Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.DIE VÖLKER DES NORDENS. machten -- vermuthlich die thatsächliche Antwort auf die Art,wie bei den römischen Razzias in den Alpenthälern verfahren ward. Wie gefährlich diese raetischen Einfälle waren, zeigt, dass einer derselben um das J. 660 die ansehnliche Ortschaft Comum zu Grunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseit der Al- penkette sitzenden keltischen und nicht keltischen Stämme viel- fach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung wie begreiflich noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht wie in den west- licheren die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Ueberrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war überall wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elemen- ten und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker grenzten die Ja- pyden, die auf den julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng sassen, ein ursprünglich wohl illyri- scher aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten am Littoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Ge- birge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Bin- nenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allen mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der untern Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker des heutigen Ungarns, der Wallachei und Bulgariens blieben für jetzt noch ausserhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Ma- kedoniens in den Rhodopegebirgen. -- Es wäre für eine kräfti- gere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzvertheidigung durchzu- führen; was unter den Auspicien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, konnte auch den mässigsten An- forderungen nicht genügen. An Expeditionen gegen die Alpen- bewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im J. 636 ward triumphirt über die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im J. 659 liess der Consul Lucius Cras- Röm. Gesch. II. 11
DIE VÖLKER DES NORDENS. machten — vermuthlich die thatsächliche Antwort auf die Art,wie bei den römischen Razzias in den Alpenthälern verfahren ward. Wie gefährlich diese raetischen Einfälle waren, zeigt, daſs einer derselben um das J. 660 die ansehnliche Ortschaft Comum zu Grunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseit der Al- penkette sitzenden keltischen und nicht keltischen Stämme viel- fach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung wie begreiflich noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den Landschaften an der unteren Donau, wo nicht wie in den west- licheren die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen. Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner Ueberrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war überall wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elemen- ten und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker grenzten die Ja- pyden, die auf den julischen Alpen im heutigen Kroatien bis hinab nach Fiume und Zeng saſsen, ein ursprünglich wohl illyri- scher aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten am Littoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Ge- birge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Bin- nenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das ehemals hier vor allen mächtige Volk der Triballer erlegen war und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle gespielt hatten, an der untern Save bis zur Morawa im heutigen Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit und breit nach Moesien, Thrakien und Makedonien streifte und von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save. Die Völker des heutigen Ungarns, der Wallachei und Bulgariens blieben für jetzt noch auſserhalb des Gesichtskreises der Römer; nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Ma- kedoniens in den Rhodopegebirgen. — Es wäre für eine kräfti- gere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete eine geordnete und ausreichende Grenzvertheidigung durchzu- führen; was unter den Auspicien der Restaurationsregierung für den wichtigen Zweck geschah, konnte auch den mäſsigsten An- forderungen nicht genügen. An Expeditionen gegen die Alpen- bewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im J. 636 ward triumphirt über die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona gesessen haben dürften; im J. 659 lieſs der Consul Lucius Cras- Röm. Gesch. II. 11
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DIE VÖLKER DES NORDENS.
machten — vermuthlich die thatsächliche Antwort auf die Art,
wie bei den römischen Razzias in den Alpenthälern verfahren
ward. Wie gefährlich diese raetischen Einfälle waren, zeigt, daſs
einer derselben um das J. 660 die ansehnliche Ortschaft Comum
zu Grunde richtete. Wenn bereits diese auf und jenseit der Al-
penkette sitzenden keltischen und nicht keltischen Stämme viel-
fach sich gemischt haben mögen, so ist die Völkermengung wie
begreiflich noch in viel umfassenderer Weise eingetreten in den
Landschaften an der unteren Donau, wo nicht wie in den west-
licheren die hohen Gebirge als natürliche Scheidewände dienen.
Die ursprünglich illyrische Bevölkerung, deren letzter reiner
Ueberrest die heutigen Albanesen zu sein scheinen, war überall
wenigstens im Binnenland stark gemengt mit keltischen Elemen-
ten und die keltische Bewaffnung und Kriegsweise hier wohl
überall eingeführt. Zunächst an die Taurisker grenzten die Ja-
pyden, die auf den julischen Alpen im heutigen Kroatien bis
hinab nach Fiume und Zeng saſsen, ein ursprünglich wohl illyri-
scher aber stark mit Kelten gemischter Stamm. An sie grenzten
am Littoral die schon genannten Dalmater, in deren rauhe Ge-
birge die Kelten nicht eingedrungen zu sein scheinen; im Bin-
nenland dagegen waren die keltischen Skordisker, denen das
ehemals hier vor allen mächtige Volk der Triballer erlegen war
und die schon in den Keltenzügen nach Delphi eine Hauptrolle
gespielt hatten, an der untern Save bis zur Morawa im heutigen
Bosnien und Serbien um diese Zeit die führende Nation, die weit
und breit nach Moesien, Thrakien und Makedonien streifte und
von deren wilder Tapferkeit und grausamen Sitten man sich
schreckliche Dinge erzählte. Ihr Hauptwaffenplatz war das feste
Segestica oder Siscia an der Mündung der Kulpa in die Save.
Die Völker des heutigen Ungarns, der Wallachei und Bulgariens
blieben für jetzt noch auſserhalb des Gesichtskreises der Römer;
nur mit den Thrakern berührte man sich an der Ostgrenze Ma-
kedoniens in den Rhodopegebirgen. — Es wäre für eine kräfti-
gere Regierung, als die damalige römische es war, keine leichte
Aufgabe gewesen, gegen diese weiten und barbarischen Gebiete
eine geordnete und ausreichende Grenzvertheidigung durchzu-
führen; was unter den Auspicien der Restaurationsregierung für
den wichtigen Zweck geschah, konnte auch den mäſsigsten An-
forderungen nicht genügen. An Expeditionen gegen die Alpen-
bewohner scheint es nicht gefehlt zu haben; im J. 636 ward
triumphirt über die Stoener, die in den Bergen oberhalb Verona
gesessen haben dürften; im J. 659 lieſs der Consul Lucius Cras-
Röm. Gesch. II. 11
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