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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
günstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Con-
tinentalmächten gegenüber in eine vortreffliche militärische
Stellung zur Vertheidigung wie zum Angriff. Während der
Gegner selbst nach glücklichen Erfolgen kaum im Stande war
das ringsum für Landheere fast unzugängliche Aegypten ernst-
lich zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus
nicht bloss in Kyrene sich festsetzen, sondern auch auf Kypros
und den Kykladen, auf der phoenikisch-syrischen und auf der
ganzen Süd- und Westküste von Kleinasien, ja sogar in Eu-
ropa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose
Exploitirung des fruchtbaren Nilthals zum unmittelbaren Besten
der Staatskasse und durch eine ebenso einsichtige als rücksichts-
lose Finanzwirthschaft, welche die materiellen Interessen ernst-
lich und geschickt förderte, war der alexandrinische Hof seinen
Gegnern auch als Geldmacht beständig überlegen. Endlich
die intelligente Munificenz, mit der die Lagiden der Tendenz
des Zeitalters nach ernster Forschung in allen Gebieten des
Könnens und Wissens entgegenkamen, und diese Forschungen
in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in
die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nutzte
nicht bloss unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Ma-
schinenbau den Einfluss der alexandrinischen Mathematik zu
ihrem Frommen verspürten, sondern machte auch diese neue
geistige Macht, die bedeutendste und grossartigste, welche das
hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich
hegte, so weit sie sich überhaupt zur Dienstbarkeit bequemen
wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. Wäre Ale-
xanders Reich stehen geblieben, so hätte die griechische Wis-
senschaft und Kunst einen Staat gefunden, würdig und fähig
sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Trümmer gefallen war,
wucherte in ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald
ward dessen Magnet Alexandreia, wo die wissenschaftlichen
Mittel und Sammlungen unerschöpflich waren, die Könige
Tragödien und die Minister dazu die Commentare schrieben
und die Pensionen und Akademien florirten. -- Das Verhält-
niss der drei Grossstaaten zu einander ergiebt sich aus dem
Gesagten. Die Seemacht, welche die Küsten beherrschte und
das Meer monopolisirte, musste nach dem ersten grossen Er-
folg den europäischen vom asiatischen Continent politisch zu
trennen jetzt hinarbeiten auf die Schwächung der beiden
Grossstaaten des Festlandes und also auf die Beschützung der
sämmtlichen kleineren Staaten, während umgekehrt Makedo-

DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG.
günstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Con-
tinentalmächten gegenüber in eine vortreffliche militärische
Stellung zur Vertheidigung wie zum Angriff. Während der
Gegner selbst nach glücklichen Erfolgen kaum im Stande war
das ringsum für Landheere fast unzugängliche Aegypten ernst-
lich zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus
nicht bloſs in Kyrene sich festsetzen, sondern auch auf Kypros
und den Kykladen, auf der phoenikisch-syrischen und auf der
ganzen Süd- und Westküste von Kleinasien, ja sogar in Eu-
ropa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose
Exploitirung des fruchtbaren Nilthals zum unmittelbaren Besten
der Staatskasse und durch eine ebenso einsichtige als rücksichts-
lose Finanzwirthschaft, welche die materiellen Interessen ernst-
lich und geschickt förderte, war der alexandrinische Hof seinen
Gegnern auch als Geldmacht beständig überlegen. Endlich
die intelligente Munificenz, mit der die Lagiden der Tendenz
des Zeitalters nach ernster Forschung in allen Gebieten des
Könnens und Wissens entgegenkamen, und diese Forschungen
in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in
die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nutzte
nicht bloſs unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Ma-
schinenbau den Einfluſs der alexandrinischen Mathematik zu
ihrem Frommen verspürten, sondern machte auch diese neue
geistige Macht, die bedeutendste und groſsartigste, welche das
hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich
hegte, so weit sie sich überhaupt zur Dienstbarkeit bequemen
wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. Wäre Ale-
xanders Reich stehen geblieben, so hätte die griechische Wis-
senschaft und Kunst einen Staat gefunden, würdig und fähig
sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Trümmer gefallen war,
wucherte in ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald
ward dessen Magnet Alexandreia, wo die wissenschaftlichen
Mittel und Sammlungen unerschöpflich waren, die Könige
Tragödien und die Minister dazu die Commentare schrieben
und die Pensionen und Akademien florirten. — Das Verhält-
niſs der drei Groſsstaaten zu einander ergiebt sich aus dem
Gesagten. Die Seemacht, welche die Küsten beherrschte und
das Meer monopolisirte, muſste nach dem ersten groſsen Er-
folg den europäischen vom asiatischen Continent politisch zu
trennen jetzt hinarbeiten auf die Schwächung der beiden
Groſsstaaten des Festlandes und also auf die Beschützung der
sämmtlichen kleineren Staaten, während umgekehrt Makedo-

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[505/0519] DER ZWEITE MAKEDONISCHE KRIEG. günstige geographische Lage kam Aegypten den beiden Con- tinentalmächten gegenüber in eine vortreffliche militärische Stellung zur Vertheidigung wie zum Angriff. Während der Gegner selbst nach glücklichen Erfolgen kaum im Stande war das ringsum für Landheere fast unzugängliche Aegypten ernst- lich zu bedrohen, konnten die Aegypter von der See aus nicht bloſs in Kyrene sich festsetzen, sondern auch auf Kypros und den Kykladen, auf der phoenikisch-syrischen und auf der ganzen Süd- und Westküste von Kleinasien, ja sogar in Eu- ropa auf dem thrakischen Chersonesos. Durch die beispiellose Exploitirung des fruchtbaren Nilthals zum unmittelbaren Besten der Staatskasse und durch eine ebenso einsichtige als rücksichts- lose Finanzwirthschaft, welche die materiellen Interessen ernst- lich und geschickt förderte, war der alexandrinische Hof seinen Gegnern auch als Geldmacht beständig überlegen. Endlich die intelligente Munificenz, mit der die Lagiden der Tendenz des Zeitalters nach ernster Forschung in allen Gebieten des Könnens und Wissens entgegenkamen, und diese Forschungen in die Schranken der absoluten Monarchie einzuhegen und in die Interessen derselben zu verflechten verstanden, nutzte nicht bloſs unmittelbar dem Staat, dessen Schiff- und Ma- schinenbau den Einfluſs der alexandrinischen Mathematik zu ihrem Frommen verspürten, sondern machte auch diese neue geistige Macht, die bedeutendste und groſsartigste, welche das hellenische Volk nach seiner politischen Zersplitterung in sich hegte, so weit sie sich überhaupt zur Dienstbarkeit bequemen wollte, zur Dienerin des alexandrinischen Hofes. Wäre Ale- xanders Reich stehen geblieben, so hätte die griechische Wis- senschaft und Kunst einen Staat gefunden, würdig und fähig sie zu fassen; jetzt wo die Nation in Trümmer gefallen war, wucherte in ihr der gelehrte Kosmopolitismus, und sehr bald ward dessen Magnet Alexandreia, wo die wissenschaftlichen Mittel und Sammlungen unerschöpflich waren, die Könige Tragödien und die Minister dazu die Commentare schrieben und die Pensionen und Akademien florirten. — Das Verhält- niſs der drei Groſsstaaten zu einander ergiebt sich aus dem Gesagten. Die Seemacht, welche die Küsten beherrschte und das Meer monopolisirte, muſste nach dem ersten groſsen Er- folg den europäischen vom asiatischen Continent politisch zu trennen jetzt hinarbeiten auf die Schwächung der beiden Groſsstaaten des Festlandes und also auf die Beschützung der sämmtlichen kleineren Staaten, während umgekehrt Makedo-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/519>, abgerufen am 19.05.2024.