Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.HAMILKAR UND HANNIBAL. spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfertwurden, konnte man eben so sicher vorhersehen als die Zöge- rung selbst sich leicht vermeiden liess; wahrscheinlich aber wäre selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Frühling 536 nicht geahnt haben muss, durch zeitiges Er- scheinen der Römer in Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht sein spanisches ,Königreich' auf- gebend sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstürmung und an die Unterwerfung Cataloniens gewandt hatte, das beträchtliche Corps, das er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenäen zurückliess, bewiesen zur Genüge, dass, wenn ein römisches Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht hätte, er sich nicht begnügt haben würde sich dem- selben zu entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Römer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen zu verzögern im Stande waren, so schloss der Winter die Alpenpässe, ehe Hannibal sie erreichte, und die africanische Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziel ab. -- An den Pyrenäen angelangt entliess Hannibal einen Theil seiner Truppen in die Heimath; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenüber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefühl steuern sollte, dass von diesem Unternehmen wenige heimkehren würden. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne Schwierigkeit überschritten und alsdann der Kü- stenweg über Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das theils die früher angeknüpften Verbin- dungen, theils das punische Gold, theils die Waffen dem Heere öffneten. Als es Ende Juli Avignon gegenüber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicherer Widerstand zu warten. Die gallischen Völkerschaften dieser Gegend, die unter dem Einfluss der Massalioten standen, hatten ihren Landsturm an dem gegenüberliegenden Rhoneufer aufgestellt. Der Consul Scipio ferner, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spät komme und Hannibal schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenäen passirt habe, und befand sich seitdem in Massalia mit einem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2200 Reitern, mit dem er bereit schien Hannibal den Rhoneübergang und den Einmarsch in Italien zu wehren. Erst hier, wie es scheint, erkannten die Römer, HAMILKAR UND HANNIBAL. spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfertwurden, konnte man eben so sicher vorhersehen als die Zöge- rung selbst sich leicht vermeiden lieſs; wahrscheinlich aber wäre selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im Frühling 536 nicht geahnt haben muſs, durch zeitiges Er- scheinen der Römer in Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs die Absicht sein spanisches ‚Königreich‘ auf- gebend sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstürmung und an die Unterwerfung Cataloniens gewandt hatte, das beträchtliche Corps, das er zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenäen zurücklieſs, bewiesen zur Genüge, daſs, wenn ein römisches Heer ihm den Besitz Spaniens streitig gemacht hätte, er sich nicht begnügt haben würde sich dem- selben zu entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Römer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen zu verzögern im Stande waren, so schloſs der Winter die Alpenpässe, ehe Hannibal sie erreichte, und die africanische Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziel ab. — An den Pyrenäen angelangt entlieſs Hannibal einen Theil seiner Truppen in die Heimath; eine von Anfang an beschlossene Maſsregel, die den Feldherrn den Soldaten gegenüber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefühl steuern sollte, daſs von diesem Unternehmen wenige heimkehren würden. Mit einem Heer von 50000 Mann zu Fuſs und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das Gebirg ohne Schwierigkeit überschritten und alsdann der Kü- stenweg über Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das theils die früher angeknüpften Verbin- dungen, theils das punische Gold, theils die Waffen dem Heere öffneten. Als es Ende Juli Avignon gegenüber an die Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicherer Widerstand zu warten. Die gallischen Völkerschaften dieser Gegend, die unter dem Einfluſs der Massalioten standen, hatten ihren Landsturm an dem gegenüberliegenden Rhoneufer aufgestellt. Der Consul Scipio ferner, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, daſs er zu spät komme und Hannibal schon nicht bloſs den Ebro, sondern auch die Pyrenäen passirt habe, und befand sich seitdem in Massalia mit einem Heer von 22000 Mann zu Fuſs und 2200 Reitern, mit dem er bereit schien Hannibal den Rhoneübergang und den Einmarsch in Italien zu wehren. Erst hier, wie es scheint, erkannten die Römer, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0411" n="397"/><fw place="top" type="header">HAMILKAR UND HANNIBAL.</fw><lb/> spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert<lb/> wurden, konnte man eben so sicher vorhersehen als die Zöge-<lb/> rung selbst sich leicht vermeiden lieſs; wahrscheinlich aber<lb/> wäre selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im<lb/> Frühling 536 nicht geahnt haben muſs, durch zeitiges Er-<lb/> scheinen der Römer in Spanien abgewendet worden. 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HAMILKAR UND HANNIBAL.
spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert
wurden, konnte man eben so sicher vorhersehen als die Zöge-
rung selbst sich leicht vermeiden lieſs; wahrscheinlich aber
wäre selbst der Zug nach Italien, den man in Rom noch im
Frühling 536 nicht geahnt haben muſs, durch zeitiges Er-
scheinen der Römer in Spanien abgewendet worden. Hannibal
hatte keineswegs die Absicht sein spanisches ‚Königreich‘ auf-
gebend sich wie ein Verzweifelter nach Italien zu werfen; die
Zeit, die er an Sagunts Erstürmung und an die Unterwerfung
Cataloniens gewandt hatte, das beträchtliche Corps, das er
zur Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro
und den Pyrenäen zurücklieſs, bewiesen zur Genüge, daſs,
wenn ein römisches Heer ihm den Besitz Spaniens streitig
gemacht hätte, er sich nicht begnügt haben würde sich dem-
selben zu entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die
Römer seinen Abmarsch aus Spanien auch nur um einige
Wochen zu verzögern im Stande waren, so schloſs der Winter
die Alpenpässe, ehe Hannibal sie erreichte, und die africanische
Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziel ab. — An den
Pyrenäen angelangt entlieſs Hannibal einen Theil seiner Truppen
in die Heimath; eine von Anfang an beschlossene Maſsregel, die
den Feldherrn den Soldaten gegenüber des Erfolges sicher zeigen
und dem Gefühl steuern sollte, daſs von diesem Unternehmen
wenige heimkehren würden. Mit einem Heer von 50000 Mann
zu Fuſs und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward das
Gebirg ohne Schwierigkeit überschritten und alsdann der Kü-
stenweg über Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das
keltische Gebiet, das theils die früher angeknüpften Verbin-
dungen, theils das punische Gold, theils die Waffen dem
Heere öffneten. Als es Ende Juli Avignon gegenüber an die
Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicherer Widerstand
zu warten. Die gallischen Völkerschaften dieser Gegend, die
unter dem Einfluſs der Massalioten standen, hatten ihren
Landsturm an dem gegenüberliegenden Rhoneufer aufgestellt.
Der Consul Scipio ferner, der auf seiner Fahrt nach Spanien
in Massalia angelegt hatte (etwa Ende Juni), war dort berichtet
worden, daſs er zu spät komme und Hannibal schon nicht
bloſs den Ebro, sondern auch die Pyrenäen passirt habe, und
befand sich seitdem in Massalia mit einem Heer von 22000
Mann zu Fuſs und 2200 Reitern, mit dem er bereit schien
Hannibal den Rhoneübergang und den Einmarsch in Italien
zu wehren. Erst hier, wie es scheint, erkannten die Römer,
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