Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL XI. in saturnischen Versen schrieb -- ein Werk, das etwa denReimchroniken des deutschen Mittelalters vergleichbar gewesen sein mag. Vielleicht noch bezeichnender für seine nationale Tendenz ist die Schöpfung des ernsten Schauspiels mit römi- schem Costüm, der sogenannten Praetexta, die gleichfalls auf ihn zurückgeht; in solchen Stücken stellte er ,die Erziehung des Romulus und Remus' und ,die Schlacht bei Clastidium' von 532, also Sagen- und gleichzeitige Geschichte dar. Be- deutender noch als diese Episirung und Dramatisirung der Chronik sind seine Versuche gewesen die Komik poetisch zu beleben. Er scheint dafür im Wesentlichen zwar die griechi- schen Formen adoptirt zu haben; wie lebensfrisch aber und ächt italisch dieselben gehandhabt wurden, bezeugt die An- gabe, dass er wegen seiner impertinenten Ausfälle gegen angesehene Leute von der Polizei in Rom eingesteckt ward, und erst wieder freikam, als er in andern Komödien öffentlich Busse und Abbitte gethan. Dass die Polizei wenn nicht Recht, doch Ursache dazu hatte, beweisen zum Beispiel die folgenden Zeilen, die er an den Sieger von Zama zu richten beliebte: Jener selbst, der grosse Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte, Wenn man bedenkt, dass diese und andre des Aristopha- * Wenn es wahr ist, dass er 550 in Utica starb, so entfloh er wäh-
rend des hannibalischen Krieges in das feindliche Land. Allein Varro zweifelte wohl nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Jahrszahl. Dass er ein Campaner war, deutet Gellius an; seine latinische Nationalität, wenn auch dafür Name und Werke nicht zeugten, er selbst in der Grabschrift. DRITTES BUCH. KAPITEL XI. in saturnischen Versen schrieb — ein Werk, das etwa denReimchroniken des deutschen Mittelalters vergleichbar gewesen sein mag. Vielleicht noch bezeichnender für seine nationale Tendenz ist die Schöpfung des ernsten Schauspiels mit römi- schem Costüm, der sogenannten Praetexta, die gleichfalls auf ihn zurückgeht; in solchen Stücken stellte er ‚die Erziehung des Romulus und Remus‘ und ‚die Schlacht bei Clastidium‘ von 532, also Sagen- und gleichzeitige Geschichte dar. Be- deutender noch als diese Episirung und Dramatisirung der Chronik sind seine Versuche gewesen die Komik poetisch zu beleben. Er scheint dafür im Wesentlichen zwar die griechi- schen Formen adoptirt zu haben; wie lebensfrisch aber und ächt italisch dieselben gehandhabt wurden, bezeugt die An- gabe, daſs er wegen seiner impertinenten Ausfälle gegen angesehene Leute von der Polizei in Rom eingesteckt ward, und erst wieder freikam, als er in andern Komödien öffentlich Buſse und Abbitte gethan. Daſs die Polizei wenn nicht Recht, doch Ursache dazu hatte, beweisen zum Beispiel die folgenden Zeilen, die er an den Sieger von Zama zu richten beliebte: Jener selbst, der groſse Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte, Wenn man bedenkt, daſs diese und andre des Aristopha- * Wenn es wahr ist, daſs er 550 in Utica starb, so entfloh er wäh-
rend des hannibalischen Krieges in das feindliche Land. Allein Varro zweifelte wohl nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Jahrszahl. Daſs er ein Campaner war, deutet Gellius an; seine latinische Nationalität, wenn auch dafür Name und Werke nicht zeugten, er selbst in der Grabschrift. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0644" n="630"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL XI.</fw><lb/> in saturnischen Versen schrieb — ein Werk, das etwa den<lb/> Reimchroniken des deutschen Mittelalters vergleichbar gewesen<lb/> sein mag. Vielleicht noch bezeichnender für seine nationale<lb/> Tendenz ist die Schöpfung des ernsten Schauspiels mit römi-<lb/> schem Costüm, der sogenannten Praetexta, die gleichfalls auf<lb/> ihn zurückgeht; in solchen Stücken stellte er ‚die Erziehung<lb/> des Romulus und Remus‘ und ‚die Schlacht bei Clastidium‘<lb/> von 532, also Sagen- und gleichzeitige Geschichte dar. Be-<lb/> deutender noch als diese Episirung und Dramatisirung der<lb/> Chronik sind seine Versuche gewesen die Komik poetisch zu<lb/> beleben. Er scheint dafür im Wesentlichen zwar die griechi-<lb/> schen Formen adoptirt zu haben; wie lebensfrisch aber und<lb/> ächt italisch dieselben gehandhabt wurden, bezeugt die An-<lb/> gabe, daſs er wegen seiner impertinenten Ausfälle gegen<lb/> angesehene Leute von der Polizei in Rom eingesteckt ward,<lb/> und erst wieder freikam, als er in andern Komödien öffentlich<lb/> Buſse und Abbitte gethan. Daſs die Polizei wenn nicht Recht,<lb/> doch Ursache dazu hatte, beweisen zum Beispiel die folgenden<lb/> Zeilen, die er an den Sieger von Zama zu richten beliebte:</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Jener selbst, der groſse Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte,<lb/> Dessen Thaten lebendig leben, der bei den Völkern allen allein gilt,<lb/> Den hat nach Haus der eigne Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.</hi> </p><lb/> <p>Wenn man bedenkt, daſs diese und andre des Aristopha-<lb/> nes nicht unwürdige Zeilen so ziemlich das früheste Schrift-<lb/> werk sind, das in Rom geschrieben ward, so mochte er nicht<lb/> ganz unbefugt in seiner Grabschrift von sich sagen, daſs mit<lb/> seinem Tode die lateinische Sprache in Rom zu Ende gehe <note place="foot" n="*">Wenn es wahr ist, daſs er 550 in Utica starb, so entfloh er wäh-<lb/> rend des hannibalischen Krieges in das feindliche Land. Allein Varro<lb/> zweifelte wohl nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Jahrszahl. Daſs<lb/> er ein Campaner war, deutet Gellius an; seine latinische Nationalität, wenn<lb/> auch dafür Name und Werke nicht zeugten, er selbst in der Grabschrift.</note>.<lb/> Er irrte aber; denn wenn auch das nationale Epos und<lb/> das nationale Schauspiel, die er zu schaffen gedachte, kein<lb/> rechtes Gedeihen fanden, so erwuchs doch die dreiste Lustig-<lb/> keit, die er in den Garten der lateinischen Poesie gepflanzt,<lb/> zu einem prächtigen Baum, dem einzigen daselbst, der nicht<lb/> als Zierpflanze frisch und fröhlich gedieh. Plautus († 570)<lb/> aus Sassina, einer ohne Zweifel in dieser Epoche schon völlig<lb/> latinisirten Stadt an der Grenze von Umbrien gegen das längst<lb/> lateinisch redende Picenum, war der rechte Vertreter dieser<lb/> Richtung. Seine Lustspiele, so sehr sie, in der Fabel na-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [630/0644]
DRITTES BUCH. KAPITEL XI.
in saturnischen Versen schrieb — ein Werk, das etwa den
Reimchroniken des deutschen Mittelalters vergleichbar gewesen
sein mag. Vielleicht noch bezeichnender für seine nationale
Tendenz ist die Schöpfung des ernsten Schauspiels mit römi-
schem Costüm, der sogenannten Praetexta, die gleichfalls auf
ihn zurückgeht; in solchen Stücken stellte er ‚die Erziehung
des Romulus und Remus‘ und ‚die Schlacht bei Clastidium‘
von 532, also Sagen- und gleichzeitige Geschichte dar. Be-
deutender noch als diese Episirung und Dramatisirung der
Chronik sind seine Versuche gewesen die Komik poetisch zu
beleben. Er scheint dafür im Wesentlichen zwar die griechi-
schen Formen adoptirt zu haben; wie lebensfrisch aber und
ächt italisch dieselben gehandhabt wurden, bezeugt die An-
gabe, daſs er wegen seiner impertinenten Ausfälle gegen
angesehene Leute von der Polizei in Rom eingesteckt ward,
und erst wieder freikam, als er in andern Komödien öffentlich
Buſse und Abbitte gethan. Daſs die Polizei wenn nicht Recht,
doch Ursache dazu hatte, beweisen zum Beispiel die folgenden
Zeilen, die er an den Sieger von Zama zu richten beliebte:
Jener selbst, der groſse Dinge ruhmvoll oft zu Ende führte,
Dessen Thaten lebendig leben, der bei den Völkern allen allein gilt,
Den hat nach Haus der eigne Vater von dem Liebchen geholt im Hemde.
Wenn man bedenkt, daſs diese und andre des Aristopha-
nes nicht unwürdige Zeilen so ziemlich das früheste Schrift-
werk sind, das in Rom geschrieben ward, so mochte er nicht
ganz unbefugt in seiner Grabschrift von sich sagen, daſs mit
seinem Tode die lateinische Sprache in Rom zu Ende gehe *.
Er irrte aber; denn wenn auch das nationale Epos und
das nationale Schauspiel, die er zu schaffen gedachte, kein
rechtes Gedeihen fanden, so erwuchs doch die dreiste Lustig-
keit, die er in den Garten der lateinischen Poesie gepflanzt,
zu einem prächtigen Baum, dem einzigen daselbst, der nicht
als Zierpflanze frisch und fröhlich gedieh. Plautus († 570)
aus Sassina, einer ohne Zweifel in dieser Epoche schon völlig
latinisirten Stadt an der Grenze von Umbrien gegen das längst
lateinisch redende Picenum, war der rechte Vertreter dieser
Richtung. Seine Lustspiele, so sehr sie, in der Fabel na-
* Wenn es wahr ist, daſs er 550 in Utica starb, so entfloh er wäh-
rend des hannibalischen Krieges in das feindliche Land. Allein Varro
zweifelte wohl nicht ohne Grund an der Richtigkeit der Jahrszahl. Daſs
er ein Campaner war, deutet Gellius an; seine latinische Nationalität, wenn
auch dafür Name und Werke nicht zeugten, er selbst in der Grabschrift.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |