Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Man disponirte über eine halbe Million brauchbarer Soldaten --nur die römische Reiterei war minder gut und verhältnissmässig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel. Diese ein Achtel der Gesammtzahl der ausrückenden Truppen. Der römischen Flotte von 220 Fünfdeckern, die eben aus dem adriatischen Meer in die Westsee zurückfuhr, hatte keiner der westlichen Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die natürliche und richtige Verwendung dieser erdrückenden Ueber- macht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, dass der Krieg eröffnet werden solle mit einer Landung in Afri- ca; die spätere Wendung der Ereignisse hatte die Römer gezwungen derselben eine gleichzeitige Landung in Spanien hinzuzufügen, vornämlich um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan musste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 thatsächlich eröffnet war, vor allen Dingen eilen ein römisches Heer in Spanien zu landen, ehe die Stadt fiel; allein man versäumte das Gebot des Vortheils nicht minder wie der Ehre und Sagunt hielt sich acht Monate lang umsonst -- als die Stadt capitulirte, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal gerüstet. -- Indess noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenäen frei, dessen Völkerschaften nicht bloss die natürlichen Verbündeten der Römer waren, sondern auch von römischen Emissarien gleich den Saguntinern Ver- sprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Catalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten förmlichen Kriegserklärung die Römer wie die Punier im April aufbrachen, konnte Hannibal den römischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. Allerdings wurde, nachdem der grössere Theil des Heeres und der Flotte für den Zug nach Africa disponibel gemacht worden war, der zweite Consul Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, da eben am Po ein Aufstand ausbrach, das zur Einschiffung bereit stehende Heer dort zu verwenden und für die spanische Expedition neue Legionen zu bilden. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen, mit welchen er, da der Drang der Umstände ihn zwang um nicht die kostbare Zeit zu verlieren seine Leute nicht zu schonen, in wenigen Monaten fertig ward, freilich mit dem Verlust des vierten Theils seiner Armee, und erreichte die Linie der Pyrenäen. Dass durch jene Zögerung die DRITTES BUCH. KAPITEL IV. Man disponirte über eine halbe Million brauchbarer Soldaten —nur die römische Reiterei war minder gut und verhältniſsmäſsig minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel. Diese ein Achtel der Gesammtzahl der ausrückenden Truppen. Der römischen Flotte von 220 Fünfdeckern, die eben aus dem adriatischen Meer in die Westsee zurückfuhr, hatte keiner der westlichen Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die natürliche und richtige Verwendung dieser erdrückenden Ueber- macht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, daſs der Krieg eröffnet werden solle mit einer Landung in Afri- ca; die spätere Wendung der Ereignisse hatte die Römer gezwungen derselben eine gleichzeitige Landung in Spanien hinzuzufügen, vornämlich um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan muſste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu Anfang 535 thatsächlich eröffnet war, vor allen Dingen eilen ein römisches Heer in Spanien zu landen, ehe die Stadt fiel; allein man versäumte das Gebot des Vortheils nicht minder wie der Ehre und Sagunt hielt sich acht Monate lang umsonst — als die Stadt capitulirte, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal gerüstet. — Indeſs noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenäen frei, dessen Völkerschaften nicht bloſs die natürlichen Verbündeten der Römer waren, sondern auch von römischen Emissarien gleich den Saguntinern Ver- sprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Catalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen erfolgten förmlichen Kriegserklärung die Römer wie die Punier im April aufbrachen, konnte Hannibal den römischen Legionen an der Ebrolinie begegnen. Allerdings wurde, nachdem der gröſsere Theil des Heeres und der Flotte für den Zug nach Africa disponibel gemacht worden war, der zweite Consul Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, da eben am Po ein Aufstand ausbrach, das zur Einschiffung bereit stehende Heer dort zu verwenden und für die spanische Expedition neue Legionen zu bilden. So fand Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen, mit welchen er, da der Drang der Umstände ihn zwang um nicht die kostbare Zeit zu verlieren seine Leute nicht zu schonen, in wenigen Monaten fertig ward, freilich mit dem Verlust des vierten Theils seiner Armee, und erreichte die Linie der Pyrenäen. Daſs durch jene Zögerung die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0410" n="396"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. 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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
Man disponirte über eine halbe Million brauchbarer Soldaten —
nur die römische Reiterei war minder gut und verhältniſsmäſsig
minder zahlreich als die karthagische, jene etwa ein Zehntel.
Diese ein Achtel der Gesammtzahl der ausrückenden Truppen.
Der römischen Flotte von 220 Fünfdeckern, die eben aus dem
adriatischen Meer in die Westsee zurückfuhr, hatte keiner der
westlichen Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die
natürliche und richtige Verwendung dieser erdrückenden Ueber-
macht ergab sich von selbst. Seit langem stand es fest, daſs
der Krieg eröffnet werden solle mit einer Landung in Afri-
ca; die spätere Wendung der Ereignisse hatte die Römer
gezwungen derselben eine gleichzeitige Landung in Spanien
hinzuzufügen, vornämlich um nicht die spanische Armee vor
den Mauern von Karthago zu finden. Nach diesem Plan
muſste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt
zu Anfang 535 thatsächlich eröffnet war, vor allen Dingen
eilen ein römisches Heer in Spanien zu landen, ehe die Stadt
fiel; allein man versäumte das Gebot des Vortheils nicht minder
wie der Ehre und Sagunt hielt sich acht Monate lang umsonst —
als die Stadt capitulirte, hatte Rom zur Landung in Spanien
nicht einmal gerüstet. — Indeſs noch war das Land zwischen
dem Ebro und den Pyrenäen frei, dessen Völkerschaften nicht
bloſs die natürlichen Verbündeten der Römer waren, sondern
auch von römischen Emissarien gleich den Saguntinern Ver-
sprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach
Catalonien gelangt man zu Schiff von Italien nicht viel weniger
rasch wie von Cartagena zu Lande; wenn nach der inzwischen
erfolgten förmlichen Kriegserklärung die Römer wie die Punier
im April aufbrachen, konnte Hannibal den römischen Legionen
an der Ebrolinie begegnen. Allerdings wurde, nachdem der
gröſsere Theil des Heeres und der Flotte für den Zug nach
Africa disponibel gemacht worden war, der zweite Consul
Publius Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm
sich Zeit, da eben am Po ein Aufstand ausbrach, das zur
Einschiffung bereit stehende Heer dort zu verwenden und für
die spanische Expedition neue Legionen zu bilden. So fand
Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur
von den Eingeborenen, mit welchen er, da der Drang der
Umstände ihn zwang um nicht die kostbare Zeit zu verlieren
seine Leute nicht zu schonen, in wenigen Monaten fertig ward,
freilich mit dem Verlust des vierten Theils seiner Armee, und
erreichte die Linie der Pyrenäen. Daſs durch jene Zögerung die
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