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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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Isere zu, nicht, wie man vermuthen könnte, auf dem nächsten
Weg, an dem linken Ufer der untern Isere hinauf, von Va-
lence nach Grenoble, sondern durch die ,Insel' der Allobrogen,
die reiche und damals schon dichtbevölkerte Niederung, die
nördlich und westlich von der Rhone, südlich von der Isere,
östlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder
desshalb, weil die nächste Strasse durch ein unwegsames und
armes Bergland geführt hätte, während die Insel eben und
äusserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von
dem oberen Iserethal scheidet. Der Marsch an der Rhone
hin und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpen-
wand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwie-
rigkeit und auf der Insel selbst wusste Hannibal durch ge-
schickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Häupt-
lingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten
derselben so zu verpflichten, dass derselbe den Karthagern
nicht bloss durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern
auch ihnen die Vorräthe ergänzte und die Soldaten mit Waffen,
Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang
über die erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt
und über die nur ein einziger gangbarer Pfad (über den Mont
du Chat beim Dorfe Chevelu) führt, wäre fast der Zug ge-
scheitert. Die allobrogische Bevölkerung hatte den Pass stark
besetzt. Hannibal erfuhr es früh genug um einen unversehe-
nen Ueberfall vermeiden zu können und lagerte am Fuss, bis
nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Häuser der
nächsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass
einnahm. So ward die Höhe ohne Schwierigkeit gewonnen;
allein auf dem äusserst steilen Weg, der von der Höhe nach
dem See von Bourget hinabführt, glitten und stürzten die
Maulthiere und die Pferde, und die Angriffe, die an geeigneten
Stellen von den Kelten auf die marschirende Armee gemacht
wurden, fügten derselben weniger an sich als durch die da-
durch entstehende Verwirrung beträchtlichen Schaden zu.
Selbst als Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben
herab auf die Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Mühe
und mit starkem Verlust den Berg hinunter gejagt, allein die
Verwirrung, besonders in dem Train ward noch erhöht durch
den Lärm des Gefechtes. So nach starkem Verlust in der
Ebene angelangt überfiel Hannibal sofort die nächste Stadt,
um die Barbaren zu züchtigen und zu schrecken und zugleich
seinen Verlust an Saumthieren und Pferden möglichst wieder

Röm. Gesch. I. 26

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Isere zu, nicht, wie man vermuthen könnte, auf dem nächsten
Weg, an dem linken Ufer der untern Isere hinauf, von Va-
lence nach Grenoble, sondern durch die ‚Insel‘ der Allobrogen,
die reiche und damals schon dichtbevölkerte Niederung, die
nördlich und westlich von der Rhone, südlich von der Isere,
östlich von den Alpen umfaſst wird. Es geschah dies wieder
deſshalb, weil die nächste Straſse durch ein unwegsames und
armes Bergland geführt hätte, während die Insel eben und
äuſserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von
dem oberen Iserethal scheidet. Der Marsch an der Rhone
hin und quer durch die Insel bis an den Fuſs der Alpen-
wand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwie-
rigkeit und auf der Insel selbst wuſste Hannibal durch ge-
schickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Häupt-
lingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten
derselben so zu verpflichten, daſs derselbe den Karthagern
nicht bloſs durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern
auch ihnen die Vorräthe ergänzte und die Soldaten mit Waffen,
Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang
über die erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt
und über die nur ein einziger gangbarer Pfad (über den Mont
du Chat beim Dorfe Chevelu) führt, wäre fast der Zug ge-
scheitert. Die allobrogische Bevölkerung hatte den Paſs stark
besetzt. Hannibal erfuhr es früh genug um einen unversehe-
nen Ueberfall vermeiden zu können und lagerte am Fuſs, bis
nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Häuser der
nächsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Paſs
einnahm. So ward die Höhe ohne Schwierigkeit gewonnen;
allein auf dem äuſserst steilen Weg, der von der Höhe nach
dem See von Bourget hinabführt, glitten und stürzten die
Maulthiere und die Pferde, und die Angriffe, die an geeigneten
Stellen von den Kelten auf die marschirende Armee gemacht
wurden, fügten derselben weniger an sich als durch die da-
durch entstehende Verwirrung beträchtlichen Schaden zu.
Selbst als Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben
herab auf die Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Mühe
und mit starkem Verlust den Berg hinunter gejagt, allein die
Verwirrung, besonders in dem Train ward noch erhöht durch
den Lärm des Gefechtes. So nach starkem Verlust in der
Ebene angelangt überfiel Hannibal sofort die nächste Stadt,
um die Barbaren zu züchtigen und zu schrecken und zugleich
seinen Verlust an Saumthieren und Pferden möglichst wieder

Röm. Gesch. I. 26
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[401/0415] HAMILKAR UND HANNIBAL. Isere zu, nicht, wie man vermuthen könnte, auf dem nächsten Weg, an dem linken Ufer der untern Isere hinauf, von Va- lence nach Grenoble, sondern durch die ‚Insel‘ der Allobrogen, die reiche und damals schon dichtbevölkerte Niederung, die nördlich und westlich von der Rhone, südlich von der Isere, östlich von den Alpen umfaſst wird. Es geschah dies wieder deſshalb, weil die nächste Straſse durch ein unwegsames und armes Bergland geführt hätte, während die Insel eben und äuſserst fruchtbar ist und nur eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iserethal scheidet. Der Marsch an der Rhone hin und quer durch die Insel bis an den Fuſs der Alpen- wand war in sechzehn Tagen vollendet; er bot geringe Schwie- rigkeit und auf der Insel selbst wuſste Hannibal durch ge- schickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen Häupt- lingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben so zu verpflichten, daſs derselbe den Karthagern nicht bloſs durch die ganze Ebene das Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorräthe ergänzte und die Soldaten mit Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang über die erste Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und über die nur ein einziger gangbarer Pfad (über den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) führt, wäre fast der Zug ge- scheitert. Die allobrogische Bevölkerung hatte den Paſs stark besetzt. Hannibal erfuhr es früh genug um einen unversehe- nen Ueberfall vermeiden zu können und lagerte am Fuſs, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Häuser der nächsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Paſs einnahm. So ward die Höhe ohne Schwierigkeit gewonnen; allein auf dem äuſserst steilen Weg, der von der Höhe nach dem See von Bourget hinabführt, glitten und stürzten die Maulthiere und die Pferde, und die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschirende Armee gemacht wurden, fügten derselben weniger an sich als durch die da- durch entstehende Verwirrung beträchtlichen Schaden zu. Selbst als Hannibal sich mit seinen leichten Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Mühe und mit starkem Verlust den Berg hinunter gejagt, allein die Verwirrung, besonders in dem Train ward noch erhöht durch den Lärm des Gefechtes. So nach starkem Verlust in der Ebene angelangt überfiel Hannibal sofort die nächste Stadt, um die Barbaren zu züchtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an Saumthieren und Pferden möglichst wieder Röm. Gesch. I. 26

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/415>, abgerufen am 17.05.2024.