Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, dass sieallein unter allen Griechen nicht theilgenommen hätten an der Zerstörung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hülfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplo- matische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschämte Antwort er- theilten, ging das antiquarische Interesse der römischen Herren doch keineswegs so weit um einen Krieg anzufangen, der die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben würde (um 515). -- Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicher Weise das einzige Gewerbe war, das an der adria- tischen Küste blühte und von der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich die Römer lange gefallen mit einer nicht löblichen Geduld, die zusammenhängt mit ihrer gründlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlech- ten Flottenwesen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Begünstigung Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand sein altes Geschäft der Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Corsaren zu Gunsten seiner Feinde fort- zuführen, hatten die Herren von Skodra zu gemeinschaftlichen Piratenzügen im grossen Stil die illyrischen Völkerschaften, etwa die heutigen Dalmatier, Montenegriner und Nordalbanesen, vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten ,liburnischen' Schiffe, führten die Illyrier den Krieg gegen Jedermann zur See und an den Kü- sten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstädte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen Küstenplätze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (nördlich von Avlone am Aoos), hatten natürlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter südlich, in Phoenike, der blühendsten Stadt von Epeiros setzten die Corsaren sich fest; halb gezwungen halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Räubern in eine unnatürliche Symmachie; bis nach Elis und Messene waren die Küsten nirgends mehr sicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer was sie an Schiffen hatten um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeräubern und deren griechischen Bundesge- nossen geschlagen; die Corsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Corfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hülfsgesuche der alt- verbündeten Apolloniaten, die flehende Bitte der belagerten Röm. Gesch. I. 24
ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN. suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, daſs sieallein unter allen Griechen nicht theilgenommen hätten an der Zerstörung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hülfe baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplo- matische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach ihrer Weise abgefaſste, das heiſst unverschämte Antwort er- theilten, ging das antiquarische Interesse der römischen Herren doch keineswegs so weit um einen Krieg anzufangen, der die Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben würde (um 515). — Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge begreiflicher Weise das einzige Gewerbe war, das an der adria- tischen Küste blühte und von der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, lieſsen sich die Römer lange gefallen mit einer nicht löblichen Geduld, die zusammenhängt mit ihrer gründlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlech- ten Flottenwesen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Begünstigung Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand sein altes Geschäft der Beschirmung des hellenischen Handels vor den adriatischen Corsaren zu Gunsten seiner Feinde fort- zuführen, hatten die Herren von Skodra zu gemeinschaftlichen Piratenzügen im groſsen Stil die illyrischen Völkerschaften, etwa die heutigen Dalmatier, Montenegriner und Nordalbanesen, vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten ‚liburnischen‘ Schiffe, führten die Illyrier den Krieg gegen Jedermann zur See und an den Kü- sten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstädte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen Küstenplätze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (nördlich von Avlone am Aoos), hatten natürlich vor allem zu leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter südlich, in Phoenike, der blühendsten Stadt von Epeiros setzten die Corsaren sich fest; halb gezwungen halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden Räubern in eine unnatürliche Symmachie; bis nach Elis und Messene waren die Küsten nirgends mehr sicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und Achaeer was sie an Schiffen hatten um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden sie von den Seeräubern und deren griechischen Bundesge- nossen geschlagen; die Corsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Corfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die Hülfsgesuche der alt- verbündeten Apolloniaten, die flehende Bitte der belagerten Röm. Gesch. I. 24
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ITALIENS NATUERLICHE GRENZEN.
suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend, daſs sie
allein unter allen Griechen nicht theilgenommen hätten an
der Zerstörung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hülfe
baten gegen die Aetoler, versuchte der Senat zwar eine diplo-
matische Verwendung; allein da die Aetoler darauf eine nach
ihrer Weise abgefaſste, das heiſst unverschämte Antwort er-
theilten, ging das antiquarische Interesse der römischen Herren
doch keineswegs so weit um einen Krieg anzufangen, der die
Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben würde (um 515).
— Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
begreiflicher Weise das einzige Gewerbe war, das an der adria-
tischen Küste blühte und von der auch der italische Handel
viel zu leiden hatte, lieſsen sich die Römer lange gefallen mit
einer nicht löblichen Geduld, die zusammenhängt mit ihrer
gründlichen Abneigung gegen den Seekrieg und ihrem schlech-
ten Flottenwesen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter
Begünstigung Makedoniens, das keine Veranlassung mehr fand
sein altes Geschäft der Beschirmung des hellenischen Handels
vor den adriatischen Corsaren zu Gunsten seiner Feinde fort-
zuführen, hatten die Herren von Skodra zu gemeinschaftlichen
Piratenzügen im groſsen Stil die illyrischen Völkerschaften,
etwa die heutigen Dalmatier, Montenegriner und Nordalbanesen,
vereinigt; mit ganzen Geschwadern ihrer schnellsegelnden
Zweidecker, der bekannten ‚liburnischen‘ Schiffe, führten die
Illyrier den Krieg gegen Jedermann zur See und an den Kü-
sten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen Gegenden, die
Inselstädte Issa (Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen
Küstenplätze Epidamnos (Durazzo) und Apollonia (nördlich
von Avlone am Aoos), hatten natürlich vor allem zu leiden
und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber
noch weiter südlich, in Phoenike, der blühendsten Stadt von
Epeiros setzten die Corsaren sich fest; halb gezwungen halb
freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen mit den fremden
Räubern in eine unnatürliche Symmachie; bis nach Elis und
Messene waren die Küsten nirgends mehr sicher. Vergeblich
vereinigten die Aetoler und Achaeer was sie an Schiffen hatten
um dem Unwesen zu steuern; in offener Seeschlacht wurden
sie von den Seeräubern und deren griechischen Bundesge-
nossen geschlagen; die Corsarenflotte vermochte endlich sogar
die reiche und wichtige Insel Kerkyra (Corfu) einzunehmen.
Die Klagen der italischen Schiffer, die Hülfsgesuche der alt-
verbündeten Apolloniaten, die flehende Bitte der belagerten
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