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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren
Botschaft aber der Art war, dass Perseus, erkennend, dass er
nicht zurück könne, die Antwort gab, er sei bereit ein neues
wirklich gleiches Bündniss mit Rom zu schliessen, allein den
Vertrag von 557 sehe er als aufgehoben an, und die Gesand-
ten anwies binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit
war der Krieg thatsächlich erklärt. Es war im Herbst 582;
wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen
und die makedonische Partei überall ans Regiment bringen,
ja vielleicht die bei Apollonia stehende römische Division von
5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdrücken und den Römern
die Landung streitig machen. Allein der König, dem schon
vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, liess sich mit
seinem Gastfreund, dem Consular Quintus Marcius Philippus
in Verhandlungen ein über die Frivolität der römischen Kriegs-
erklärung, welche dieser benutzte um den König zu bestim-
men den Angriff zu verschieben und noch einmal einen Frie-
densversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat
nur beantwortete mit der Ausweisung sämmtlicher Makedonier
aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten
die Senatoren der älteren Schule die ,neue Weisheit' ihres
Collegen und die unrömische List; allein der Zweck war er-
reicht und der Winter verfloss, ohne dass Perseus sich rührte.
Desto eifriger nutzten die römischen Diplomaten die Zwischen-
zeit um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die
Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen socialen Be-
wegungen einverstanden war noch überhaupt sich weiter ver-
stieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen Neutralität,
dachte daran sich Perseus in die Arme zu werfen; und über-
dies war dort jetzt durch römischen Einfluss die Gegenpartei
ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloss.
Ebenso hatte zwar der aetolische Bund in seinen inneren
Unruhen von Perseus Hülfe erbeten; aber der unter den
Augen des römischen Gesandten gewählte neue Strateg Lykis-
kos war römischer gesinnt als die Römer selbst. Auch bei
den Thessalern behielt die römische Partei die Oberhand.
Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und ökono-
misch aufs tiefste zerrütteten Boeoter hatten sich in ihrer Ge-
sammtheit nicht offen für Perseus erklärt; nur zwei einzelne
Städte Haliartos und Koroneia hatten Sonderbündnisse mit ihm
abgeschlossen. Da auf die Beschwerden des römischen Ge-

DER DRITTE MAKEDONISCHE KRIEG.
wegen ging noch eine Gesandtschaft nach Makedonien, deren
Botschaft aber der Art war, daſs Perseus, erkennend, daſs er
nicht zurück könne, die Antwort gab, er sei bereit ein neues
wirklich gleiches Bündniſs mit Rom zu schlieſsen, allein den
Vertrag von 557 sehe er als aufgehoben an, und die Gesand-
ten anwies binnen drei Tagen das Reich zu verlassen. Damit
war der Krieg thatsächlich erklärt. Es war im Herbst 582;
wenn Perseus wollte, konnte er ganz Griechenland besetzen
und die makedonische Partei überall ans Regiment bringen,
ja vielleicht die bei Apollonia stehende römische Division von
5000 Mann unter Gnaeus Sicinius erdrücken und den Römern
die Landung streitig machen. Allein der König, dem schon
vor dem Ernst der Dinge zu grauen begann, lieſs sich mit
seinem Gastfreund, dem Consular Quintus Marcius Philippus
in Verhandlungen ein über die Frivolität der römischen Kriegs-
erklärung, welche dieser benutzte um den König zu bestim-
men den Angriff zu verschieben und noch einmal einen Frie-
densversuch in Rom zu machen, den, wie begreiflich, der Senat
nur beantwortete mit der Ausweisung sämmtlicher Makedonier
aus Italien und der Einschiffung der Legionen. Zwar tadelten
die Senatoren der älteren Schule die ‚neue Weisheit‘ ihres
Collegen und die unrömische List; allein der Zweck war er-
reicht und der Winter verfloſs, ohne daſs Perseus sich rührte.
Desto eifriger nutzten die römischen Diplomaten die Zwischen-
zeit um Perseus eines jeden Anhaltes in Griechenland zu
berauben. Der Achaeer war man sicher. Nicht einmal die
Patriotenpartei daselbst, die weder mit jenen socialen Be-
wegungen einverstanden war noch überhaupt sich weiter ver-
stieg als zu der Sehnsucht nach einer weisen Neutralität,
dachte daran sich Perseus in die Arme zu werfen; und über-
dies war dort jetzt durch römischen Einfluſs die Gegenpartei
ans Ruder gekommen, die unbedingt sich an Rom anschloſs.
Ebenso hatte zwar der aetolische Bund in seinen inneren
Unruhen von Perseus Hülfe erbeten; aber der unter den
Augen des römischen Gesandten gewählte neue Strateg Lykis-
kos war römischer gesinnt als die Römer selbst. Auch bei
den Thessalern behielt die römische Partei die Oberhand.
Sogar die von Alters her makedonisch gesinnten und ökono-
misch aufs tiefste zerrütteten Boeoter hatten sich in ihrer Ge-
sammtheit nicht offen für Perseus erklärt; nur zwei einzelne
Städte Haliartos und Koroneia hatten Sonderbündnisse mit ihm
abgeschlossen. Da auf die Beschwerden des römischen Ge-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/595>, abgerufen am 19.05.2024.