Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL IV. mehr. Hamilkar war nicht bloss Militär-, er war auch Partei-chef; gegen die unversöhnliche und der Gelegenheit ihn zu stürzen begierig und geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die Bürgerschaft sich stützen, und mochten deren Füh- rer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und durch das unselige Corruptionssystem gewöhnt nichts für nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Noth oder die Begeisterung einmal durch, wie das überall selbst in den feilsten Körperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar für seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchführbaren Plan die Unterstützung des karthagischen Volkes dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der Heimath durch regelmässige Geldsendungen die Mittel ge- währen den Pöbel bei guter Laune zu erhalten. So genöthigt von der lauen und feilen Menge die Erlaubniss sie zu retten zu erbetteln oder zu erkaufen; genöthigt dem Uebermuth der Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demuth und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genöthigt den verachteten Vaterlandsverräthern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plänen seine Verachtung zu verbergen -- so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von innen, auf die Unentschlos- senheit der einen und der andern bauend, zugleich beide täuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten, zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu überwinden kaum möglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus über die Dreissig; aber es schien ihm zu ahnen, als er sich anschickte zu sei- nem Zuge, dass es ihm nicht vergönnt sein werde das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfüllung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjährigen Sohn Han- nibal hiess er, da er Karthago verliess, am Altar des höchsten Gottes dem römischen Namen ewigen Hass schwören und zog ihn und die jüngeren Söhne Hasdrubal und Mago, die ,Löwen- brut', wie er sie nannte, im Feldlager auf als Erben seiner Entwürfe, seines Genies und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr in Libyen brach unmittelbar nach DRITTES BUCH. KAPITEL IV. mehr. Hamilkar war nicht bloſs Militär-, er war auch Partei-chef; gegen die unversöhnliche und der Gelegenheit ihn zu stürzen begierig und geduldig harrende Regierungspartei muſste er auf die Bürgerschaft sich stützen, und mochten deren Füh- rer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben und durch das unselige Corruptionssystem gewöhnt nichts für nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Noth oder die Begeisterung einmal durch, wie das überall selbst in den feilsten Körperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar für seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von Jahren durchführbaren Plan die Unterstützung des karthagischen Volkes dauernd sich sichern, so muſste er seinen Freunden in der Heimath durch regelmäſsige Geldsendungen die Mittel ge- währen den Pöbel bei guter Laune zu erhalten. So genöthigt von der lauen und feilen Menge die Erlaubniſs sie zu retten zu erbetteln oder zu erkaufen; genöthigt dem Uebermuth der Verhaſsten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demuth und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genöthigt den verachteten Vaterlandsverräthern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plänen seine Verachtung zu verbergen — so stand der hohe Mann mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von auſsen und den Feinden von innen, auf die Unentschlos- senheit der einen und der andern bauend, zugleich beide täuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten, zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu überwinden kaum möglich schien. Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus über die Dreiſsig; aber es schien ihm zu ahnen, als er sich anschickte zu sei- nem Zuge, daſs es ihm nicht vergönnt sein werde das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfüllung anders als von weitem zu schauen. Seinen neunjährigen Sohn Han- nibal hieſs er, da er Karthago verlieſs, am Altar des höchsten Gottes dem römischen Namen ewigen Haſs schwören und zog ihn und die jüngeren Söhne Hasdrubal und Mago, die ‚Löwen- brut‘, wie er sie nannte, im Feldlager auf als Erben seiner Entwürfe, seines Genies und seines Hasses. Der neue Oberfeldherr in Libyen brach unmittelbar nach <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0398" n="384"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL IV.</fw><lb/> mehr. 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DRITTES BUCH. KAPITEL IV.
mehr. Hamilkar war nicht bloſs Militär-, er war auch Partei-
chef; gegen die unversöhnliche und der Gelegenheit ihn zu
stürzen begierig und geduldig harrende Regierungspartei muſste
er auf die Bürgerschaft sich stützen, und mochten deren Füh-
rer noch so rein und edel sein, die Masse war tief verdorben
und durch das unselige Corruptionssystem gewöhnt nichts für
nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die
Noth oder die Begeisterung einmal durch, wie das überall
selbst in den feilsten Körperschaften vorkommt; wollte aber
Hamilkar für seinen im besten Fall erst nach einer Reihe von
Jahren durchführbaren Plan die Unterstützung des karthagischen
Volkes dauernd sich sichern, so muſste er seinen Freunden in
der Heimath durch regelmäſsige Geldsendungen die Mittel ge-
währen den Pöbel bei guter Laune zu erhalten. So genöthigt
von der lauen und feilen Menge die Erlaubniſs sie zu retten
zu erbetteln oder zu erkaufen; genöthigt dem Uebermuth der
Verhaſsten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch
Demuth und Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist
abzudingen; genöthigt den verachteten Vaterlandsverräthern,
die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit seinen Plänen
seine Verachtung zu verbergen — so stand der hohe Mann
mit wenigen gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden
von auſsen und den Feinden von innen, auf die Unentschlos-
senheit der einen und der andern bauend, zugleich beide
täuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld
und Soldaten, zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das,
selbst wenn das Heer schlagfertig dastand, mit diesem zu
erreichen schwierig, zu überwinden kaum möglich schien. Er
war noch ein junger Mann, wenig hinaus über die Dreiſsig;
aber es schien ihm zu ahnen, als er sich anschickte zu sei-
nem Zuge, daſs es ihm nicht vergönnt sein werde das Ziel
seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfüllung anders
als von weitem zu schauen. Seinen neunjährigen Sohn Han-
nibal hieſs er, da er Karthago verlieſs, am Altar des höchsten
Gottes dem römischen Namen ewigen Haſs schwören und zog
ihn und die jüngeren Söhne Hasdrubal und Mago, die ‚Löwen-
brut‘, wie er sie nannte, im Feldlager auf als Erben seiner
Entwürfe, seines Genies und seines Hasses.
Der neue Oberfeldherr in Libyen brach unmittelbar nach
der Beendigung des Söldnerkrieges von Karthago auf (etwa
im Frühjahr 518). Er schien einen Zug gegen die freien
Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders
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