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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL III.
Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die nothgedrun-
gene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zu Gute ge-
kommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Gluth
flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte
Erbitterung gegen die Partei, die das Land zerrüttet und ihm
den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft
seines Gemüthes ist er der erste Redner geworden, den Rom je-
mals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den
ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter
den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind man-
che* selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtig-
keit und wohl begreift man, dass wer sie hörte oder auch nur
las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte.
Dennoch so sehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht sel-
ten ihn selber der Zorn, so dass dem glänzenden Sprecher die
Rede trübe oder stockend floss. Es ist das treue Abbild seines
politischen Thuns und Leidens. In Gaius Wesen ist keine Ader
jener gutmüthigen etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichti-
gen und unklaren Art, die den politischen Gegner mit Bitten und
Thränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den
Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache.
,Auch mir', schrieb ihm seine Mutter, ,scheint nichts schöner
und herrlicher als dem Feinde zu vergelten, wofern dies gesche-
hen kann, ohne dass das Vaterland zu Grunde geht. Ist aber dies
nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben was
sie sind, tausendmal lieber als dass das Vaterland verderbe.'
Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntniss war eben
das Gegentheil. Rache wollte er haben von der elenden Regie-
rung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Ge-
meinwesen darüber zu Grunde gehen. -- Die Ahnung, dass das
Verhängniss ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb
ihn nur sich zu hasten, dem tödtlich Verwundeten gleich, der
sich auf seinen Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch
den Sohn, diese tiefgereizte leidenschaftlich erregte durchaus ita-

* So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen
Worte: ,Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler
Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüsst habe und nun
niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Grac-
chus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu las-
sen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein
Sprössling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von
euch bereitwillig zugestanden worden sein'.

VIERTES BUCH. KAPITEL III.
Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die nothgedrun-
gene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zu Gute ge-
kommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Gluth
flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte
Erbitterung gegen die Partei, die das Land zerrüttet und ihm
den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft
seines Gemüthes ist er der erste Redner geworden, den Rom je-
mals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den
ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter
den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind man-
che* selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtig-
keit und wohl begreift man, daſs wer sie hörte oder auch nur
las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte.
Dennoch so sehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht sel-
ten ihn selber der Zorn, so daſs dem glänzenden Sprecher die
Rede trübe oder stockend floſs. Es ist das treue Abbild seines
politischen Thuns und Leidens. In Gaius Wesen ist keine Ader
jener gutmüthigen etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichti-
gen und unklaren Art, die den politischen Gegner mit Bitten und
Thränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den
Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache.
‚Auch mir‘, schrieb ihm seine Mutter, ‚scheint nichts schöner
und herrlicher als dem Feinde zu vergelten, wofern dies gesche-
hen kann, ohne daſs das Vaterland zu Grunde geht. Ist aber dies
nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben was
sie sind, tausendmal lieber als daſs das Vaterland verderbe.‘
Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntniſs war eben
das Gegentheil. Rache wollte er haben von der elenden Regie-
rung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Ge-
meinwesen darüber zu Grunde gehen. — Die Ahnung, daſs das
Verhängniſs ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb
ihn nur sich zu hasten, dem tödtlich Verwundeten gleich, der
sich auf seinen Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch
den Sohn, diese tiefgereizte leidenschaftlich erregte durchaus ita-

* So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen
Worte: ‚Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler
Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüſst habe und nun
niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Grac-
chus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu las-
sen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein
Spröſsling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von
euch bereitwillig zugestanden worden sein‘.
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[98/0108] VIERTES BUCH. KAPITEL III. Handelns war die durchgemachte Leidensschule, die nothgedrun- gene Zurückhaltung während der letzten neun Jahre zu Gute ge- kommen; nicht mit geminderter, nur mit verdichteter Gluth flammte in ihm die tief in die innerste Brust zurückgedrängte Erbitterung gegen die Partei, die das Land zerrüttet und ihm den Bruder ermordet hatte. Durch diese furchtbare Leidenschaft seines Gemüthes ist er der erste Redner geworden, den Rom je- mals gehabt hat; ohne sie würden wir ihn wahrscheinlich den ersten Staatsmännern aller Zeiten beizählen dürfen. Noch unter den wenigen Trümmern seiner aufgezeichneten Reden sind man- che * selbst in diesem Zustande von herzerschütternder Mächtig- keit und wohl begreift man, daſs wer sie hörte oder auch nur las, fortgerissen ward von dem brausenden Sturm seiner Worte. Dennoch so sehr er der Rede Meister war, bemeisterte nicht sel- ten ihn selber der Zorn, so daſs dem glänzenden Sprecher die Rede trübe oder stockend floſs. Es ist das treue Abbild seines politischen Thuns und Leidens. In Gaius Wesen ist keine Ader jener gutmüthigen etwas sentimentalen und gar sehr kurzsichti- gen und unklaren Art, die den politischen Gegner mit Bitten und Thränen umstimmen möchte; mit voller Sicherheit betrat er den Weg der Revolution und strebte er nach dem Ziel der Rache. ‚Auch mir‘, schrieb ihm seine Mutter, ‚scheint nichts schöner und herrlicher als dem Feinde zu vergelten, wofern dies gesche- hen kann, ohne daſs das Vaterland zu Grunde geht. Ist aber dies nicht möglich, da mögen unsere Feinde bestehen und bleiben was sie sind, tausendmal lieber als daſs das Vaterland verderbe.‘ Cornelia kannte ihren Sohn; sein Glaubensbekenntniſs war eben das Gegentheil. Rache wollte er haben von der elenden Regie- rung, Rache um jeden Preis, mochte auch er selbst, ja das Ge- meinwesen darüber zu Grunde gehen. — Die Ahnung, daſs das Verhängniſs ihn so sicher ereilen werde wie den Bruder, trieb ihn nur sich zu hasten, dem tödtlich Verwundeten gleich, der sich auf seinen Feind wirft. Die Mutter dachte edler; aber auch den Sohn, diese tiefgereizte leidenschaftlich erregte durchaus ita- * So die bei der Ankündigung seiner Gesetzvorschläge gesprochenen Worte: ‚Wenn ich zu euch redete und von euch begehrte, da ich von edler Herkunft bin und meinen Bruder um euretwillen eingebüſst habe und nun niemand weiter übrig ist von des Publius Africanus und des Tiberius Grac- chus Nachkommen als nur ich und ein Knabe, mich für jetzt feiern zu las- sen, damit nicht unser Stamm mit der Wurzel ausgerottet werde und ein Spröſsling dieses Geschlechts übrig bleibe: so möchte wohl solches mir von euch bereitwillig zugestanden worden sein‘.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/108>, abgerufen am 23.11.2024.