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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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HAMILKAR UND HANNIBAL.
worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch
ihre unfähige alle Vorsichtsmassregeln der sicilischen Offiziere
vereitelnde Verwaltung angezettelt, diese Meuterei durch die
Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems in eine
Revolution verwandelt und endlich durch ihre und namentlich
ihres Führers, des Heerverderbers Hanno militärische Unfähig-
keit das Land an den Rand des Abgrundes gebracht hatte,
ward der Held von der Eirkte Hamilkar Barkas in der höch-
sten Noth von der Regierung selbst ersucht sie von den Fol-
gen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das
Commando an und dachte hochsinnig genug es selbst dann
nicht niederzulegen, als man ihm den Hanno zum Collegen
gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimgeschickt hatte,
vermochte er es über sich auf die flehentliche Bitte der Re-
gierung dem Hanno zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzu-
räumen und trotz der Feinde wie trotz des Collegen durch
seinen Einfluss bei den Aufständischen, seine geschickte Be-
handlung der numidischen Scheiks, sein unvergleichliches Or-
ganisirungs- und Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit
den Aufstand völlig niederzuwerfen und das empörte Africa
zum Gehorsam zurückzubringen (Ende 517). -- Die Patrioten-
partei hatte während dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach
sie um so lauter. Einerseits waren bei dieser Katastrophe
die ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden
Oligarchie an den Tag gekommen, ihre Unfähigkeit, ihre Co-
teriepolitik, ihre Hinneigung zu den Römern; andrerseits zeigte
die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche
Rom danach einnahm, deutlich für den geringsten Mann,
dass das Damoklesschwerdt der römischen Kriegserklärung
stets über Karthago hing und dass, wie jetzt die Dinge stan-
den, der Krieg mit Rom nothwendig Karthagos Untergang zur
Folge haben müsse. Es mochte nicht Wenige geben, die an
der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd die Auswanderung
nach den Inseln des atlantischen Meeres anriethen; wer durfte
sie schelten? Aber edlere Gemüther verschmähen es ohne die
Nation sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen
das Vorrecht aus dem, worüber die Menge der Guten ver-
zweifelt, Begeisterung zu schöpfen. Man nahm die neuen
Bedingungen an, wie sie Rom eben dictirte; es blieb nichts
übrig als sich zu fügen und den neuen Hass zu dem alten
schlagend ihn sorgfältig zu sammeln und zu sparen, dieses
letzte Capital einer gemisshandelten Nation. Dann aber schritt

HAMILKAR UND HANNIBAL.
worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch
ihre unfähige alle Vorsichtsmaſsregeln der sicilischen Offiziere
vereitelnde Verwaltung angezettelt, diese Meuterei durch die
Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems in eine
Revolution verwandelt und endlich durch ihre und namentlich
ihres Führers, des Heerverderbers Hanno militärische Unfähig-
keit das Land an den Rand des Abgrundes gebracht hatte,
ward der Held von der Eirkte Hamilkar Barkas in der höch-
sten Noth von der Regierung selbst ersucht sie von den Fol-
gen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das
Commando an und dachte hochsinnig genug es selbst dann
nicht niederzulegen, als man ihm den Hanno zum Collegen
gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimgeschickt hatte,
vermochte er es über sich auf die flehentliche Bitte der Re-
gierung dem Hanno zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzu-
räumen und trotz der Feinde wie trotz des Collegen durch
seinen Einfluſs bei den Aufständischen, seine geschickte Be-
handlung der numidischen Scheiks, sein unvergleichliches Or-
ganisirungs- und Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit
den Aufstand völlig niederzuwerfen und das empörte Africa
zum Gehorsam zurückzubringen (Ende 517). — Die Patrioten-
partei hatte während dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach
sie um so lauter. Einerseits waren bei dieser Katastrophe
die ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden
Oligarchie an den Tag gekommen, ihre Unfähigkeit, ihre Co-
teriepolitik, ihre Hinneigung zu den Römern; andrerseits zeigte
die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche
Rom danach einnahm, deutlich für den geringsten Mann,
daſs das Damoklesschwerdt der römischen Kriegserklärung
stets über Karthago hing und daſs, wie jetzt die Dinge stan-
den, der Krieg mit Rom nothwendig Karthagos Untergang zur
Folge haben müsse. Es mochte nicht Wenige geben, die an
der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd die Auswanderung
nach den Inseln des atlantischen Meeres anriethen; wer durfte
sie schelten? Aber edlere Gemüther verschmähen es ohne die
Nation sich selber zu bergen, und groſse Naturen genieſsen
das Vorrecht aus dem, worüber die Menge der Guten ver-
zweifelt, Begeisterung zu schöpfen. Man nahm die neuen
Bedingungen an, wie sie Rom eben dictirte; es blieb nichts
übrig als sich zu fügen und den neuen Haſs zu dem alten
schlagend ihn sorgfältig zu sammeln und zu sparen, dieses
letzte Capital einer gemiſshandelten Nation. Dann aber schritt

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[381/0395] HAMILKAR UND HANNIBAL. worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch ihre unfähige alle Vorsichtsmaſsregeln der sicilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung angezettelt, diese Meuterei durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems in eine Revolution verwandelt und endlich durch ihre und namentlich ihres Führers, des Heerverderbers Hanno militärische Unfähig- keit das Land an den Rand des Abgrundes gebracht hatte, ward der Held von der Eirkte Hamilkar Barkas in der höch- sten Noth von der Regierung selbst ersucht sie von den Fol- gen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Commando an und dachte hochsinnig genug es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm den Hanno zum Collegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimgeschickt hatte, vermochte er es über sich auf die flehentliche Bitte der Re- gierung dem Hanno zum zweitenmal den Mitoberbefehl einzu- räumen und trotz der Feinde wie trotz des Collegen durch seinen Einfluſs bei den Aufständischen, seine geschickte Be- handlung der numidischen Scheiks, sein unvergleichliches Or- ganisirungs- und Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand völlig niederzuwerfen und das empörte Africa zum Gehorsam zurückzubringen (Ende 517). — Die Patrioten- partei hatte während dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach sie um so lauter. Einerseits waren bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre Unfähigkeit, ihre Co- teriepolitik, ihre Hinneigung zu den Römern; andrerseits zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom danach einnahm, deutlich für den geringsten Mann, daſs das Damoklesschwerdt der römischen Kriegserklärung stets über Karthago hing und daſs, wie jetzt die Dinge stan- den, der Krieg mit Rom nothwendig Karthagos Untergang zur Folge haben müsse. Es mochte nicht Wenige geben, die an der Zukunft des Vaterlandes verzweifelnd die Auswanderung nach den Inseln des atlantischen Meeres anriethen; wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemüther verschmähen es ohne die Nation sich selber zu bergen, und groſse Naturen genieſsen das Vorrecht aus dem, worüber die Menge der Guten ver- zweifelt, Begeisterung zu schöpfen. Man nahm die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben dictirte; es blieb nichts übrig als sich zu fügen und den neuen Haſs zu dem alten schlagend ihn sorgfältig zu sammeln und zu sparen, dieses letzte Capital einer gemiſshandelten Nation. Dann aber schritt

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/395>, abgerufen am 24.11.2024.