Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
zerstreut war; so dass die Insurgenten sich genöthigt sahen einen
sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden und ihrerseits die Rö-
mer nicht wohl anders konnten als die nirgends recht centralisirte
Insurrection in allen insurgirten Landschaften zugleich bekämpfen.
Militärisch zerfiel das insurgirte Land in zwei Hälften: in der nörd-
lichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die campani-
sche Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Districte um-
fasste, übernahm italischer Seits der Marser Quintus Silo, römischer
Seits Publius Rutilius Lupus, beide als Consuln den Oberbefehl; in
der südlichen, welche Campanien, Samnium und überhaupt die sa-
bellisch redenden Landschaften in sich schloss, befehligte als
Consul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als rö-
mischer Consul Lucius Julius Caesar. Jedem der beiden Oberfeld-
herrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unter-
befehlshaber zur Seite, so dass ein jeder von ihnen in einem be-
stimmten Bezirk den Angriff und die Vertheidigung leitete, die
consularischen Heere aber die Bestimmung hatten freier zu agiren
und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offi-
ziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden
im spanischen Krieg erprobten Consulare Titus Didius und Publius
Crassus, stellten für diese Posten den Consuln sich zur Verfügung;
und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen
entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, dass ihre
Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden. -- Die
Offensive in diesem durchaus decentralisirten Krieg war im Gan-
zen auf Seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Ent-
schiedenheit auf. Es fällt auf, dass weder die Römer ihre Trup-
pen zusammennahmen um einen überlegenen Angriff gegen die
Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch
machten in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Haupt-
stadt zu werfen; wir sind indess mit den beiderseitigen Verhält-
nissen zu wenig bekannt um beurtheilen zu können, ob und wie
man anders hätte handeln können und in wie weit die Schlaffheit
der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der
städtischen Conföderation andrerseits zu diesem Mangel an Ein-
heit in der Kriegführung beigetragen haben. Das ist begreif-
lich, dass bei diesem System es wohl zu Siegen und Nieder-
lagen kam, aber sehr lange nicht zu einer wirklichen Entschei-
dung; nicht minder aber auch, dass von einem solchen Krieg, der
in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald geson-
dert, bald combinirt, operirender Corps sich auflöste, aus unserer

EMPÖRUNG DER ITALIKER.
zerstreut war; so daſs die Insurgenten sich genöthigt sahen einen
sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer
ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden und ihrerseits die Rö-
mer nicht wohl anders konnten als die nirgends recht centralisirte
Insurrection in allen insurgirten Landschaften zugleich bekämpfen.
Militärisch zerfiel das insurgirte Land in zwei Hälften: in der nörd-
lichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die campani-
sche Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Districte um-
faſste, übernahm italischer Seits der Marser Quintus Silo, römischer
Seits Publius Rutilius Lupus, beide als Consuln den Oberbefehl; in
der südlichen, welche Campanien, Samnium und überhaupt die sa-
bellisch redenden Landschaften in sich schloſs, befehligte als
Consul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als rö-
mischer Consul Lucius Julius Caesar. Jedem der beiden Oberfeld-
herrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unter-
befehlshaber zur Seite, so daſs ein jeder von ihnen in einem be-
stimmten Bezirk den Angriff und die Vertheidigung leitete, die
consularischen Heere aber die Bestimmung hatten freier zu agiren
und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offi-
ziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden
im spanischen Krieg erprobten Consulare Titus Didius und Publius
Crassus, stellten für diese Posten den Consuln sich zur Verfügung;
und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen
entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, daſs ihre
Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden. — Die
Offensive in diesem durchaus decentralisirten Krieg war im Gan-
zen auf Seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Ent-
schiedenheit auf. Es fällt auf, daſs weder die Römer ihre Trup-
pen zusammennahmen um einen überlegenen Angriff gegen die
Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch
machten in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Haupt-
stadt zu werfen; wir sind indeſs mit den beiderseitigen Verhält-
nissen zu wenig bekannt um beurtheilen zu können, ob und wie
man anders hätte handeln können und in wie weit die Schlaffheit
der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der
städtischen Conföderation andrerseits zu diesem Mangel an Ein-
heit in der Kriegführung beigetragen haben. Das ist begreif-
lich, daſs bei diesem System es wohl zu Siegen und Nieder-
lagen kam, aber sehr lange nicht zu einer wirklichen Entschei-
dung; nicht minder aber auch, daſs von einem solchen Krieg, der
in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald geson-
dert, bald combinirt, operirender Corps sich auflöste, aus unserer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0233" n="223"/><fw place="top" type="header">EMPÖRUNG DER ITALIKER.</fw><lb/>
zerstreut war; so da&#x017F;s die Insurgenten sich genöthigt sahen einen<lb/>
sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer<lb/>
ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden und ihrerseits die Rö-<lb/>
mer nicht wohl anders konnten als die nirgends recht centralisirte<lb/>
Insurrection in allen insurgirten Landschaften zugleich bekämpfen.<lb/>
Militärisch zerfiel das insurgirte Land in zwei Hälften: in der nörd-<lb/>
lichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die campani-<lb/>
sche Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Districte um-<lb/>
fa&#x017F;ste, übernahm italischer Seits der Marser Quintus Silo, römischer<lb/>
Seits Publius Rutilius Lupus, beide als Consuln den Oberbefehl; in<lb/>
der südlichen, welche Campanien, Samnium und überhaupt die sa-<lb/>
bellisch redenden Landschaften in sich schlo&#x017F;s, befehligte als<lb/>
Consul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als rö-<lb/>
mischer Consul Lucius Julius Caesar. Jedem der beiden Oberfeld-<lb/>
herrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unter-<lb/>
befehlshaber zur Seite, so da&#x017F;s ein jeder von ihnen in einem be-<lb/>
stimmten Bezirk den Angriff und die Vertheidigung leitete, die<lb/>
consularischen Heere aber die Bestimmung hatten freier zu agiren<lb/>
und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offi-<lb/>
ziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden<lb/>
im spanischen Krieg erprobten Consulare Titus Didius und Publius<lb/>
Crassus, stellten für diese Posten den Consuln sich zur Verfügung;<lb/>
und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen<lb/>
entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, da&#x017F;s ihre<lb/>
Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden. &#x2014; Die<lb/>
Offensive in diesem durchaus decentralisirten Krieg war im Gan-<lb/>
zen auf Seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Ent-<lb/>
schiedenheit auf. Es fällt auf, da&#x017F;s weder die Römer ihre Trup-<lb/>
pen zusammennahmen um einen überlegenen Angriff gegen die<lb/>
Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch<lb/>
machten in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Haupt-<lb/>
stadt zu werfen; wir sind inde&#x017F;s mit den beiderseitigen Verhält-<lb/>
nissen zu wenig bekannt um beurtheilen zu können, ob und wie<lb/>
man anders hätte handeln können und in wie weit die Schlaffheit<lb/>
der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der<lb/>
städtischen Conföderation andrerseits zu diesem Mangel an Ein-<lb/>
heit in der Kriegführung beigetragen haben. Das ist begreif-<lb/>
lich, da&#x017F;s bei diesem System es wohl zu Siegen und Nieder-<lb/>
lagen kam, aber sehr lange nicht zu einer wirklichen Entschei-<lb/>
dung; nicht minder aber auch, da&#x017F;s von einem solchen Krieg, der<lb/>
in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald geson-<lb/>
dert, bald combinirt, operirender Corps sich auflöste, aus unserer<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0233] EMPÖRUNG DER ITALIKER. zerstreut war; so daſs die Insurgenten sich genöthigt sahen einen sehr zersplitternden und zeitraubenden Festungskrieg mit einer ausgedehnten Grenzdeckung zu verbinden und ihrerseits die Rö- mer nicht wohl anders konnten als die nirgends recht centralisirte Insurrection in allen insurgirten Landschaften zugleich bekämpfen. Militärisch zerfiel das insurgirte Land in zwei Hälften: in der nörd- lichen, die von Picenum und den Abruzzen bis an die campani- sche Nordgrenze reichte und die lateinisch redenden Districte um- faſste, übernahm italischer Seits der Marser Quintus Silo, römischer Seits Publius Rutilius Lupus, beide als Consuln den Oberbefehl; in der südlichen, welche Campanien, Samnium und überhaupt die sa- bellisch redenden Landschaften in sich schloſs, befehligte als Consul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius Mutilus, als rö- mischer Consul Lucius Julius Caesar. Jedem der beiden Oberfeld- herrn standen auf italischer Seite sechs, auf römischer fünf Unter- befehlshaber zur Seite, so daſs ein jeder von ihnen in einem be- stimmten Bezirk den Angriff und die Vertheidigung leitete, die consularischen Heere aber die Bestimmung hatten freier zu agiren und die Entscheidung zu bringen. Die angesehensten römischen Offi- ziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus Catulus und die beiden im spanischen Krieg erprobten Consulare Titus Didius und Publius Crassus, stellten für diese Posten den Consuln sich zur Verfügung; und wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen hatte, so bewies doch der Erfolg, daſs ihre Führer den römischen militärisch in nichts nachstanden. — Die Offensive in diesem durchaus decentralisirten Krieg war im Gan- zen auf Seiten der Römer, tritt aber auch hier nirgends mit Ent- schiedenheit auf. Es fällt auf, daſs weder die Römer ihre Trup- pen zusammennahmen um einen überlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszuführen, noch die Insurgenten den Versuch machten in Latium einzurücken und sich auf die feindliche Haupt- stadt zu werfen; wir sind indeſs mit den beiderseitigen Verhält- nissen zu wenig bekannt um beurtheilen zu können, ob und wie man anders hätte handeln können und in wie weit die Schlaffheit der römischen Regierung einer- und die lose Verbindung der städtischen Conföderation andrerseits zu diesem Mangel an Ein- heit in der Kriegführung beigetragen haben. Das ist begreif- lich, daſs bei diesem System es wohl zu Siegen und Nieder- lagen kam, aber sehr lange nicht zu einer wirklichen Entschei- dung; nicht minder aber auch, daſs von einem solchen Krieg, der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald geson- dert, bald combinirt, operirender Corps sich auflöste, aus unserer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/233
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/233>, abgerufen am 02.05.2024.