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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Wahrscheinlich waren die Formulare im Wesentlichen der
Sammlung des Appius entlehnt; die Erläuterung bestand wohl
hauptsächlich in einer Erklärung der veralteten Ausdrücke
und darf in Verbindung gebracht werden mit der eben damals
aufblühenden Wissenschaft lateinischer Grammatik. Im übrigen
beschränkten sich die Rechtsgelehrten dieser Zeit auf die
praktische Thätigkeit, das heisst auf die Bescheidung der an-
fragenden Parteien und auf die Bildung der zuhörenden jün-
geren Leute. -- Aber so einsam Cato stand, so ersetzte er
doch dies einigermassen durch seine vielumfassende Thätigkeit.
In der Wissenschaft sollte alles unmittelbar Praktische, aber
auch dieses allein und dies möglichst kurz und schlicht zu-
sammengefasst werden; wobei die Schriften der Hellenen be-
nutzt wurden -- ,die griechischen Bücher muss man einsehen,
aber nicht auswendig lernen', lautet einer von Catos Weis-
sprüchen --, aber nur um aus dem Wust unnützer Betrach-
tungen einzelne brauchbare Erfahrungssätze zu gewinnen.
In dieser Weise hatten ja auch schon die Vorfahren grie-
chische Erfindungen sich angeeignet; in ihrem Sinne fort-
fahrend fasste Cato das Ergebniss seiner Bestrebungen zusam-
men in einem merkwürdigen Buche, das für die spätere
Entwicklung der römischen Litteratur sehr wichtig geworden
ist, einer Art Encyclopädie, die er seinem Sohne zuschrieb
und in der in kurzen Sätzen dargelegt war, was ein ,braver
Mann' (vir bonus) sein müsse als sittlicher Mensch überhaupt,
als Redner, als Kriegsmann, als Landmann, als Rechtskundiger
und als Arzt. Dass diese Bücher, deren recht eigentliche Be-
stimmung war mit der Spitzfindigkeit und Unklarheit auch
den Scharfsinn und den Tiefsinn der Griechen zu verbannen,
im Ganzen nicht mehr sein wollten noch waren als schlichte
häusliche Noth- und Hülfsbücher, versteht sich von selbst;
aber eben so sehr, dass es an kernigen Sprüchen nicht fehlte,
wohin zum Beispiel die goldene Regel für den Redner gehört ,an
die Sache zu denken und die Worte sich von selber geben zu
lassen' -- eine Regel, die die Nachfahren öfter anführten als
befolgten. -- Ohne Zweifel höher stand Catos Geschichtswerk,
die ,Anfänge' genannt; das erste römische Geschichtbuch, das
sich losmachte einerseits aus den Fesseln der Jahrzeitbuch-
form, andrerseits aus denen der griechisch schreibenden Hi-
storiographie, und das wir, wenn die Ungunst der Zeiten es
uns gegönnt hätte, wohl würden stellen dürfen neben die
Musen Herodots. Cato erzählte nicht in Chronikenweise die

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
Wahrscheinlich waren die Formulare im Wesentlichen der
Sammlung des Appius entlehnt; die Erläuterung bestand wohl
hauptsächlich in einer Erklärung der veralteten Ausdrücke
und darf in Verbindung gebracht werden mit der eben damals
aufblühenden Wissenschaft lateinischer Grammatik. Im übrigen
beschränkten sich die Rechtsgelehrten dieser Zeit auf die
praktische Thätigkeit, das heiſst auf die Bescheidung der an-
fragenden Parteien und auf die Bildung der zuhörenden jün-
geren Leute. — Aber so einsam Cato stand, so ersetzte er
doch dies einigermaſsen durch seine vielumfassende Thätigkeit.
In der Wissenschaft sollte alles unmittelbar Praktische, aber
auch dieses allein und dies möglichst kurz und schlicht zu-
sammengefaſst werden; wobei die Schriften der Hellenen be-
nutzt wurden — ‚die griechischen Bücher muſs man einsehen,
aber nicht auswendig lernen‘, lautet einer von Catos Weis-
sprüchen —, aber nur um aus dem Wust unnützer Betrach-
tungen einzelne brauchbare Erfahrungssätze zu gewinnen.
In dieser Weise hatten ja auch schon die Vorfahren grie-
chische Erfindungen sich angeeignet; in ihrem Sinne fort-
fahrend faſste Cato das Ergebniſs seiner Bestrebungen zusam-
men in einem merkwürdigen Buche, das für die spätere
Entwicklung der römischen Litteratur sehr wichtig geworden
ist, einer Art Encyclopädie, die er seinem Sohne zuschrieb
und in der in kurzen Sätzen dargelegt war, was ein ‚braver
Mann‘ (vir bonus) sein müsse als sittlicher Mensch überhaupt,
als Redner, als Kriegsmann, als Landmann, als Rechtskundiger
und als Arzt. Daſs diese Bücher, deren recht eigentliche Be-
stimmung war mit der Spitzfindigkeit und Unklarheit auch
den Scharfsinn und den Tiefsinn der Griechen zu verbannen,
im Ganzen nicht mehr sein wollten noch waren als schlichte
häusliche Noth- und Hülfsbücher, versteht sich von selbst;
aber eben so sehr, daſs es an kernigen Sprüchen nicht fehlte,
wohin zum Beispiel die goldene Regel für den Redner gehört ‚an
die Sache zu denken und die Worte sich von selber geben zu
lassen‘ — eine Regel, die die Nachfahren öfter anführten als
befolgten. — Ohne Zweifel höher stand Catos Geschichtswerk,
die ‚Anfänge‘ genannt; das erste römische Geschichtbuch, das
sich losmachte einerseits aus den Fesseln der Jahrzeitbuch-
form, andrerseits aus denen der griechisch schreibenden Hi-
storiographie, und das wir, wenn die Ungunst der Zeiten es
uns gegönnt hätte, wohl würden stellen dürfen neben die
Musen Herodots. Cato erzählte nicht in Chronikenweise die

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[636/0650] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. Wahrscheinlich waren die Formulare im Wesentlichen der Sammlung des Appius entlehnt; die Erläuterung bestand wohl hauptsächlich in einer Erklärung der veralteten Ausdrücke und darf in Verbindung gebracht werden mit der eben damals aufblühenden Wissenschaft lateinischer Grammatik. Im übrigen beschränkten sich die Rechtsgelehrten dieser Zeit auf die praktische Thätigkeit, das heiſst auf die Bescheidung der an- fragenden Parteien und auf die Bildung der zuhörenden jün- geren Leute. — Aber so einsam Cato stand, so ersetzte er doch dies einigermaſsen durch seine vielumfassende Thätigkeit. In der Wissenschaft sollte alles unmittelbar Praktische, aber auch dieses allein und dies möglichst kurz und schlicht zu- sammengefaſst werden; wobei die Schriften der Hellenen be- nutzt wurden — ‚die griechischen Bücher muſs man einsehen, aber nicht auswendig lernen‘, lautet einer von Catos Weis- sprüchen —, aber nur um aus dem Wust unnützer Betrach- tungen einzelne brauchbare Erfahrungssätze zu gewinnen. In dieser Weise hatten ja auch schon die Vorfahren grie- chische Erfindungen sich angeeignet; in ihrem Sinne fort- fahrend faſste Cato das Ergebniſs seiner Bestrebungen zusam- men in einem merkwürdigen Buche, das für die spätere Entwicklung der römischen Litteratur sehr wichtig geworden ist, einer Art Encyclopädie, die er seinem Sohne zuschrieb und in der in kurzen Sätzen dargelegt war, was ein ‚braver Mann‘ (vir bonus) sein müsse als sittlicher Mensch überhaupt, als Redner, als Kriegsmann, als Landmann, als Rechtskundiger und als Arzt. Daſs diese Bücher, deren recht eigentliche Be- stimmung war mit der Spitzfindigkeit und Unklarheit auch den Scharfsinn und den Tiefsinn der Griechen zu verbannen, im Ganzen nicht mehr sein wollten noch waren als schlichte häusliche Noth- und Hülfsbücher, versteht sich von selbst; aber eben so sehr, daſs es an kernigen Sprüchen nicht fehlte, wohin zum Beispiel die goldene Regel für den Redner gehört ‚an die Sache zu denken und die Worte sich von selber geben zu lassen‘ — eine Regel, die die Nachfahren öfter anführten als befolgten. — Ohne Zweifel höher stand Catos Geschichtswerk, die ‚Anfänge‘ genannt; das erste römische Geschichtbuch, das sich losmachte einerseits aus den Fesseln der Jahrzeitbuch- form, andrerseits aus denen der griechisch schreibenden Hi- storiographie, und das wir, wenn die Ungunst der Zeiten es uns gegönnt hätte, wohl würden stellen dürfen neben die Musen Herodots. Cato erzählte nicht in Chronikenweise die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 636. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/650>, abgerufen am 25.11.2024.