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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
diesmal noch den Brand, ehe er andere bundesgenössische Ge-
meinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Ueber-
legenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrath eines
Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus ward der Praetor
Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr
Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf
ward. Auf einem Theil ihres Gebiets ward 630 die Colonie Fa-
brateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wur-
den unter die umliegenden Gemeinden vertheilt. Das schnelle
und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft
und endlose Hochverrathsprozesse verfolgten nicht bloss die
Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom,
die der Aristokratie begreiflicher Weise als an dieser Insurrection
mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder
in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in
Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung
unterliess, und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren den-
noch zurückkam, ihn als einen der Urheber des fregellanischen
Aufstandes vor Gericht gezogen (629-30). Allein die Bürger-
schaft sprach ihn frei und nun hob auch er den Handschuh auf
und bewarb sich um das Volkstribunat. In einer ungewöhnlich
zahlreich besuchten Wahlversammlung ward Gaius Gracchus zum
Volkstribun für das J. 631 erwählt. Der Krieg war also erklärt.
Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Capacitäten,
hatte neun Jahre hindurch nothgedrungen so gut wie gefeiert;
jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an
ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller
als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war.

Gaius Gracchus (601-633) war sehr verschieden von
seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er ge-
meiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebil-
deter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia un-
ter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung
gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leiden-
schaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klar-
heit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in
dem Drang der verschiedenartigsten zur praktischen Durchführung
seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen
wusste, erkannte man das echte staatsmännische Talent, wie an
der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit
der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit
dieses adlichen Gemüthes. Der Energie seines Wollens und

Röm. Gesch. II. 7

DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS.
diesmal noch den Brand, ehe er andere bundesgenössische Ge-
meinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Ueber-
legenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrath eines
Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus ward der Praetor
Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr
Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf
ward. Auf einem Theil ihres Gebiets ward 630 die Colonie Fa-
brateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wur-
den unter die umliegenden Gemeinden vertheilt. Das schnelle
und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft
und endlose Hochverrathsprozesse verfolgten nicht bloſs die
Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom,
die der Aristokratie begreiflicher Weise als an dieser Insurrection
mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder
in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in
Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung
unterlieſs, und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren den-
noch zurückkam, ihn als einen der Urheber des fregellanischen
Aufstandes vor Gericht gezogen (629-30). Allein die Bürger-
schaft sprach ihn frei und nun hob auch er den Handschuh auf
und bewarb sich um das Volkstribunat. In einer ungewöhnlich
zahlreich besuchten Wahlversammlung ward Gaius Gracchus zum
Volkstribun für das J. 631 erwählt. Der Krieg war also erklärt.
Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Capacitäten,
hatte neun Jahre hindurch nothgedrungen so gut wie gefeiert;
jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an
ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller
als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war.

Gaius Gracchus (601-633) war sehr verschieden von
seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er ge-
meiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebil-
deter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia un-
ter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung
gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leiden-
schaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klar-
heit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in
dem Drang der verschiedenartigsten zur praktischen Durchführung
seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen
wuſste, erkannte man das echte staatsmännische Talent, wie an
der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit
der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit
dieses adlichen Gemüthes. Der Energie seines Wollens und

Röm. Gesch. II. 7
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[97/0107] DIE REVOLUTION UND GAIUS GRACCHUS. diesmal noch den Brand, ehe er andere bundesgenössische Ge- meinden ergriff, im Keime zu ersticken; nicht durch die Ueber- legenheit der römischen Waffen, sondern durch den Verrath eines Fregellaners, des Quintus Numitorius Pullus ward der Praetor Lucius Opimius rasch Meister über die empörte Stadt, die ihr Stadtrecht und ihre Mauern verlor und gleich Capua ein Dorf ward. Auf einem Theil ihres Gebiets ward 630 die Colonie Fa- brateria gegründet; der Rest und die ehemalige Stadt selbst wur- den unter die umliegenden Gemeinden vertheilt. Das schnelle und furchtbare Strafgericht schreckte die Bundesgenossenschaft und endlose Hochverrathsprozesse verfolgten nicht bloſs die Fregellaner, sondern auch die Führer der Volkspartei in Rom, die der Aristokratie begreiflicher Weise als an dieser Insurrection mitschuldig galten. Inzwischen erschien Gaius Gracchus wieder in Rom. Die Aristokratie hatte den gefürchteten Mann zuerst in Sardinien festzuhalten gesucht, indem sie die übliche Ablösung unterlieſs, und sodann, da er ohne hieran sich zu kehren den- noch zurückkam, ihn als einen der Urheber des fregellanischen Aufstandes vor Gericht gezogen (629-30). Allein die Bürger- schaft sprach ihn frei und nun hob auch er den Handschuh auf und bewarb sich um das Volkstribunat. In einer ungewöhnlich zahlreich besuchten Wahlversammlung ward Gaius Gracchus zum Volkstribun für das J. 631 erwählt. Der Krieg war also erklärt. Die demokratische Partei, immer arm an leitenden Capacitäten, hatte neun Jahre hindurch nothgedrungen so gut wie gefeiert; jetzt war der Waffenstillstand zu Ende und es stand diesmal an ihrer Spitze ein Mann, der redlicher als Carbo und talentvoller als Flaccus in jeder Beziehung zur Führerschaft berufen war. Gaius Gracchus (601-633) war sehr verschieden von seinem um neun Jahre älteren Bruder. Wie dieser war er ge- meiner Lust und gemeinem Treiben abgewandt, ein durchgebil- deter Mann und ein tapferer Soldat; er hatte vor Numantia un- ter seinem Schwager und später in Sardinien mit Auszeichnung gefochten. Allein an Talent, Charakter und vor allem an Leiden- schaft war er dem Tiberius entschieden überlegen. An der Klar- heit und Sicherheit, mit welcher der junge Mann sich später in dem Drang der verschiedenartigsten zur praktischen Durchführung seiner zahlreichen Gesetze erforderlichen Geschäfte zu bewegen wuſste, erkannte man das echte staatsmännische Talent, wie an der leidenschaftlichen bis zum Tode getreuen Hingebung, mit der seine näheren Freunde an ihm hingen, die Liebefähigkeit dieses adlichen Gemüthes. Der Energie seines Wollens und Röm. Gesch. II. 7

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/107>, abgerufen am 23.11.2024.