Den bauenden und bildenden Künsten scheint die gegen- wärtige Epoche minder günstig gewesen zu sein, als die Kö- nigszeit, in der die jugendliche hellenische Kunst ein frisches Volk stetig und übermächtig anregte, und die nachfolgenden Perioden, in denen man die griechischen Kunstwerke erst zu plündern, dann zu schätzen und endlich nachzubilden begann. Der Verfall Grossgriechenlands und Siciliens und die Ver- drängung der griechischen Schiffe vom tyrrhenischen Meer durch Etrusker und Karthager schwächten den griechischen Einfluss überall; aber auch innere Verhältnisse scheinen mit- gewirkt zu haben. In Etrurien mochte der politische und geistige Verfall des Volkes vielleicht zunächst den Luxus der Kunst steigern, aber zugleich was an ihr noch edel war zu Grunde richten. Die früher bezeichnete Richtung der etruski- schen Kunst auf das Imponirende durch Kostbarkeit, Sonder- barkeit oder Grösse, überhaupt die massenhafte und hand- werksmässige Production von Kunstsachen gehört vorzugsweise in diese Epoche, wenn sie auch schon von vorn herein im etruskischen Wesen begründet ist. Wie weit dieselbe ging, be- weist ausser den Gräberfunden zum Beispiel die Angabe, dass in Volsinii, dem tuskischen Delphi, zweitausend eherne Sta- tuen aufgestellt waren. Dass der Geist aus der Kunst ent- wichen war, beweist das strenge Festhalten des einmal über- lieferten Stils in den älteren Kunstzweigen und die elende Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bild- hauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf die Münzen. Nicht minder charakteristisch ist die massen- hafte Einführung der gemalten Gefässe aus Attika neben den ganz einzelnen durchaus misslungenen Versuchen sie nachzu- machen. Es ist kaum zu bezweifeln, dass wenn diese Sitte in Etrurien im ersten Jahrhundert und nicht im dritten auf- gekommen wäre, man es wenigstens zu einer leidlichen Nach- bildung gebracht haben würde ähnlich wie im Erzguss und in der Zeichnung auf Metall; jetzt aber fand man es bequemer zu kaufen als zu formen, passiv aufzunehmen statt selbstthätig zu reproduciren. Dass auch die Abtrennung der südlichen Städte, in denen die Kunst wohl ihre geschicktesten Vertreter gefunden hatte, von dem mehr barbarischen Norden und die zeitige Romanisirung der Gegend von Caere und Veii hiebei wesentlich mitgewirkt hat, ist nicht zu bezweifeln. -- Was den sabellischen Stamm anlangt, so haben diejenigen seiner Zweige, die mit den Griechen in die engste Verbindung tra-
ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII.
Den bauenden und bildenden Künsten scheint die gegen- wärtige Epoche minder günstig gewesen zu sein, als die Kö- nigszeit, in der die jugendliche hellenische Kunst ein frisches Volk stetig und übermächtig anregte, und die nachfolgenden Perioden, in denen man die griechischen Kunstwerke erst zu plündern, dann zu schätzen und endlich nachzubilden begann. Der Verfall Groſsgriechenlands und Siciliens und die Ver- drängung der griechischen Schiffe vom tyrrhenischen Meer durch Etrusker und Karthager schwächten den griechischen Einfluſs überall; aber auch innere Verhältnisse scheinen mit- gewirkt zu haben. In Etrurien mochte der politische und geistige Verfall des Volkes vielleicht zunächst den Luxus der Kunst steigern, aber zugleich was an ihr noch edel war zu Grunde richten. Die früher bezeichnete Richtung der etruski- schen Kunst auf das Imponirende durch Kostbarkeit, Sonder- barkeit oder Gröſse, überhaupt die massenhafte und hand- werksmäſsige Production von Kunstsachen gehört vorzugsweise in diese Epoche, wenn sie auch schon von vorn herein im etruskischen Wesen begründet ist. Wie weit dieselbe ging, be- weist auſser den Gräberfunden zum Beispiel die Angabe, daſs in Volsinii, dem tuskischen Delphi, zweitausend eherne Sta- tuen aufgestellt waren. Daſs der Geist aus der Kunst ent- wichen war, beweist das strenge Festhalten des einmal über- lieferten Stils in den älteren Kunstzweigen und die elende Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bild- hauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf die Münzen. Nicht minder charakteristisch ist die massen- hafte Einführung der gemalten Gefäſse aus Attika neben den ganz einzelnen durchaus miſslungenen Versuchen sie nachzu- machen. Es ist kaum zu bezweifeln, daſs wenn diese Sitte in Etrurien im ersten Jahrhundert und nicht im dritten auf- gekommen wäre, man es wenigstens zu einer leidlichen Nach- bildung gebracht haben würde ähnlich wie im Erzguſs und in der Zeichnung auf Metall; jetzt aber fand man es bequemer zu kaufen als zu formen, passiv aufzunehmen statt selbstthätig zu reproduciren. Daſs auch die Abtrennung der südlichen Städte, in denen die Kunst wohl ihre geschicktesten Vertreter gefunden hatte, von dem mehr barbarischen Norden und die zeitige Romanisirung der Gegend von Caere und Veii hiebei wesentlich mitgewirkt hat, ist nicht zu bezweifeln. — Was den sabellischen Stamm anlangt, so haben diejenigen seiner Zweige, die mit den Griechen in die engste Verbindung tra-
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ZWEITES BUCH. KAPITEL VIII.
Den bauenden und bildenden Künsten scheint die gegen-
wärtige Epoche minder günstig gewesen zu sein, als die Kö-
nigszeit, in der die jugendliche hellenische Kunst ein frisches
Volk stetig und übermächtig anregte, und die nachfolgenden
Perioden, in denen man die griechischen Kunstwerke erst zu
plündern, dann zu schätzen und endlich nachzubilden begann.
Der Verfall Groſsgriechenlands und Siciliens und die Ver-
drängung der griechischen Schiffe vom tyrrhenischen Meer
durch Etrusker und Karthager schwächten den griechischen
Einfluſs überall; aber auch innere Verhältnisse scheinen mit-
gewirkt zu haben. In Etrurien mochte der politische und
geistige Verfall des Volkes vielleicht zunächst den Luxus der
Kunst steigern, aber zugleich was an ihr noch edel war zu
Grunde richten. Die früher bezeichnete Richtung der etruski-
schen Kunst auf das Imponirende durch Kostbarkeit, Sonder-
barkeit oder Gröſse, überhaupt die massenhafte und hand-
werksmäſsige Production von Kunstsachen gehört vorzugsweise
in diese Epoche, wenn sie auch schon von vorn herein im
etruskischen Wesen begründet ist. Wie weit dieselbe ging, be-
weist auſser den Gräberfunden zum Beispiel die Angabe, daſs
in Volsinii, dem tuskischen Delphi, zweitausend eherne Sta-
tuen aufgestellt waren. Daſs der Geist aus der Kunst ent-
wichen war, beweist das strenge Festhalten des einmal über-
lieferten Stils in den älteren Kunstzweigen und die elende
Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bild-
hauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf
die Münzen. Nicht minder charakteristisch ist die massen-
hafte Einführung der gemalten Gefäſse aus Attika neben den
ganz einzelnen durchaus miſslungenen Versuchen sie nachzu-
machen. Es ist kaum zu bezweifeln, daſs wenn diese Sitte
in Etrurien im ersten Jahrhundert und nicht im dritten auf-
gekommen wäre, man es wenigstens zu einer leidlichen Nach-
bildung gebracht haben würde ähnlich wie im Erzguſs und in
der Zeichnung auf Metall; jetzt aber fand man es bequemer
zu kaufen als zu formen, passiv aufzunehmen statt selbstthätig
zu reproduciren. Daſs auch die Abtrennung der südlichen
Städte, in denen die Kunst wohl ihre geschicktesten Vertreter
gefunden hatte, von dem mehr barbarischen Norden und die
zeitige Romanisirung der Gegend von Caere und Veii hiebei
wesentlich mitgewirkt hat, ist nicht zu bezweifeln. — Was
den sabellischen Stamm anlangt, so haben diejenigen seiner
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/312>, abgerufen am 22.11.2024.
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