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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DRITTES BUCH. KAPITEL VII.
war dem König unterthan und überall drückte er in nächster
Nähe auf die Karthager. Aber es war nicht bloss das ge-
schmälerte Gebiet, wodurch Karthago Eintrag geschah; die
,schweifenden Hirten' (nomades) wurden ein anderes Volk
durch ihren grossen König und begannen Ackerbau zu treiben
und sich ansässig zu machen, wobei der König mit seinem
Beispiel voranging -- weithin machte er die Felder urbar
und konnte jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinter-
lassen. Wie er seine Hirten umschuf in Bürger, verwandelte
er seine Plündererhorden in Soldaten und hinterliess seinem
Nachfolger eine überreiche Schatzkammer und ein wohldisci-
plinirtes Heer. Die bisher unterdrückte Nationalität hob sich
in ihren eigenen Augen und der Libyer fing an dem Phoenikier
sich gleich, ja sich überlegen zu fühlen; die karthagischen
Gesandten mussten in Rom es hören, dass sie Fremdlinge
seien in Africa und das Land den Libyern gehöre. Die
Seele dieses merkwürdigen Aufschwungs einer, wie es schien,
im Verkommen begriffenen Nation war Massinissa; ein merk-
würdiger Mann, den die Natur und das Glück wunderbar
begünstigt hatten. Er brachte sein Leben auf neunzig Jahre
(516-605), seine Regierung auf sechzig; noch im hohen
Alter vermochte er einen vollen Tag auf demselben Platz zu
stehen ohne die Stellung zu wechseln und im sechs und acht-
zigsten Jahre ward ihm ein Sohn geboren. Er verstand es
Zucht in seinem Hause zu halten wie Ordnung in seinem
Lande und erprobte von den Wechselfällen des Geschickes
eben genug um dessen Gunst zu verdienen und zu empfinden.
Es leidet keinen Zweifel, dass er in Karthago seine künftige
Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist dafür be-
zeichnend. Die nationale Civilisation Nordafricas, die selbst
in der nivellirenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig
dasteht, ist viel weniger das Werk der Karthager als das des
Massinissa.

In Spanien fügten die griechischen und punischen Städte
an der Küste, wie Emporiae, Neukarthago, Gades sich um so
bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie selbst kaum
im Stande gewesen wären sich gegen die Eingebornen zu
schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei
weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch
nicht versäumte durch engen Anschluss an die Römer, denen
Massalia als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien viel-
fach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern.

DRITTES BUCH. KAPITEL VII.
war dem König unterthan und überall drückte er in nächster
Nähe auf die Karthager. Aber es war nicht bloſs das ge-
schmälerte Gebiet, wodurch Karthago Eintrag geschah; die
‚schweifenden Hirten‘ (νομάδες) wurden ein anderes Volk
durch ihren groſsen König und begannen Ackerbau zu treiben
und sich ansässig zu machen, wobei der König mit seinem
Beispiel voranging — weithin machte er die Felder urbar
und konnte jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinter-
lassen. Wie er seine Hirten umschuf in Bürger, verwandelte
er seine Plündererhorden in Soldaten und hinterlieſs seinem
Nachfolger eine überreiche Schatzkammer und ein wohldisci-
plinirtes Heer. Die bisher unterdrückte Nationalität hob sich
in ihren eigenen Augen und der Libyer fing an dem Phoenikier
sich gleich, ja sich überlegen zu fühlen; die karthagischen
Gesandten muſsten in Rom es hören, daſs sie Fremdlinge
seien in Africa und das Land den Libyern gehöre. Die
Seele dieses merkwürdigen Aufschwungs einer, wie es schien,
im Verkommen begriffenen Nation war Massinissa; ein merk-
würdiger Mann, den die Natur und das Glück wunderbar
begünstigt hatten. Er brachte sein Leben auf neunzig Jahre
(516-605), seine Regierung auf sechzig; noch im hohen
Alter vermochte er einen vollen Tag auf demselben Platz zu
stehen ohne die Stellung zu wechseln und im sechs und acht-
zigsten Jahre ward ihm ein Sohn geboren. Er verstand es
Zucht in seinem Hause zu halten wie Ordnung in seinem
Lande und erprobte von den Wechselfällen des Geschickes
eben genug um dessen Gunst zu verdienen und zu empfinden.
Es leidet keinen Zweifel, daſs er in Karthago seine künftige
Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist dafür be-
zeichnend. Die nationale Civilisation Nordafricas, die selbst
in der nivellirenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig
dasteht, ist viel weniger das Werk der Karthager als das des
Massinissa.

In Spanien fügten die griechischen und punischen Städte
an der Küste, wie Emporiae, Neukarthago, Gades sich um so
bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie selbst kaum
im Stande gewesen wären sich gegen die Eingebornen zu
schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei
weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch
nicht versäumte durch engen Anschluſs an die Römer, denen
Massalia als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien viel-
fach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern.

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[494/0508] DRITTES BUCH. KAPITEL VII. war dem König unterthan und überall drückte er in nächster Nähe auf die Karthager. Aber es war nicht bloſs das ge- schmälerte Gebiet, wodurch Karthago Eintrag geschah; die ‚schweifenden Hirten‘ (νομάδες) wurden ein anderes Volk durch ihren groſsen König und begannen Ackerbau zu treiben und sich ansässig zu machen, wobei der König mit seinem Beispiel voranging — weithin machte er die Felder urbar und konnte jedem seiner Söhne bedeutende Ackergüter hinter- lassen. Wie er seine Hirten umschuf in Bürger, verwandelte er seine Plündererhorden in Soldaten und hinterlieſs seinem Nachfolger eine überreiche Schatzkammer und ein wohldisci- plinirtes Heer. Die bisher unterdrückte Nationalität hob sich in ihren eigenen Augen und der Libyer fing an dem Phoenikier sich gleich, ja sich überlegen zu fühlen; die karthagischen Gesandten muſsten in Rom es hören, daſs sie Fremdlinge seien in Africa und das Land den Libyern gehöre. Die Seele dieses merkwürdigen Aufschwungs einer, wie es schien, im Verkommen begriffenen Nation war Massinissa; ein merk- würdiger Mann, den die Natur und das Glück wunderbar begünstigt hatten. Er brachte sein Leben auf neunzig Jahre (516-605), seine Regierung auf sechzig; noch im hohen Alter vermochte er einen vollen Tag auf demselben Platz zu stehen ohne die Stellung zu wechseln und im sechs und acht- zigsten Jahre ward ihm ein Sohn geboren. Er verstand es Zucht in seinem Hause zu halten wie Ordnung in seinem Lande und erprobte von den Wechselfällen des Geschickes eben genug um dessen Gunst zu verdienen und zu empfinden. Es leidet keinen Zweifel, daſs er in Karthago seine künftige Hauptstadt sah; die libysche Partei daselbst ist dafür be- zeichnend. Die nationale Civilisation Nordafricas, die selbst in der nivellirenden Kaiserzeit noch lebensfähig und kräftig dasteht, ist viel weniger das Werk der Karthager als das des Massinissa. In Spanien fügten die griechischen und punischen Städte an der Küste, wie Emporiae, Neukarthago, Gades sich um so bereitwilliger der römischen Herrschaft, als sie selbst kaum im Stande gewesen wären sich gegen die Eingebornen zu schützen; wie aus gleichen Gründen Massalia, obwohl bei weitem bedeutender und wehrhafter als jene Städte, es doch nicht versäumte durch engen Anschluſs an die Römer, denen Massalia als Zwischenstation zwischen Italien und Spanien viel- fach nützlich wurde, sich einen mächtigen Rückhalt zu sichern.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/508>, abgerufen am 22.11.2024.