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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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mehr erst recht in Frage gestellt ward. -- Die Folgen dieses un-
vergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn ent-
wickelten sich rasch. Die Opposition gegen ihn und seine Ge-
nossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloss
die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der
grosse Theil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den
Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch
den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesammte
begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus
und Glaucia waren von Haus aus Herren oder Diener des Proleta-
riats und darum keineswegs auf gutem Fusse mit der Geldaristo-
kratie, die zwar nichts dagegen hatte mittelst des Pöbels dem Se-
nat einmal Schach zu bieten, aber Strassenaufläufe und arge Ge-
waltthätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus erstem Tribunat
hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumge-
schlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun
für 654 stiess, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war.
Es wäre Marius Aufgabe gewesen der bedenklichen Hülfe dieser
Genossen sich nur mit Massen zu bedienen und männiglich zu
überzeugen, dass sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern
ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegentheil da-
von that und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es
sich nicht darum einen intelligenten und kräftigen Herrn, son-
dern die reine Canaille ans Regiment zu bringen, so schlossen
dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiel-
len Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen,
sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus,
wohl erkennend, dass mit dem Proletariat allein keine Regierung
gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war
die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese
seine Fortsetzer damit an die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu
versöhnen. -- Aber noch rascher als diese Versöhnung der Feinde
führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche
Marius mehr als zweideutiges Auftreten nothwendiger Weise un-
ter dessen Urhebern hervorrief. Saturninus und Glaucia hatten
nicht desswegen die Revolution unternommen und Marius die
Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm desavouiren
und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia der spasshafte Volksmann
bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen
Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche
er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam
zum vollständigen Bruch, womit beide Theile verloren waren;

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mehr erst recht in Frage gestellt ward. — Die Folgen dieses un-
vergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn ent-
wickelten sich rasch. Die Opposition gegen ihn und seine Ge-
nossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloſs
die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der
groſse Theil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den
Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch
den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesammte
begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus
und Glaucia waren von Haus aus Herren oder Diener des Proleta-
riats und darum keineswegs auf gutem Fuſse mit der Geldaristo-
kratie, die zwar nichts dagegen hatte mittelst des Pöbels dem Se-
nat einmal Schach zu bieten, aber Straſsenaufläufe und arge Ge-
waltthätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus erstem Tribunat
hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumge-
schlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun
für 654 stieſs, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war.
Es wäre Marius Aufgabe gewesen der bedenklichen Hülfe dieser
Genossen sich nur mit Maſsen zu bedienen und männiglich zu
überzeugen, daſs sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern
ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegentheil da-
von that und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es
sich nicht darum einen intelligenten und kräftigen Herrn, son-
dern die reine Canaille ans Regiment zu bringen, so schlossen
dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiel-
len Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen,
sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus,
wohl erkennend, daſs mit dem Proletariat allein keine Regierung
gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war
die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese
seine Fortsetzer damit an die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu
versöhnen. — Aber noch rascher als diese Versöhnung der Feinde
führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche
Marius mehr als zweideutiges Auftreten nothwendiger Weise un-
ter dessen Urhebern hervorrief. Saturninus und Glaucia hatten
nicht deſswegen die Revolution unternommen und Marius die
Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm desavouiren
und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia der spaſshafte Volksmann
bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen
Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche
er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam
zum vollständigen Bruch, womit beide Theile verloren waren;

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[196/0206] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. mehr erst recht in Frage gestellt ward. — Die Folgen dieses un- vergleichlich kopflosen Auftretens des gefeierten Feldherrn ent- wickelten sich rasch. Die Opposition gegen ihn und seine Ge- nossen war an sich schon ansehnlich genug; denn nicht bloſs die Regierungspartei in Masse gehörte dazu, sondern auch der groſse Theil der Bürgerschaft, der mit eifersüchtigen Blicken den Italikern gegenüber über seinen Sonderrechten Wache hielt; durch den Gang aber, den die Dinge nahmen, wurde noch die gesammte begüterte Klasse zu der Regierung hinübergedrängt. Saturninus und Glaucia waren von Haus aus Herren oder Diener des Proleta- riats und darum keineswegs auf gutem Fuſse mit der Geldaristo- kratie, die zwar nichts dagegen hatte mittelst des Pöbels dem Se- nat einmal Schach zu bieten, aber Straſsenaufläufe und arge Ge- waltthätigkeiten nicht liebte. Schon in Saturninus erstem Tribunat hatten dessen bewaffnete Rotten mit den Rittern sich herumge- schlagen; die heftige Opposition, auf die seine Wahl zum Tribun für 654 stieſs, zeigt deutlich, wie klein die ihm günstige Partei war. Es wäre Marius Aufgabe gewesen der bedenklichen Hülfe dieser Genossen sich nur mit Maſsen zu bedienen und männiglich zu überzeugen, daſs sie nicht bestimmt seien zu herrschen, sondern ihm, dem Herrscher, zu dienen. Da er das gerade Gegentheil da- von that und die Sache ganz das Ansehen gewann, als handle es sich nicht darum einen intelligenten und kräftigen Herrn, son- dern die reine Canaille ans Regiment zu bringen, so schlossen dieser gemeinsamen Gefahr gegenüber die Männer der materiel- len Interessen, zum Tode erschrocken über das wüste Wesen, sich wieder eng an den Senat an. Während Gaius Gracchus, wohl erkennend, daſs mit dem Proletariat allein keine Regierung gestürzt werden kann, vor allen Dingen bemüht gewesen war die besitzenden Klassen auf seine Seite zu ziehen, fingen diese seine Fortsetzer damit an die Aristokratie mit der Bourgeoisie zu versöhnen. — Aber noch rascher als diese Versöhnung der Feinde führte den Ruin des Unternehmens die Uneinigkeit herbei, welche Marius mehr als zweideutiges Auftreten nothwendiger Weise un- ter dessen Urhebern hervorrief. Saturninus und Glaucia hatten nicht deſswegen die Revolution unternommen und Marius die Staatsoberhauptschaft verschafft, um sich von ihm desavouiren und aufopfern zu lassen; wenn Glaucia der spaſshafte Volksmann bisher den Marius mit den lustigsten Blumen seiner lustigen Beredsamkeit überschüttet hatte, so dufteten die Kränze, welche er jetzt ihm wand, keineswegs nach Rosen und Violen. Es kam zum vollständigen Bruch, womit beide Theile verloren waren;

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/206>, abgerufen am 02.05.2024.