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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN.
konnten. Die eigenthümliche Anerkennung, die er bei dem
Landesfeind fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend.
Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt
hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Be-
siegten trifft. Die Karthager konnten nichts thun als sich
fügen und ihrem Stern danken, dass Hannibal, durch seine
rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die grössere
Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloss die mindere
liess ihren grössten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimath
verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu
haben. Das tiefsinnige Wort aber, dass diejenigen die Lieblinge
der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die
unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vol-
lem Masse sich bewährt. -- Schwerer als das Einschreiten gegen
Hannibal lässt es sich verantworten, dass man nach dessen
Entfernung nicht aufhörte die Stadt zu beargwohnen und zu
plagen. Zwar gährten dort wie begreiflich die Parteien; es
gab noch eine Patriotenpartei, ja sogar eine Partei, die mit
den Libyern gemeinschaftliche Sache machen wollte, allein
die römisch Gesinnten waren und blieben dennoch am Regi-
ment und man hätte sich wohl in Rom beruhigen können,
wenn nicht die gründliche Angst vom hannibalischen Kriege
her noch immer nachgewirkt hätte, deren die Menge, ja selbst
der gewöhnliche Schlag der Herren von der Regierung sich
zu entschlagen nicht vermochte.

Während also die Macht der Phoenikier in dem Lande
ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimath
erlegen war, erwuchs unter der Gunst Roms und der kräftigen
Leitung eines begabten einheimischen Regenten die bis dahin
barbarische und unterdrückte libysche Nation zu einem sich
rasch civilisirenden und mächtigen Staate und die Residenz
Cirta zu einer lebhaften Hauptstadt. Massinissa vereinigte mit
seinem väterlichen Reiche theils im Wesentlichen das des Sy-
phax, theils eine Menge von dem karthagischen Gebiet allmählich
abgerissener Stücke; so dass sein Reich sich ausdehnte vom
Flusse Molochath (jetzt Mluia an der maroccanisch-französi-
schen Grenze) bis an die Grenze von Kyrene und von Westen,
Süden und Norden das karthagische Gebiet umschloss. Die
alte Sidonierstadt Grossleptis ward nicht bloss den Numidiern
gehorsam, sondern die einheimische Sitte und Sprache fing
dort an die phoenikische zu verdrängen; selbst das obere
Thal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vacca

DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN.
konnten. Die eigenthümliche Anerkennung, die er bei dem
Landesfeind fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend.
Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt
hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Be-
siegten trifft. Die Karthager konnten nichts thun als sich
fügen und ihrem Stern danken, daſs Hannibal, durch seine
rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die gröſsere
Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloſs die mindere
lieſs ihren gröſsten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimath
verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu
haben. Das tiefsinnige Wort aber, daſs diejenigen die Lieblinge
der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die
unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vol-
lem Maſse sich bewährt. — Schwerer als das Einschreiten gegen
Hannibal läſst es sich verantworten, daſs man nach dessen
Entfernung nicht aufhörte die Stadt zu beargwohnen und zu
plagen. Zwar gährten dort wie begreiflich die Parteien; es
gab noch eine Patriotenpartei, ja sogar eine Partei, die mit
den Libyern gemeinschaftliche Sache machen wollte, allein
die römisch Gesinnten waren und blieben dennoch am Regi-
ment und man hätte sich wohl in Rom beruhigen können,
wenn nicht die gründliche Angst vom hannibalischen Kriege
her noch immer nachgewirkt hätte, deren die Menge, ja selbst
der gewöhnliche Schlag der Herren von der Regierung sich
zu entschlagen nicht vermochte.

Während also die Macht der Phoenikier in dem Lande
ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimath
erlegen war, erwuchs unter der Gunst Roms und der kräftigen
Leitung eines begabten einheimischen Regenten die bis dahin
barbarische und unterdrückte libysche Nation zu einem sich
rasch civilisirenden und mächtigen Staate und die Residenz
Cirta zu einer lebhaften Hauptstadt. Massinissa vereinigte mit
seinem väterlichen Reiche theils im Wesentlichen das des Sy-
phax, theils eine Menge von dem karthagischen Gebiet allmählich
abgerissener Stücke; so daſs sein Reich sich ausdehnte vom
Flusse Molochath (jetzt Mluia an der maroccanisch-französi-
schen Grenze) bis an die Grenze von Kyrene und von Westen,
Süden und Norden das karthagische Gebiet umschloſs. Die
alte Sidonierstadt Groſsleptis ward nicht bloſs den Numidiern
gehorsam, sondern die einheimische Sitte und Sprache fing
dort an die phoenikische zu verdrängen; selbst das obere
Thal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vacca

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[493/0507] DER WESTEN NACH DEM HANNIBALISCHEN FRIEDEN. konnten. Die eigenthümliche Anerkennung, die er bei dem Landesfeind fand, kam ihm selbst schwerlich überraschend. Wie Hannibal und nicht Karthago den letzten Krieg geführt hatte, so hatte auch Hannibal das zu tragen, was den Be- siegten trifft. Die Karthager konnten nichts thun als sich fügen und ihrem Stern danken, daſs Hannibal, durch seine rasche und besonnene Flucht nach dem Orient die gröſsere Schande ihnen ersparend, seiner Vaterstadt bloſs die mindere lieſs ihren gröſsten Bürger auf ewige Zeiten aus der Heimath verbannt, sein Vermögen eingezogen und sein Haus geschleift zu haben. Das tiefsinnige Wort aber, daſs diejenigen die Lieblinge der Götter sind, denen sie die unendlichen Freuden und die unendlichen Leiden ganz verleihen, hat also an Hannibal in vol- lem Maſse sich bewährt. — Schwerer als das Einschreiten gegen Hannibal läſst es sich verantworten, daſs man nach dessen Entfernung nicht aufhörte die Stadt zu beargwohnen und zu plagen. Zwar gährten dort wie begreiflich die Parteien; es gab noch eine Patriotenpartei, ja sogar eine Partei, die mit den Libyern gemeinschaftliche Sache machen wollte, allein die römisch Gesinnten waren und blieben dennoch am Regi- ment und man hätte sich wohl in Rom beruhigen können, wenn nicht die gründliche Angst vom hannibalischen Kriege her noch immer nachgewirkt hätte, deren die Menge, ja selbst der gewöhnliche Schlag der Herren von der Regierung sich zu entschlagen nicht vermochte. Während also die Macht der Phoenikier in dem Lande ihrer Wahl ebenso dahinsank wie sie längst in ihrer Heimath erlegen war, erwuchs unter der Gunst Roms und der kräftigen Leitung eines begabten einheimischen Regenten die bis dahin barbarische und unterdrückte libysche Nation zu einem sich rasch civilisirenden und mächtigen Staate und die Residenz Cirta zu einer lebhaften Hauptstadt. Massinissa vereinigte mit seinem väterlichen Reiche theils im Wesentlichen das des Sy- phax, theils eine Menge von dem karthagischen Gebiet allmählich abgerissener Stücke; so daſs sein Reich sich ausdehnte vom Flusse Molochath (jetzt Mluia an der maroccanisch-französi- schen Grenze) bis an die Grenze von Kyrene und von Westen, Süden und Norden das karthagische Gebiet umschloſs. Die alte Sidonierstadt Groſsleptis ward nicht bloſs den Numidiern gehorsam, sondern die einheimische Sitte und Sprache fing dort an die phoenikische zu verdrängen; selbst das obere Thal des Bagradas (Medscherda) mit der reichen Stadt Vacca

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/507>, abgerufen am 19.05.2024.