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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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MARIUS UND DRUSUS.
denn weder stand Marius fest genug um allein das von ihm selbst
in Frage gestellte Colonialgesetz zu halten und der ihm bestimm-
ten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und
Glaucia in der Lage das für Marius begonnene Geschäft auf
eigene Rechnung fortzuführen. Indess die beiden Demagogen
waren so compromittirt, dass sie nicht zurückkonnten und nur
die Wahl hatten ihre Aemter in gewöhnlicher Weise niederzulegen
und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen
zu überliefern oder nun selber nach dem Scepter zu greifen, des-
sen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie ent-
schlossen sich zu dem Letzteren; Saturninus wollte für 655 aber-
mals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, ob-
wohl Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Consulat,
als Bewerber um dieses. In der That wurden die tribunicischen
Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius Ver-
such den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das
Tribunat zu hindern diente nur dazu dem gefeierten Mann zu
beweisen, was seine Popularität jetzt noch werth war; die Menge
sprengte die Thüren des Gefängnisses, in dem Gracchus einge-
sperrt sass, trug ihn im Triumph durch die Strassen und wählte
ihn mit grosser Majorität. Ebenso schien es mit der Consulnwahl
zu gehen, welche Saturninus und Glaucia durch das im vorigen
Jahre erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Concurrenzen in
die Hand zu bekommen versuchten; der Gegencandidat der Regie-
rungspartei Gaius Memmius, derselbe der elf Jahre zuvor gegen sie
die Opposition geführt hatte (S. 136), wurde von einem Haufen
Gesindel überfallen und mit Knitteln erschlagen. Die Regierungs-
partei hatte nur auf ein eclatantes Ereigniss der Art gewartet um
Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Consul Gaius Ma-
rius auf einzuschreiten und diesem blieb keine andere Wahl als
das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie
zu führen versprochen hatte, nun zu ziehen für die conserva-
tive Partei. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten,
mit Waffen aus den öffentlichen Vorräthen gerüstet und militä-
risch geordnet; der Senat erschien bewaffnet auf dem Markt, an
seiner Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegen-
partei war wohl im Strassenlärm überlegen, aber auf einen
solchen Angriff nicht vorbereitet; es blieb eben nichts übrig als
sich zu wehren wie es ging. Man erbrach die Thore der Ge-
fängnisse und rief die Sclaven zur Freiheit und unter die Waf-
fen; man rief -- so heisst es wenigstens -- den Saturninus zum
König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstri-

MARIUS UND DRUSUS.
denn weder stand Marius fest genug um allein das von ihm selbst
in Frage gestellte Colonialgesetz zu halten und der ihm bestimm-
ten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und
Glaucia in der Lage das für Marius begonnene Geschäft auf
eigene Rechnung fortzuführen. Indeſs die beiden Demagogen
waren so compromittirt, daſs sie nicht zurückkonnten und nur
die Wahl hatten ihre Aemter in gewöhnlicher Weise niederzulegen
und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen
zu überliefern oder nun selber nach dem Scepter zu greifen, des-
sen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie ent-
schlossen sich zu dem Letzteren; Saturninus wollte für 655 aber-
mals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, ob-
wohl Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Consulat,
als Bewerber um dieses. In der That wurden die tribunicischen
Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius Ver-
such den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das
Tribunat zu hindern diente nur dazu dem gefeierten Mann zu
beweisen, was seine Popularität jetzt noch werth war; die Menge
sprengte die Thüren des Gefängnisses, in dem Gracchus einge-
sperrt saſs, trug ihn im Triumph durch die Straſsen und wählte
ihn mit groſser Majorität. Ebenso schien es mit der Consulnwahl
zu gehen, welche Saturninus und Glaucia durch das im vorigen
Jahre erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Concurrenzen in
die Hand zu bekommen versuchten; der Gegencandidat der Regie-
rungspartei Gaius Memmius, derselbe der elf Jahre zuvor gegen sie
die Opposition geführt hatte (S. 136), wurde von einem Haufen
Gesindel überfallen und mit Knitteln erschlagen. Die Regierungs-
partei hatte nur auf ein eclatantes Ereigniſs der Art gewartet um
Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Consul Gaius Ma-
rius auf einzuschreiten und diesem blieb keine andere Wahl als
das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie
zu führen versprochen hatte, nun zu ziehen für die conserva-
tive Partei. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten,
mit Waffen aus den öffentlichen Vorräthen gerüstet und militä-
risch geordnet; der Senat erschien bewaffnet auf dem Markt, an
seiner Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegen-
partei war wohl im Straſsenlärm überlegen, aber auf einen
solchen Angriff nicht vorbereitet; es blieb eben nichts übrig als
sich zu wehren wie es ging. Man erbrach die Thore der Ge-
fängnisse und rief die Sclaven zur Freiheit und unter die Waf-
fen; man rief — so heiſst es wenigstens — den Saturninus zum
König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstri-

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[197/0207] MARIUS UND DRUSUS. denn weder stand Marius fest genug um allein das von ihm selbst in Frage gestellte Colonialgesetz zu halten und der ihm bestimm- ten Stellung sich zu bemächtigen, noch waren Saturninus und Glaucia in der Lage das für Marius begonnene Geschäft auf eigene Rechnung fortzuführen. Indeſs die beiden Demagogen waren so compromittirt, daſs sie nicht zurückkonnten und nur die Wahl hatten ihre Aemter in gewöhnlicher Weise niederzulegen und damit ihren erbitterten Gegnern sich mit gebundenen Händen zu überliefern oder nun selber nach dem Scepter zu greifen, des- sen Gewicht sie freilich fühlten nicht tragen zu können. Sie ent- schlossen sich zu dem Letzteren; Saturninus wollte für 655 aber- mals um das Volkstribunat als Bewerber auftreten, Glaucia, ob- wohl Praetor und erst nach zwei Jahren wahlfähig zum Consulat, als Bewerber um dieses. In der That wurden die tribunicischen Wahlen durchaus in ihrem Sinne entschieden und Marius Ver- such den falschen Tiberius Gracchus an der Bewerbung um das Tribunat zu hindern diente nur dazu dem gefeierten Mann zu beweisen, was seine Popularität jetzt noch werth war; die Menge sprengte die Thüren des Gefängnisses, in dem Gracchus einge- sperrt saſs, trug ihn im Triumph durch die Straſsen und wählte ihn mit groſser Majorität. Ebenso schien es mit der Consulnwahl zu gehen, welche Saturninus und Glaucia durch das im vorigen Jahre erprobte Mittel zur Beseitigung unbequemer Concurrenzen in die Hand zu bekommen versuchten; der Gegencandidat der Regie- rungspartei Gaius Memmius, derselbe der elf Jahre zuvor gegen sie die Opposition geführt hatte (S. 136), wurde von einem Haufen Gesindel überfallen und mit Knitteln erschlagen. Die Regierungs- partei hatte nur auf ein eclatantes Ereigniſs der Art gewartet um Gewalt zu brauchen. Der Senat forderte den Consul Gaius Ma- rius auf einzuschreiten und diesem blieb keine andere Wahl als das Schwert, das er von der Demokratie erhalten und für sie zu führen versprochen hatte, nun zu ziehen für die conserva- tive Partei. Die junge Mannschaft ward schleunigst aufgeboten, mit Waffen aus den öffentlichen Vorräthen gerüstet und militä- risch geordnet; der Senat erschien bewaffnet auf dem Markt, an seiner Spitze sein greiser Vormann Marcus Scaurus. Die Gegen- partei war wohl im Straſsenlärm überlegen, aber auf einen solchen Angriff nicht vorbereitet; es blieb eben nichts übrig als sich zu wehren wie es ging. Man erbrach die Thore der Ge- fängnisse und rief die Sclaven zur Freiheit und unter die Waf- fen; man rief — so heiſst es wenigstens — den Saturninus zum König oder Feldherrn aus; an dem Tage, wo die neuen Volkstri-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/207>, abgerufen am 02.05.2024.