Feuers überall Meister und nirgends drohte noch Gefahr.
Es ist zu bedauern, daſs wir die Ursachen dieses plötzlichen Um-
schwunges in der oberflächlichen Ueberlieferung nicht mehr ge-
nügend wiederzuerkennen vermögen. So unzweifelhaft Strabos
und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die
energischere Concentrirung der römischen Streitkräfte, die ra-
schere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch
auch politische Ursachen neben den militärischen den beispiellos
raschen Sturz der Insurgentenmacht herbeigeführt haben; es
mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck Abfall
und Verrath der gemeinen Sache in die Reihe der Feinde zu tra-
gen erfüllt haben, es mag wie so oft unter die lose verknüpften
aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht
gefallen sein. Wir sehen nur — und es deutet auch dies auf eine
sicher unter heftigen Convulsionen erfolgte innerliche Auflösung
der Italia —, daſs die Samniten, vielleicht unter Leitung des Mar-
sers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes
gewesen und nach der Capitulation der Marser landflüchtig zu
dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere rein land-
schaftliche Organisation gaben und, nachdem die ‚Italia‘ über-
wunden war, es unternahmen als Safinen oder Samniten den
Kampf noch weiter fortzusetzen *. Das feste Aesernia ward aus
der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer
sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuſs und 1000
zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von
20000 Sclaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze,
darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen
sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs
Neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz
wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Conföderation
gescheitert war, noch einen Versuch machen seine landschaftliche
Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein
dieser Entschluſs der tapfersten Verzweiflung änderte in der
Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und
Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die In-
surrection war nichts desto weniger schon jetzt wesentlich zu

* Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mu-
til
in oskischer Schrift angehören; denn so lange die Italia von den Insur-
genten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht
Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.
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[235/0245] EMPÖRUNG DER ITALIKER. noch loderte die Flamme zwischen den Ruinen empor, aber man war des Feuers überall Meister und nirgends drohte noch Gefahr. Es ist zu bedauern, daſs wir die Ursachen dieses plötzlichen Um- schwunges in der oberflächlichen Ueberlieferung nicht mehr ge- nügend wiederzuerkennen vermögen. So unzweifelhaft Strabos und mehr noch Sullas geschickte Führung und namentlich die energischere Concentrirung der römischen Streitkräfte, die ra- schere Offensive wesentlich dazu beigetragen hat, so mögen doch auch politische Ursachen neben den militärischen den beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht herbeigeführt haben; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck Abfall und Verrath der gemeinen Sache in die Reihe der Feinde zu tra- gen erfüllt haben, es mag wie so oft unter die lose verknüpften aufständischen Gemeinden das Unglück als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur — und es deutet auch dies auf eine sicher unter heftigen Convulsionen erfolgte innerliche Auflösung der Italia —, daſs die Samniten, vielleicht unter Leitung des Mar- sers Quintus Silo, der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Capitulation der Marser landflüchtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere rein land- schaftliche Organisation gaben und, nachdem die ‚Italia‘ über- wunden war, es unternahmen als Safinen oder Samniten den Kampf noch weiter fortzusetzen *. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuſs und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sclaven verstärkt; fünf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjähriger Pause die Samnitenkriege aufs Neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk abermals, ganz wie im fünften Jahrhundert, nachdem die italische Conföderation gescheitert war, noch einen Versuch machen seine landschaftliche Unabhängigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluſs der tapfersten Verzweiflung änderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die In- surrection war nichts desto weniger schon jetzt wesentlich zu * Dieser Epoche müssen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mu- til in oskischer Schrift angehören; denn so lange die Italia von den Insur- genten festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveräne Macht Münzen mit dem eigenen Namen schlagen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/245>, abgerufen am 01.05.2024.