es nicht weise sei länger mit der Erneuerung des Krieges zu zögern, der sehr erklärliche Wunsch zuvor mit den Galliern im Pothal fertig zu werden, da diese, mit Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, benutzen würden um die transalpinischen Völkerschaften aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch äusserst gefährlichen Keltenzüge zu erneuern. Dass weder Rücksichten auf die karthagische Friedenspartei noch auf die bestehenden Verträge die Römer abhielten, versteht sich; überdiess war, wenn man den Krieg wollte, mit Benutzung der spanischen Fehden ein Vorwand augenblicklich gefunden. Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebenso wenig lässt sich leugnen, dass der römische Senat diese Ver- hältnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat -- Fehler, von denen seine Führung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlichere Belege aufweist. Ueberall ist die römische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch Zähigkeit, Schlauheit und Consequenz, als durch eine grossartige Auffassung und Ordnung der Dinge, in der die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithridates ihren Gegnern sich oft überlegen gezeigt haben.
So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glück die Weihe. Die Mittel zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine stetig sich füllende Kasse; aber um für den Kampf den rechten Augenblick, die rechte Richtung zu finden, fehlte der Führer. Der Mann, der Kopf und Herz genug besessen um in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung zu bahnen, war nicht mehr, als es möglich ward ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Augenblick noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der Oberleitung des Unter- nehmens nicht gewachsen glaubte, vermögen wir nicht zu ent- scheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 von Mörderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heers an seine Stelle Hamilkars ältesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger Mann -- geboren 505, also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Gräuel des libyschen Krieges mit durchempfunden.
DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
es nicht weise sei länger mit der Erneuerung des Krieges zu zögern, der sehr erklärliche Wunsch zuvor mit den Galliern im Pothal fertig zu werden, da diese, mit Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm, benutzen würden um die transalpinischen Völkerschaften aufs neue nach Italien zu locken und die immer noch äuſserst gefährlichen Keltenzüge zu erneuern. Daſs weder Rücksichten auf die karthagische Friedenspartei noch auf die bestehenden Verträge die Römer abhielten, versteht sich; überdieſs war, wenn man den Krieg wollte, mit Benutzung der spanischen Fehden ein Vorwand augenblicklich gefunden. Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebenso wenig läſst sich leugnen, daſs der römische Senat diese Ver- hältnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat — Fehler, von denen seine Führung der gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlichere Belege aufweist. Ueberall ist die römische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch Zähigkeit, Schlauheit und Consequenz, als durch eine groſsartige Auffassung und Ordnung der Dinge, in der die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithridates ihren Gegnern sich oft überlegen gezeigt haben.
So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glück die Weihe. Die Mittel zum Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine stetig sich füllende Kasse; aber um für den Kampf den rechten Augenblick, die rechte Richtung zu finden, fehlte der Führer. Der Mann, der Kopf und Herz genug besessen um in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung zu bahnen, war nicht mehr, als es möglich ward ihn zu betreten. Ob sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterlieſs, weil ihm der Augenblick noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der Oberleitung des Unter- nehmens nicht gewachsen glaubte, vermögen wir nicht zu ent- scheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 von Mörderhand gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen Heers an seine Stelle Hamilkars ältesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger Mann — geboren 505, also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend und siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die bittere Heimkehr des unbesiegten Vaters, die Gräuel des libyschen Krieges mit durchempfunden.
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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
es nicht weise sei länger mit der Erneuerung des Krieges zu
zögern, der sehr erklärliche Wunsch zuvor mit den Galliern
im Pothal fertig zu werden, da diese, mit Ausrottung bedroht,
voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
benutzen würden um die transalpinischen Völkerschaften aufs
neue nach Italien zu locken und die immer noch äuſserst
gefährlichen Keltenzüge zu erneuern. Daſs weder Rücksichten
auf die karthagische Friedenspartei noch auf die bestehenden
Verträge die Römer abhielten, versteht sich; überdieſs war,
wenn man den Krieg wollte, mit Benutzung der spanischen
Fehden ein Vorwand augenblicklich gefunden. Unbegreiflich
ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber ebenso
wenig läſst sich leugnen, daſs der römische Senat diese Ver-
hältnisse kurzsichtig und schlaff behandelt hat — Fehler, von
denen seine Führung der gallischen Angelegenheiten in der
gleichen Zeit noch viel unverzeihlichere Belege aufweist.
Ueberall ist die römische Staatskunst mehr ausgezeichnet
durch Zähigkeit, Schlauheit und Consequenz, als durch eine
groſsartige Auffassung und Ordnung der Dinge, in der die
Feinde Roms von Pyrrhos bis auf Mithridates ihren Gegnern
sich oft überlegen gezeigt haben.
So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glück die
Weihe. Die Mittel zum Kriege waren gewonnen, ein starkes
kampf- und sieggewohntes Heer und eine stetig sich füllende
Kasse; aber um für den Kampf den rechten Augenblick, die
rechte Richtung zu finden, fehlte der Führer. Der Mann, der
Kopf und Herz genug besessen um in verzweifelter Lage unter
einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung zu bahnen,
war nicht mehr, als es möglich ward ihn zu betreten. Ob
sein Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterlieſs, weil ihm der
Augenblick noch nicht gekommen schien, oder ob er, mehr
Staatsmann als Feldherr, sich der Oberleitung des Unter-
nehmens nicht gewachsen glaubte, vermögen wir nicht zu ent-
scheiden. Als er im Anfang des Jahres 534 von Mörderhand
gefallen war, beriefen die karthagischen Offiziere des spanischen
Heers an seine Stelle Hamilkars ältesten Sohn, den Hannibal.
Er war noch ein junger Mann — geboren 505, also damals
im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel
gelebt. Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im
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Vaters, die Gräuel des libyschen Krieges mit durchempfunden.
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/402>, abgerufen am 16.07.2024.
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