Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Colonialgesetz selbst in so ausschweifender Weise bedacht wor-
den waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charak-
ter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem
voraufgehenden unterscheidet. -- Man ging also ans Werk. Das
Getreide- und das Colonialgesetz stiessen bei der Regierung wie
begreiflich auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat
mit schlagenden Zahlen, dass jenes die öffentlichen Kassen ban-
kerott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum.
Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunicische Intercession; Sa-
turninus liess weiter stimmen. Man zeigte an einen Donnerschlag
vernommen zu haben, durch welches Zeichen nach altem Glauben
die Götter befahlen die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus
bemerkte den Abgesandten des Senats, man werde wohl thun bei
ihnen sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem
Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quaestor
Quintus Caepio, vermuthlich der Sohn des vier Jahre zuvor ver-
urtheilten Feldherrn * und gleich seinem Vater ein heftiger Geg-
ner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die
Stimmversammlung mit Gewalt aus einander. Allein die derben
Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung
nach Rom geströmt waren, sprengten rasch zusammengerafft
wieder die städtischen Haufen und so gelang es auf dem wieder-
eroberten Stimmfeld die Abstimmung über die appuleischen Ge-
setze zu Ende zu führen. Der Scandal war arg; als es indess zur
Frage kam, ob der Senat der Clausel des Gesetzes genügen werde,
dass innerhalb fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom
Rath bei Verlust seiner Rathsherrnstelle auf getreuliche Befolgung
des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die
sämmtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Me-
tellus, der es vorzog die Heimath zu verlassen. Nicht ungern sa-
hen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüch-
tigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus
dem Staate ausscheiden.

Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden musste schon
jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache
des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz

* Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 643 Con-
sul, der jüngere 650 Quaestor, also jener um 600, dieser um 623 geboren;
dass jener starb ohne Söhne zu hinterlassen (Strabon 4, 188), widerspricht
nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 und der ältere, der im Exil zu
Smyrna sein Leben beschloss, kann gar wohl ihn überlebt haben.

VIERTES BUCH. KAPITEL VI.
Colonialgesetz selbst in so ausschweifender Weise bedacht wor-
den waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charak-
ter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem
voraufgehenden unterscheidet. — Man ging also ans Werk. Das
Getreide- und das Colonialgesetz stieſsen bei der Regierung wie
begreiflich auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat
mit schlagenden Zahlen, daſs jenes die öffentlichen Kassen ban-
kerott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum.
Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunicische Intercession; Sa-
turninus lieſs weiter stimmen. Man zeigte an einen Donnerschlag
vernommen zu haben, durch welches Zeichen nach altem Glauben
die Götter befahlen die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus
bemerkte den Abgesandten des Senats, man werde wohl thun bei
ihnen sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem
Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quaestor
Quintus Caepio, vermuthlich der Sohn des vier Jahre zuvor ver-
urtheilten Feldherrn * und gleich seinem Vater ein heftiger Geg-
ner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die
Stimmversammlung mit Gewalt aus einander. Allein die derben
Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung
nach Rom geströmt waren, sprengten rasch zusammengerafft
wieder die städtischen Haufen und so gelang es auf dem wieder-
eroberten Stimmfeld die Abstimmung über die appuleischen Ge-
setze zu Ende zu führen. Der Scandal war arg; als es indeſs zur
Frage kam, ob der Senat der Clausel des Gesetzes genügen werde,
daſs innerhalb fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom
Rath bei Verlust seiner Rathsherrnstelle auf getreuliche Befolgung
des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die
sämmtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Me-
tellus, der es vorzog die Heimath zu verlassen. Nicht ungern sa-
hen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüch-
tigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus
dem Staate ausscheiden.

Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden muſste schon
jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache
des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz

* Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 643 Con-
sul, der jüngere 650 Quaestor, also jener um 600, dieser um 623 geboren;
daſs jener starb ohne Söhne zu hinterlassen (Strabon 4, 188), widerspricht
nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 und der ältere, der im Exil zu
Smyrna sein Leben beschloſs, kann gar wohl ihn überlebt haben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0204" n="194"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/>
Colonialgesetz selbst in so ausschweifender Weise bedacht wor-<lb/>
den waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charak-<lb/>
ter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem<lb/>
voraufgehenden unterscheidet. &#x2014; Man ging also ans Werk. Das<lb/>
Getreide- und das Colonialgesetz stie&#x017F;sen bei der Regierung wie<lb/>
begreiflich auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat<lb/>
mit schlagenden Zahlen, da&#x017F;s jenes die öffentlichen Kassen ban-<lb/>
kerott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum.<lb/>
Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunicische Intercession; Sa-<lb/>
turninus lie&#x017F;s weiter stimmen. Man zeigte an einen Donnerschlag<lb/>
vernommen zu haben, durch welches Zeichen nach altem Glauben<lb/>
die Götter befahlen die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus<lb/>
bemerkte den Abgesandten des Senats, man werde wohl thun bei<lb/>
ihnen sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem<lb/>
Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quaestor<lb/>
Quintus Caepio, vermuthlich der Sohn des vier Jahre zuvor ver-<lb/>
urtheilten Feldherrn <note place="foot" n="*">Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 643 Con-<lb/>
sul, der jüngere 650 Quaestor, also jener um 600, dieser um 623 geboren;<lb/>
da&#x017F;s jener starb ohne Söhne zu hinterlassen (Strabon 4, 188), widerspricht<lb/>
nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 und der ältere, der im Exil zu<lb/>
Smyrna sein Leben beschlo&#x017F;s, kann gar wohl ihn überlebt haben.</note> und gleich seinem Vater ein heftiger Geg-<lb/>
ner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die<lb/>
Stimmversammlung mit Gewalt aus einander. Allein die derben<lb/>
Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung<lb/>
nach Rom geströmt waren, sprengten rasch zusammengerafft<lb/>
wieder die städtischen Haufen und so gelang es auf dem wieder-<lb/>
eroberten Stimmfeld die Abstimmung über die appuleischen Ge-<lb/>
setze zu Ende zu führen. Der Scandal war arg; als es inde&#x017F;s zur<lb/>
Frage kam, ob der Senat der Clausel des Gesetzes genügen werde,<lb/>
da&#x017F;s innerhalb fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom<lb/>
Rath bei Verlust seiner Rathsherrnstelle auf getreuliche Befolgung<lb/>
des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die<lb/>
sämmtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Me-<lb/>
tellus, der es vorzog die Heimath zu verlassen. Nicht ungern sa-<lb/>
hen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüch-<lb/>
tigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus<lb/>
dem Staate ausscheiden.</p><lb/>
          <p>Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden mu&#x017F;ste schon<lb/>
jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache<lb/>
des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[194/0204] VIERTES BUCH. KAPITEL VI. Colonialgesetz selbst in so ausschweifender Weise bedacht wor- den waren. Auch hierin tritt der vorwiegend militärische Charak- ter hervor, der hauptsächlich diesen Revolutionsversuch von dem voraufgehenden unterscheidet. — Man ging also ans Werk. Das Getreide- und das Colonialgesetz stieſsen bei der Regierung wie begreiflich auf die lebhafteste Gegenwehr. Man bewies im Senat mit schlagenden Zahlen, daſs jenes die öffentlichen Kassen ban- kerott machen müsse; Saturninus kümmerte sich nicht darum. Man erwirkte gegen beide Gesetze tribunicische Intercession; Sa- turninus lieſs weiter stimmen. Man zeigte an einen Donnerschlag vernommen zu haben, durch welches Zeichen nach altem Glauben die Götter befahlen die Volksversammlung zu entlassen; Saturninus bemerkte den Abgesandten des Senats, man werde wohl thun bei ihnen sich ruhig zu verhalten, sonst könne gar leicht nach dem Donner der Hagel folgen. Endlich trieb der städtische Quaestor Quintus Caepio, vermuthlich der Sohn des vier Jahre zuvor ver- urtheilten Feldherrn * und gleich seinem Vater ein heftiger Geg- ner der Popularpartei, mit einem Haufen ergebener Leute die Stimmversammlung mit Gewalt aus einander. Allein die derben Soldaten des Marius, die massenweise zu dieser Abstimmung nach Rom geströmt waren, sprengten rasch zusammengerafft wieder die städtischen Haufen und so gelang es auf dem wieder- eroberten Stimmfeld die Abstimmung über die appuleischen Ge- setze zu Ende zu führen. Der Scandal war arg; als es indeſs zur Frage kam, ob der Senat der Clausel des Gesetzes genügen werde, daſs innerhalb fünf Tagen nach dessen Durchbringung jeder vom Rath bei Verlust seiner Rathsherrnstelle auf getreuliche Befolgung des Gesetzes einen Eid abzulegen habe, leisteten diesen Eid die sämmtlichen Senatoren mit einziger Ausnahme des Quintus Me- tellus, der es vorzog die Heimath zu verlassen. Nicht ungern sa- hen Marius und Saturninus den besten Feldherrn und den tüch- tigsten Mann unter der Gegenpartei durch Selbstverbannung aus dem Staate ausscheiden. Man schien am Ziel; dem schärfer Sehenden muſste schon jetzt das Unternehmen als gescheitert erscheinen. Die Ursache des Fehlschlagens lag wesentlich in der ungeschickten Allianz * Dahin führen alle Spuren. Der ältere Quintus Caepio war 643 Con- sul, der jüngere 650 Quaestor, also jener um 600, dieser um 623 geboren; daſs jener starb ohne Söhne zu hinterlassen (Strabon 4, 188), widerspricht nicht, denn der jüngere Caepio fiel 664 und der ältere, der im Exil zu Smyrna sein Leben beschloſs, kann gar wohl ihn überlebt haben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/204
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/204>, abgerufen am 02.05.2024.