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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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zählte, diese nothwendig nur für einige Tage ausreichen. Ab-
gesehen von dem Küstenweg, den Hannibal nicht einschlug,
nicht weil die Römer ihn sperrten, sondern weil er ihn von
seinem Ziel abgeführt haben würde, führten in alter Zeit*
von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenübergänge:
der Pass über die cottische Alpe (Mont Genevre) in das Gebiet
der Tauriner (über Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
der über die graische (kleiner St. Bernhard) in das der Salasser
(nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kürzere;
allein von da an, wo man das Rhonethal verlässt, führt er in
den unwegsamen und unfruchtbaren Flussthälern des Drac,
der Romanche und der oberen Durance durch ein schwieriges
und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben-
bis achttägigen Gebirgmarsch; eine Heerstrasse ist hier erst
durch Pompeius angelegt worden, um zwischen der dies- und
jenseitigen gallischen Provinz eine kürzere Verbindung herzu-
stellen. -- Der Weg über den kleinen St. Bernhard ist etwas
länger; allein sowie er die erste das Rhonethal östlich be-
grenzende Alpenwand überschritten hat, führt er in das Thal
der obern Isere, das von Grenoble über Chambery bis hart an
den Fuss des kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpen-
kette sich hinzieht und unter allen Alpenthälern das breiteste,
fruchtbarste und bevölkertste ist. Es ist ferner der Weg über
den kleinen Bernhard unter allen natürlichen Alpenpassagen
zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; ob-
wohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, überschritt auf ihr
noch im Jahre 1815 ein österreichisches Corps mit Artillerie
die Alpen. Dieser Weg, der bloss über zwei Bergkämme
führt, ist endlich von den ältesten Zeiten an die grosse Heer-
strasse aus dem Kelten- ins italische Land gewesen. Die
karthagische Armee hatte also in der That keine Wahl; es
war ein glückliches Zusammentreffen, aber kein bestimmendes
Motiv für Hannibal, dass die ihm verbündeten keltischen Stämme
in Italien bis an den kleinen Bernhard wohnten, während ihn
der Weg über den Mont Genevre zunächst in das Gebiet der
Tauriner geführt haben würde, die seit alten Zeiten mit den
Insubrern in Fehde lagen. -- So marschirte das karthagische
Heer zunächst an der Rhone hinauf gegen das Thal der obern

* Der Weg über den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heer-
strasse geworden. Die östlichen Pässe, wie zum Beispiel die über die pö-
ninische Alpe oder den grossen St. Bernhard, der übrigens auch erst durch
Caesar und Augustus Militärstrasse ward, kommen natürlich nicht in Betracht.

DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
zählte, diese nothwendig nur für einige Tage ausreichen. Ab-
gesehen von dem Küstenweg, den Hannibal nicht einschlug,
nicht weil die Römer ihn sperrten, sondern weil er ihn von
seinem Ziel abgeführt haben würde, führten in alter Zeit*
von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenübergänge:
der Paſs über die cottische Alpe (Mont Genevre) in das Gebiet
der Tauriner (über Susa oder Fenestrelles nach Turin) und
der über die graische (kleiner St. Bernhard) in das der Salasser
(nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kürzere;
allein von da an, wo man das Rhonethal verläſst, führt er in
den unwegsamen und unfruchtbaren Fluſsthälern des Drac,
der Romanche und der oberen Durance durch ein schwieriges
und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben-
bis achttägigen Gebirgmarsch; eine Heerstraſse ist hier erst
durch Pompeius angelegt worden, um zwischen der dies- und
jenseitigen gallischen Provinz eine kürzere Verbindung herzu-
stellen. — Der Weg über den kleinen St. Bernhard ist etwas
länger; allein sowie er die erste das Rhonethal östlich be-
grenzende Alpenwand überschritten hat, führt er in das Thal
der obern Isere, das von Grenoble über Chambery bis hart an
den Fuſs des kleinen St. Bernhard, das heiſst der Hochalpen-
kette sich hinzieht und unter allen Alpenthälern das breiteste,
fruchtbarste und bevölkertste ist. Es ist ferner der Weg über
den kleinen Bernhard unter allen natürlichen Alpenpassagen
zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; ob-
wohl dort keine Kunststraſse angelegt ist, überschritt auf ihr
noch im Jahre 1815 ein österreichisches Corps mit Artillerie
die Alpen. Dieser Weg, der bloſs über zwei Bergkämme
führt, ist endlich von den ältesten Zeiten an die groſse Heer-
straſse aus dem Kelten- ins italische Land gewesen. Die
karthagische Armee hatte also in der That keine Wahl; es
war ein glückliches Zusammentreffen, aber kein bestimmendes
Motiv für Hannibal, daſs die ihm verbündeten keltischen Stämme
in Italien bis an den kleinen Bernhard wohnten, während ihn
der Weg über den Mont Genevre zunächst in das Gebiet der
Tauriner geführt haben würde, die seit alten Zeiten mit den
Insubrern in Fehde lagen. — So marschirte das karthagische
Heer zunächst an der Rhone hinauf gegen das Thal der obern

* Der Weg über den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heer-
straſse geworden. Die östlichen Pässe, wie zum Beispiel die über die pö-
ninische Alpe oder den groſsen St. Bernhard, der übrigens auch erst durch
Caesar und Augustus Militärstraſse ward, kommen natürlich nicht in Betracht.
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[400/0414] DRITTES BUCH. KAPITEL IV. zählte, diese nothwendig nur für einige Tage ausreichen. Ab- gesehen von dem Küstenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Römer ihn sperrten, sondern weil er ihn von seinem Ziel abgeführt haben würde, führten in alter Zeit * von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenübergänge: der Paſs über die cottische Alpe (Mont Genevre) in das Gebiet der Tauriner (über Susa oder Fenestrelles nach Turin) und der über die graische (kleiner St. Bernhard) in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kürzere; allein von da an, wo man das Rhonethal verläſst, führt er in den unwegsamen und unfruchtbaren Fluſsthälern des Drac, der Romanche und der oberen Durance durch ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben- bis achttägigen Gebirgmarsch; eine Heerstraſse ist hier erst durch Pompeius angelegt worden, um zwischen der dies- und jenseitigen gallischen Provinz eine kürzere Verbindung herzu- stellen. — Der Weg über den kleinen St. Bernhard ist etwas länger; allein sowie er die erste das Rhonethal östlich be- grenzende Alpenwand überschritten hat, führt er in das Thal der obern Isere, das von Grenoble über Chambery bis hart an den Fuſs des kleinen St. Bernhard, das heiſst der Hochalpen- kette sich hinzieht und unter allen Alpenthälern das breiteste, fruchtbarste und bevölkertste ist. Es ist ferner der Weg über den kleinen Bernhard unter allen natürlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die bequemste; ob- wohl dort keine Kunststraſse angelegt ist, überschritt auf ihr noch im Jahre 1815 ein österreichisches Corps mit Artillerie die Alpen. Dieser Weg, der bloſs über zwei Bergkämme führt, ist endlich von den ältesten Zeiten an die groſse Heer- straſse aus dem Kelten- ins italische Land gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der That keine Wahl; es war ein glückliches Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv für Hannibal, daſs die ihm verbündeten keltischen Stämme in Italien bis an den kleinen Bernhard wohnten, während ihn der Weg über den Mont Genevre zunächst in das Gebiet der Tauriner geführt haben würde, die seit alten Zeiten mit den Insubrern in Fehde lagen. — So marschirte das karthagische Heer zunächst an der Rhone hinauf gegen das Thal der obern * Der Weg über den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heer- straſse geworden. Die östlichen Pässe, wie zum Beispiel die über die pö- ninische Alpe oder den groſsen St. Bernhard, der übrigens auch erst durch Caesar und Augustus Militärstraſse ward, kommen natürlich nicht in Betracht.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/414>, abgerufen am 23.11.2024.