Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. Kind, mit Habe und Gut auszog eine neue Heimath sich zu su-chen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig sesshaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und namentlich auch von den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Geräth Platz sich fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwun- derung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Grösse und Stärke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundernd die flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegs- wesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr wie einst die italischen barhäuptig und bloss mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen oft reich geschmückten Helmen und mit einer eigenthümlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das grosse Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe angeblich eben so viel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die me- tallenen Leibgürtel mit Stricken unter einander verknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und wo möglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Bar- baren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausge- macht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Geberden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Auf- pauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbre focht tapfer -- galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war --, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität: das Geräth ward zerschlagen, die Pferde getödtet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten um den Göttern geopfert zu werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weissen linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Sky- thenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des DIE VÖLKER DES NORDENS. Kind, mit Habe und Gut auszog eine neue Heimath sich zu su-chen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig seſshaft gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte als bei den Hellenen und den Italikern und namentlich auch von den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach neben dem Geräth Platz sich fand für die Frau und die Kinder und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwun- derung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen, die den Männern an Gröſse und Stärke wenig nachgaben, die Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundernd die flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegs- wesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr wie einst die italischen barhäuptig und bloſs mit Schwert und Dolch fochten, sondern mit kupfernen oft reich geschmückten Helmen und mit einer eigenthümlichen Wurfwaffe, der Materis; daneben war das groſse Schwert geblieben und der lange schmale Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe angeblich eben so viel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx, deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die me- tallenen Leibgürtel mit Stricken unter einander verknüpfte. Die Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen. Heerkönig war der tapferste und wo möglich der längste Mann. Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Bar- baren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausge- macht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche Geberden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Auf- pauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbre focht tapfer — galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre als der einzige, der des freien Mannes würdig war —, allein nach dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität: das Geräth ward zerschlagen, die Pferde getödtet, die Gefangenen aufgeknüpft oder nur aufbehalten um den Göttern geopfert zu werden. 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DIE VÖLKER DES NORDENS.
Kind, mit Habe und Gut auszog eine neue Heimath sich zu su-
chen. Der Karren, der überall bei den noch nicht völlig seſshaft
gewordenen Völkern des Nordens eine andere Bedeutung hatte
als bei den Hellenen und den Italikern und namentlich auch von
den Kelten durchgängig ins Lager mitgeführt ward, war hier
gleichsam das Haus, wo unter dem übergespannten Lederdach
neben dem Geräth Platz sich fand für die Frau und die Kinder
und selbst für den Haushund. Die Südländer sahen mit Verwun-
derung diese hohen schlanken Gestalten mit den tiefblonden
Locken und den hellblauen Augen, die derben stattlichen Frauen,
die den Männern an Gröſse und Stärke wenig nachgaben, die
Kinder mit dem Greisenhaar, wie die Italiener verwundernd die
flachsköpfigen Jungen des Nordlandes bezeichneten. Das Kriegs-
wesen war wesentlich das der Kelten dieser Zeit, die nicht mehr
wie einst die italischen barhäuptig und bloſs mit Schwert und
Dolch fochten, sondern mit kupfernen oft reich geschmückten
Helmen und mit einer eigenthümlichen Wurfwaffe, der Materis;
daneben war das groſse Schwert geblieben und der lange schmale
Schild, neben dem man auch wohl noch einen Panzer trug. An
Reiterei fehlte es nicht; doch waren die Römer in dieser Waffe
ihnen überlegen. Die Schlachtordnung war wie früher eine rohe
angeblich eben so viel Glieder tief wie breit gestellte Phalanx,
deren erstes Glied in gefährlichen Gefechten nicht selten die me-
tallenen Leibgürtel mit Stricken unter einander verknüpfte. Die
Sitten waren rauh. Das Fleisch ward häufig roh verschlungen.
Heerkönig war der tapferste und wo möglich der längste Mann.
Nicht selten ward, nach Art der Kelten und überhaupt der Bar-
baren, Tag und Ort des Kampfes vorher mit dem Feinde ausge-
macht, auch wohl vor dem Beginn der Schlacht ein einzelner
Gegner zum Zweikampf herausgefordert. Die Einleitung zum
Kampf machten Verhöhnungen des Feindes durch unschickliche
Geberden und ein entsetzliches Gelärm, indem die Männer ihr
Schlachtgebrüll erhoben und die Frauen und Kinder durch Auf-
pauken auf die ledernen Wagendeckel nachhalfen. Der Kimbre
focht tapfer — galt ihm doch der Tod auf dem Bett der Ehre
als der einzige, der des freien Mannes würdig war —, allein nach
dem Siege hielt er sich schadlos durch die wildeste Bestialität:
das Geräth ward zerschlagen, die Pferde getödtet, die Gefangenen
aufgeknüpft oder nur aufbehalten um den Göttern geopfert zu
werden. Es waren die Priesterinnen, greise Frauen in weiſsen
linnenen Gewändern und unbeschuht, die wie Iphigeneia im Sky-
thenland diese Opfer vollzogen und aus dem rinnenden Blut des
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