Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL X. Rebellionen oder Kriege gegen Völker, die ausserhalb desKreises der römisch-griechischen Civilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze civilisirte Welt erkennt fortan in dem römischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen Commissionen in letzter Instanz zwischen Königen und Völ- kern entscheiden um dessen Sprache und Sitten sich anzu- eignen fremde Prinzen und vornehme junge Männer in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu entledigen ist in der That nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem grossen Mithradates von Pon- tos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhält an seiner bisherigen Politik keine unmittelbaren Besitzungen ausser- halb Italien zu erwerben, ausser wo wie in Spanien die Nothwendigkeit sie aufdringt; denn offenbar war auch Spa- niens Erwerb weit mehr eine Last als ein Gewinn und man behielt die Halbinsel nur, weil man um jeden Preis die Bildung eines neuen hannibalischen Staats verhindern zu müssen glaubte und es einmal nicht möglich war hier zwei Nationen gegen einander zu balanciren, wie in Gallien die Kelten durch die Massalioten, in Libyen die Punier durch die Eingebornen. Wenn man konnte, hielt man fest an der Staatsmaxime keine überseeischen Eroberungen und Besatzun- gen zu übernehmen; aber es war eine Sisyphusarbeit jene zahllosen Clientelstaaten durch die blosse politische Suprematie so weit in Ordnung zu halten, dass sie weder sich in völlige Schwäche und Anarchie auflösten, wie es in Griechenland geschah, noch dem halbfreien Staat die Möglichkeit blieb sich zur vollen Unabhängigkeit zu entwickeln, wie es nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte ganz zu Grunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Füsse stel- len; wesshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine bessere Stellung bei den römischen Diplomaten hatte als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufge- richtet, aber wer selber sich aufrichtete erniedrigt ward -- die Aetoler, Makedonien nach dem asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Das alles ward auf die Länge den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern; nach der Schlacht von Pydna zeigen sich schon deutlich die Anfänge eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms auch nur Mittelstaaten in der ihnen möglichen Unabhängigkeit neben sich zu dulden, wesshalb Makedonien nicht mehr geschwächt, DRITTES BUCH. KAPITEL X. Rebellionen oder Kriege gegen Völker, die auſserhalb desKreises der römisch-griechischen Civilisation stehen, gegen sogenannte Barbaren. Die ganze civilisirte Welt erkennt fortan in dem römischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen Commissionen in letzter Instanz zwischen Königen und Völ- kern entscheiden um dessen Sprache und Sitten sich anzu- eignen fremde Prinzen und vornehme junge Männer in Rom verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser Herrschaft zu entledigen ist in der That nur ein einziges Mal gemacht worden, von dem groſsen Mithradates von Pon- tos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber auch zugleich den letzten Moment, wo der Senat noch festhält an seiner bisherigen Politik keine unmittelbaren Besitzungen auſser- halb Italien zu erwerben, auſser wo wie in Spanien die Nothwendigkeit sie aufdringt; denn offenbar war auch Spa- niens Erwerb weit mehr eine Last als ein Gewinn und man behielt die Halbinsel nur, weil man um jeden Preis die Bildung eines neuen hannibalischen Staats verhindern zu müssen glaubte und es einmal nicht möglich war hier zwei Nationen gegen einander zu balanciren, wie in Gallien die Kelten durch die Massalioten, in Libyen die Punier durch die Eingebornen. Wenn man konnte, hielt man fest an der Staatsmaxime keine überseeischen Eroberungen und Besatzun- gen zu übernehmen; aber es war eine Sisyphusarbeit jene zahllosen Clientelstaaten durch die bloſse politische Suprematie so weit in Ordnung zu halten, daſs sie weder sich in völlige Schwäche und Anarchie auflösten, wie es in Griechenland geschah, noch dem halbfreien Staat die Möglichkeit blieb sich zur vollen Unabhängigkeit zu entwickeln, wie es nicht ohne Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte ganz zu Grunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Füſse stel- len; weſshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft eine bessere Stellung bei den römischen Diplomaten hatte als der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufge- richtet, aber wer selber sich aufrichtete erniedrigt ward — die Aetoler, Makedonien nach dem asiatischen Krieg, Rhodos, Pergamon machten die Erfahrung. Das alles ward auf die Länge den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern; nach der Schlacht von Pydna zeigen sich schon deutlich die Anfänge eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms auch nur Mittelstaaten in der ihnen möglichen Unabhängigkeit neben sich zu dulden, weſshalb Makedonien nicht mehr geschwächt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0612" n="598"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL X.</fw><lb/> Rebellionen oder Kriege gegen Völker, die auſserhalb des<lb/> Kreises der römisch-griechischen Civilisation stehen, gegen<lb/> sogenannte Barbaren. Die ganze civilisirte Welt erkennt fortan<lb/> in dem römischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen<lb/> Commissionen in letzter Instanz zwischen Königen und Völ-<lb/> kern entscheiden um dessen Sprache und Sitten sich anzu-<lb/> eignen fremde Prinzen und vornehme junge Männer in Rom<lb/> verweilen. 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DRITTES BUCH. KAPITEL X.
Rebellionen oder Kriege gegen Völker, die auſserhalb des
Kreises der römisch-griechischen Civilisation stehen, gegen
sogenannte Barbaren. Die ganze civilisirte Welt erkennt fortan
in dem römischen Senat den obersten Gerichtshof, dessen
Commissionen in letzter Instanz zwischen Königen und Völ-
kern entscheiden um dessen Sprache und Sitten sich anzu-
eignen fremde Prinzen und vornehme junge Männer in Rom
verweilen. Ein klarer und ernstlicher Versuch, sich dieser
Herrschaft zu entledigen ist in der That nur ein einziges
Mal gemacht worden, von dem groſsen Mithradates von Pon-
tos. Die Schlacht bei Pydna bezeichnet aber auch zugleich
den letzten Moment, wo der Senat noch festhält an seiner
bisherigen Politik keine unmittelbaren Besitzungen auſser-
halb Italien zu erwerben, auſser wo wie in Spanien die
Nothwendigkeit sie aufdringt; denn offenbar war auch Spa-
niens Erwerb weit mehr eine Last als ein Gewinn und
man behielt die Halbinsel nur, weil man um jeden Preis
die Bildung eines neuen hannibalischen Staats verhindern zu
müssen glaubte und es einmal nicht möglich war hier zwei
Nationen gegen einander zu balanciren, wie in Gallien die
Kelten durch die Massalioten, in Libyen die Punier durch die
Eingebornen. Wenn man konnte, hielt man fest an der
Staatsmaxime keine überseeischen Eroberungen und Besatzun-
gen zu übernehmen; aber es war eine Sisyphusarbeit jene
zahllosen Clientelstaaten durch die bloſse politische Suprematie
so weit in Ordnung zu halten, daſs sie weder sich in völlige
Schwäche und Anarchie auflösten, wie es in Griechenland
geschah, noch dem halbfreien Staat die Möglichkeit blieb sich
zur vollen Unabhängigkeit zu entwickeln, wie es nicht ohne
Erfolg Makedonien versuchte. Kein Staat durfte ganz zu
Grunde gehen, aber auch keiner sich auf eigene Füſse stel-
len; weſshalb der besiegte Feind wenigstens die gleiche, oft
eine bessere Stellung bei den römischen Diplomaten hatte als
der treue Bundesgenosse, und der Geschlagene zwar aufge-
richtet, aber wer selber sich aufrichtete erniedrigt ward — die
Aetoler, Makedonien nach dem asiatischen Krieg, Rhodos,
Pergamon machten die Erfahrung. Das alles ward auf die
Länge den Herren ebenso unleidlich wie den Dienern; nach
der Schlacht von Pydna zeigen sich schon deutlich die Anfänge
eines Systemwechsels und der steigenden Abneigung Roms auch
nur Mittelstaaten in der ihnen möglichen Unabhängigkeit neben
sich zu dulden, weſshalb Makedonien nicht mehr geschwächt,
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