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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
zürnten Götter lassen möge, so schalt Cato auf die, die über
die altmodischen Thonbilder auf den Tempeldächern spotteten.
Poesie und Kunst galten als Handwerk, das für geringe Leute
und Fremde sich wohl schicke, aber für angesehene Bürger
unziemlich war; und diese Auffassung blieb lange Zeit die
herrschende in Rom.

Später als Litteratur und Kunst fingen die griechischen
Wissenschaften an in Rom sich einzubürgern. Am frühesten
wahrscheinlich die Grammatik, die mit den Anfängen der
Litteratur um Naevius Zeit begonnen zu haben scheint, in-
dem man die wissenschaftlichen Grundsätze, nach denen die
griechische Sprache behandelt ward, auch auf die lateinische
übertrug. Dieser Zeit an gehört die Regulirung des römi-
schen Alphabets durch Beseitigung der veralteten Zeichen
und Aufnahme des schon seit längerer Zeit wieder eingeführ-
ten g an die Stelle des ausgestossenen z; womit ohne Zweifel
auch eine allmähliche Feststellung der Rechtschreibung zu-
sammenhing. Es knüpft sich jene Regulirung des Alphabets
an den Namen des Spurius Carvilius, der vermuthlich schon
förmlichen Sprachunterricht gab. Der Grammatik folgte die
griechische Heilkunst -- der erste griechische Arzt kam 535
nach Rom -- und die griechische Geschichtschreibung, welche
Quintus Fabius und Lucius Cincius, beides senatorische und
während des zweiten punischen Krieges in Staatsgeschäften
thätige Männer, zuerst einführten und dabei nicht bloss im
Gegensatz gegen die alte einheimische Chronik griechischen
Pragmatismus, sondern sogar statt der eigenen die griechische
Sprache anwandten. Die Rhetorik und Philosophie fanden
erst in den letzten Decennien dieser Epoche ihren Weg nach
Rom. Diese griechischen Wissenschaften, die Medicin, die
Historie, die Rhetorik, die Philosophie traf der volle Hass der
Männer nationalen Strebens und die ernstlichsten Versuche
wurden gemacht sich der Feinde zu erwehren. Vor allen
Dingen ward die Polizei zu Hülfe gerufen. Je zahlreicher die
jungen Leute den fremden Philosophen zuströmten, desto
mehr eilte der Senat die sämmtlichen griechischen Philosophen
und Rhetoren aus der Stadt zu weisen (593) -- nachdem
Cato den vielbewunderten Karneades gehört, erklärte er im
Senat, dass der Mensch nothwendig fortgeschafft werden müsse,
denn wenn er Gründe und Gegengründe aufzähle, könne Nie-
mand daraus klug werden, auf welcher Seite das Recht sei.
Die griechischen Aerzte ebenso auszuweisen war leider nicht

DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
zürnten Götter lassen möge, so schalt Cato auf die, die über
die altmodischen Thonbilder auf den Tempeldächern spotteten.
Poesie und Kunst galten als Handwerk, das für geringe Leute
und Fremde sich wohl schicke, aber für angesehene Bürger
unziemlich war; und diese Auffassung blieb lange Zeit die
herrschende in Rom.

Später als Litteratur und Kunst fingen die griechischen
Wissenschaften an in Rom sich einzubürgern. Am frühesten
wahrscheinlich die Grammatik, die mit den Anfängen der
Litteratur um Naevius Zeit begonnen zu haben scheint, in-
dem man die wissenschaftlichen Grundsätze, nach denen die
griechische Sprache behandelt ward, auch auf die lateinische
übertrug. Dieser Zeit an gehört die Regulirung des römi-
schen Alphabets durch Beseitigung der veralteten Zeichen
und Aufnahme des schon seit längerer Zeit wieder eingeführ-
ten g an die Stelle des ausgestoſsenen z; womit ohne Zweifel
auch eine allmähliche Feststellung der Rechtschreibung zu-
sammenhing. Es knüpft sich jene Regulirung des Alphabets
an den Namen des Spurius Carvilius, der vermuthlich schon
förmlichen Sprachunterricht gab. Der Grammatik folgte die
griechische Heilkunst — der erste griechische Arzt kam 535
nach Rom — und die griechische Geschichtschreibung, welche
Quintus Fabius und Lucius Cincius, beides senatorische und
während des zweiten punischen Krieges in Staatsgeschäften
thätige Männer, zuerst einführten und dabei nicht bloſs im
Gegensatz gegen die alte einheimische Chronik griechischen
Pragmatismus, sondern sogar statt der eigenen die griechische
Sprache anwandten. Die Rhetorik und Philosophie fanden
erst in den letzten Decennien dieser Epoche ihren Weg nach
Rom. Diese griechischen Wissenschaften, die Medicin, die
Historie, die Rhetorik, die Philosophie traf der volle Haſs der
Männer nationalen Strebens und die ernstlichsten Versuche
wurden gemacht sich der Feinde zu erwehren. Vor allen
Dingen ward die Polizei zu Hülfe gerufen. Je zahlreicher die
jungen Leute den fremden Philosophen zuströmten, desto
mehr eilte der Senat die sämmtlichen griechischen Philosophen
und Rhetoren aus der Stadt zu weisen (593) — nachdem
Cato den vielbewunderten Karneades gehört, erklärte er im
Senat, daſs der Mensch nothwendig fortgeschafft werden müsse,
denn wenn er Gründe und Gegengründe aufzähle, könne Nie-
mand daraus klug werden, auf welcher Seite das Recht sei.
Die griechischen Aerzte ebenso auszuweisen war leider nicht

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[634/0648] DRITTES BUCH. KAPITEL XI. zürnten Götter lassen möge, so schalt Cato auf die, die über die altmodischen Thonbilder auf den Tempeldächern spotteten. Poesie und Kunst galten als Handwerk, das für geringe Leute und Fremde sich wohl schicke, aber für angesehene Bürger unziemlich war; und diese Auffassung blieb lange Zeit die herrschende in Rom. Später als Litteratur und Kunst fingen die griechischen Wissenschaften an in Rom sich einzubürgern. Am frühesten wahrscheinlich die Grammatik, die mit den Anfängen der Litteratur um Naevius Zeit begonnen zu haben scheint, in- dem man die wissenschaftlichen Grundsätze, nach denen die griechische Sprache behandelt ward, auch auf die lateinische übertrug. Dieser Zeit an gehört die Regulirung des römi- schen Alphabets durch Beseitigung der veralteten Zeichen und Aufnahme des schon seit längerer Zeit wieder eingeführ- ten g an die Stelle des ausgestoſsenen z; womit ohne Zweifel auch eine allmähliche Feststellung der Rechtschreibung zu- sammenhing. Es knüpft sich jene Regulirung des Alphabets an den Namen des Spurius Carvilius, der vermuthlich schon förmlichen Sprachunterricht gab. Der Grammatik folgte die griechische Heilkunst — der erste griechische Arzt kam 535 nach Rom — und die griechische Geschichtschreibung, welche Quintus Fabius und Lucius Cincius, beides senatorische und während des zweiten punischen Krieges in Staatsgeschäften thätige Männer, zuerst einführten und dabei nicht bloſs im Gegensatz gegen die alte einheimische Chronik griechischen Pragmatismus, sondern sogar statt der eigenen die griechische Sprache anwandten. Die Rhetorik und Philosophie fanden erst in den letzten Decennien dieser Epoche ihren Weg nach Rom. Diese griechischen Wissenschaften, die Medicin, die Historie, die Rhetorik, die Philosophie traf der volle Haſs der Männer nationalen Strebens und die ernstlichsten Versuche wurden gemacht sich der Feinde zu erwehren. Vor allen Dingen ward die Polizei zu Hülfe gerufen. Je zahlreicher die jungen Leute den fremden Philosophen zuströmten, desto mehr eilte der Senat die sämmtlichen griechischen Philosophen und Rhetoren aus der Stadt zu weisen (593) — nachdem Cato den vielbewunderten Karneades gehört, erklärte er im Senat, daſs der Mensch nothwendig fortgeschafft werden müsse, denn wenn er Gründe und Gegengründe aufzähle, könne Nie- mand daraus klug werden, auf welcher Seite das Recht sei. Die griechischen Aerzte ebenso auszuweisen war leider nicht

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/648>, abgerufen am 22.11.2024.