Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.DRITTES BUCH. KAPITEL III. unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meu-terern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder ab- hängigen Districten; sie kannten die Stimmung, welche die officielle Schlächterei nach dem Zuge des Regulus und der fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen hatte und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie sich nach Hause zerstreuten mit dem meuterisch erpressten Solde. Seit langem hatte man sich in Karthago die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten als sie anzünden; wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des sicilischen Heeres wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert, das aus der Stadt ausrückende kar- thagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Führers gänzlich geschlagen. Während also der Krieg in Africa wüthete, vermochten die sardinischen Besatzungen, die gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufstän- dischen erklärt hatten, gegen die Eingebornen der Insel sich nicht zu halten und boten dieselbe den Römern an (um 515); diese gingen darauf ein und besetzten die Insel (516). Es war zum zweitenmal, dass das grosse und siegreiche Volk sich hergab Brüderschaft zu machen mit dem feilen Söldner- gesindel und seinen Raub mit ihm zu theilen; in diesem zwei- ten Falle wäre es wohl möglich gewesen dem Gebot der Ehre den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Als Karthago, das durch Hamilkars Genie sich plötzlich vom Abgrund gerettet und in Africa wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt sah (517), von den Römern die Rückgabe Sardiniens begehrte, brachte man nichtige Beschwerden vor, wonach die Karthager römischen Handelsleuten Unbill zugefügt oder gar solche ins Meer gestürzt haben sollten, und eilte den Krieg zu erklären*. * Dass die Abtretung der zwischen Sicilien und Italien liegenden In-
seln, die der Friede von 513 den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht einschloss, ist ausgemacht; es ist aber auch schlecht be- glaubigt, dass die Römer damit die Besatzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden motivirten. Hätten sie es gethan, so würden sie bloss der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefügt haben. DRITTES BUCH. KAPITEL III. unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meu-terern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder ab- hängigen Districten; sie kannten die Stimmung, welche die officielle Schlächterei nach dem Zuge des Regulus und der fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen hatte und kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wuſsten, was ihrer wartete, wenn sie sich nach Hause zerstreuten mit dem meuterisch erpreſsten Solde. Seit langem hatte man sich in Karthago die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten als sie anzünden; wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des sicilischen Heeres wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von zwei Seiten belagert, das aus der Stadt ausrückende kar- thagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten Führers gänzlich geschlagen. Während also der Krieg in Africa wüthete, vermochten die sardinischen Besatzungen, die gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufstän- dischen erklärt hatten, gegen die Eingebornen der Insel sich nicht zu halten und boten dieselbe den Römern an (um 515); diese gingen darauf ein und besetzten die Insel (516). Es war zum zweitenmal, daſs das groſse und siegreiche Volk sich hergab Brüderschaft zu machen mit dem feilen Söldner- gesindel und seinen Raub mit ihm zu theilen; in diesem zwei- ten Falle wäre es wohl möglich gewesen dem Gebot der Ehre den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Als Karthago, das durch Hamilkars Genie sich plötzlich vom Abgrund gerettet und in Africa wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt sah (517), von den Römern die Rückgabe Sardiniens begehrte, brachte man nichtige Beschwerden vor, wonach die Karthager römischen Handelsleuten Unbill zugefügt oder gar solche ins Meer gestürzt haben sollten, und eilte den Krieg zu erklären*. * Daſs die Abtretung der zwischen Sicilien und Italien liegenden In-
seln, die der Friede von 513 den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens nicht einschloſs, ist ausgemacht; es ist aber auch schlecht be- glaubigt, daſs die Römer damit die Besatzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden motivirten. Hätten sie es gethan, so würden sie bloſs der politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefügt haben. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0380" n="366"/><fw place="top" type="header">DRITTES BUCH. KAPITEL III.</fw><lb/> unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meu-<lb/> terern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen<lb/> waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder ab-<lb/> hängigen Districten; sie kannten die Stimmung, welche die<lb/> officielle Schlächterei nach dem Zuge des Regulus und der<lb/> fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen hatte und<lb/> kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie<lb/> verzieh: sie wuſsten, was ihrer wartete, wenn sie sich nach<lb/> Hause zerstreuten mit dem meuterisch erpreſsten Solde.<lb/> Seit langem hatte man sich in Karthago die Mine gegraben<lb/> und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten<lb/> als sie anzünden; wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution<lb/> Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen<lb/> trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung<lb/> zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige<lb/> der ausgezeichnetsten Offiziere des sicilischen Heeres wurden<lb/> das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von<lb/> zwei Seiten belagert, das aus der Stadt ausrückende kar-<lb/> thagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten<lb/> Führers gänzlich geschlagen. Während also der Krieg in<lb/> Africa wüthete, vermochten die sardinischen Besatzungen, die<lb/> gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufstän-<lb/> dischen erklärt hatten, gegen die Eingebornen der Insel sich<lb/> nicht zu halten und boten dieselbe den Römern an (um 515);<lb/> diese gingen darauf ein und besetzten die Insel (516). Es<lb/> war zum zweitenmal, daſs das groſse und siegreiche Volk<lb/> sich hergab Brüderschaft zu machen mit dem feilen Söldner-<lb/> gesindel und seinen Raub mit ihm zu theilen; in diesem zwei-<lb/> ten Falle wäre es wohl möglich gewesen dem Gebot der Ehre<lb/> den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Als Karthago, das<lb/> durch Hamilkars Genie sich plötzlich vom Abgrund gerettet<lb/> und in Africa wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt sah<lb/> (517), von den Römern die Rückgabe Sardiniens begehrte,<lb/> brachte man nichtige Beschwerden vor, wonach die Karthager<lb/> römischen Handelsleuten Unbill zugefügt oder gar solche ins<lb/> Meer gestürzt haben sollten, und eilte den Krieg zu erklären<note place="foot" n="*">Daſs die Abtretung der zwischen Sicilien und Italien liegenden In-<lb/> seln, die der Friede von 513 den Karthagern vorschrieb, die Abtretung<lb/> Sardiniens nicht einschloſs, ist ausgemacht; es ist aber auch schlecht be-<lb/> glaubigt, daſs die Römer damit die Besatzung der Insel drei Jahre nach<lb/> dem Frieden motivirten. Hätten sie es gethan, so würden sie bloſs der<lb/> politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefügt haben.</note>.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [366/0380]
DRITTES BUCH. KAPITEL III.
unsichere und feige Benehmen der Behörden zeigte den Meu-
terern, was sie wagen konnten. Die meisten von ihnen
waren gebürtig aus den von Karthago beherrschten oder ab-
hängigen Districten; sie kannten die Stimmung, welche die
officielle Schlächterei nach dem Zuge des Regulus und der
fürchterliche Steuerdruck dort überall hervorgerufen hatte und
kannten auch ihre Regierung, die nie Wort hielt und nie
verzieh: sie wuſsten, was ihrer wartete, wenn sie sich nach
Hause zerstreuten mit dem meuterisch erpreſsten Solde.
Seit langem hatte man sich in Karthago die Mine gegraben
und bestellte jetzt selbst die Leute, die nicht anders konnten
als sie anzünden; wie ein Lauffeuer ergriff die Revolution
Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen
trugen ihren Schmuck herbei um den Söldnern die Löhnung
zu zahlen; eine Menge karthagischer Bürger, darunter einige
der ausgezeichnetsten Offiziere des sicilischen Heeres wurden
das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago von
zwei Seiten belagert, das aus der Stadt ausrückende kar-
thagische Heer durch die Verkehrtheit des ungeschickten
Führers gänzlich geschlagen. Während also der Krieg in
Africa wüthete, vermochten die sardinischen Besatzungen, die
gleich der übrigen karthagischen Armee sich für die Aufstän-
dischen erklärt hatten, gegen die Eingebornen der Insel sich
nicht zu halten und boten dieselbe den Römern an (um 515);
diese gingen darauf ein und besetzten die Insel (516). Es
war zum zweitenmal, daſs das groſse und siegreiche Volk
sich hergab Brüderschaft zu machen mit dem feilen Söldner-
gesindel und seinen Raub mit ihm zu theilen; in diesem zwei-
ten Falle wäre es wohl möglich gewesen dem Gebot der Ehre
den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Als Karthago, das
durch Hamilkars Genie sich plötzlich vom Abgrund gerettet
und in Africa wieder in seine volle Herrschaft eingesetzt sah
(517), von den Römern die Rückgabe Sardiniens begehrte,
brachte man nichtige Beschwerden vor, wonach die Karthager
römischen Handelsleuten Unbill zugefügt oder gar solche ins
Meer gestürzt haben sollten, und eilte den Krieg zu erklären *.
* Daſs die Abtretung der zwischen Sicilien und Italien liegenden In-
seln, die der Friede von 513 den Karthagern vorschrieb, die Abtretung
Sardiniens nicht einschloſs, ist ausgemacht; es ist aber auch schlecht be-
glaubigt, daſs die Römer damit die Besatzung der Insel drei Jahre nach
dem Frieden motivirten. Hätten sie es gethan, so würden sie bloſs der
politischen Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefügt haben.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |