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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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wir, dass Rom die doppelte Klippe vermied die militärischen
Kräfte seiner Bundesgenossen und Unterthanen entweder un-
genutzt zu lassen oder sie so zu nutzen, dass die herrschende
Gemeinde von den beherrschten abhängig ward. Im Ganzen
pflegte bei jedem römischen Heer die Zahl der Bürger und die
der Bundesgenossen gleich zu sein, wo denn allerdings wohl
jene bei der Aushebung stärker in Anspruch genommen wer-
den mussten. Unter den Bundesgenossen wurden die latini-
schen Gemeinden vorzugsweise angezogen, damit die herr-
schende Nation überall im Heer das Uebergewicht habe. Die
kostspieligsten Dienstgattungen wurden dagegen vorzugsweise
den Unterthanen überwiesen; so lag die Unterhaltung und Be-
mannung der Kriegsmarine vorwiegend den griechischen Städten

fenfähigen römischen Bürger für die Königszeit auf etwa 20000 anschlagen
(S. 70). Eine festgestellte Thatsache ist es, dass von Albas Fall bis auf die
Eroberung von Veii die unmittelbare römische Mark nicht wesentlich erwei-
tert ward; womit es vollkommen übereinstimmt, dass bis auf das Jahr 367
neue Bürgerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme
durch den Ueberschuss der Geborenen über die Gestorbenen, durch Ein-
wanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so
wird es doch schlechterdings unmöglich sein mit den engen Grenzen eines
Gebiets, das schwerlich 30 Quadratmeilen erreichte, die überlieferten Cen-
suszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffen-
fähigen römischen Bürger in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts
zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362, wofür eine
vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr dürften diese Zahlen
mit den 84700 Bürgern des servianischen Census auf einer Linie stehen und
überhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte
und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Censusliste nichts sein als
eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten
Zahlenangaben sich gefallen und sich verrathen. -- Erst mit der zweiten
Hälfte des vierten Jahrhunderts beginnen theils die grossen Gebietserwer-
bungen, theils die Incorporationen ganzer Gemeinden in die römische (S. 223),
wodurch die Bürgerrolle plötzlich und beträchtlich steigen musste. Es ist
glaubwürdig überliefert wie an sich glaublich, dass um 416 man 165000
römische Bürger zählte, wozu es recht gut stimmt, dass zehn Jahre vorher,
als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief,
das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den
grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Campanien zählte
man im fünften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem
ersten punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfähige Bürger. Diese
Zahlen sind sicher genug, allein aus einem andern Grunde geschichtlich
wenig brauchbar, insofern hier nämlich unzweifelhaft die römischen Voll-
bürger und die ,Bürger ohne Stimme', wie zum Beispiel die Caeriten und
Capuaner, in einander gerechnet sind, während doch die letztern factisch
durchaus den Unterthanen beigezählt werden müssen und Rom viel sicherer
zählen konnte auf die hier nicht eingerechneten Zuzüge der Latiner, als auf
die campanischen Legionen.

KOENIG PYRRHOS.
wir, daſs Rom die doppelte Klippe vermied die militärischen
Kräfte seiner Bundesgenossen und Unterthanen entweder un-
genutzt zu lassen oder sie so zu nutzen, daſs die herrschende
Gemeinde von den beherrschten abhängig ward. Im Ganzen
pflegte bei jedem römischen Heer die Zahl der Bürger und die
der Bundesgenossen gleich zu sein, wo denn allerdings wohl
jene bei der Aushebung stärker in Anspruch genommen wer-
den muſsten. Unter den Bundesgenossen wurden die latini-
schen Gemeinden vorzugsweise angezogen, damit die herr-
schende Nation überall im Heer das Uebergewicht habe. Die
kostspieligsten Dienstgattungen wurden dagegen vorzugsweise
den Unterthanen überwiesen; so lag die Unterhaltung und Be-
mannung der Kriegsmarine vorwiegend den griechischen Städten

fenfähigen römischen Bürger für die Königszeit auf etwa 20000 anschlagen
(S. 70). Eine festgestellte Thatsache ist es, daſs von Albas Fall bis auf die
Eroberung von Veii die unmittelbare römische Mark nicht wesentlich erwei-
tert ward; womit es vollkommen übereinstimmt, daſs bis auf das Jahr 367
neue Bürgerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme
durch den Ueberschuſs der Geborenen über die Gestorbenen, durch Ein-
wanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so
wird es doch schlechterdings unmöglich sein mit den engen Grenzen eines
Gebiets, das schwerlich 30 Quadratmeilen erreichte, die überlieferten Cen-
suszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffen-
fähigen römischen Bürger in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts
zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362, wofür eine
vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr dürften diese Zahlen
mit den 84700 Bürgern des servianischen Census auf einer Linie stehen und
überhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte
und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Censusliste nichts sein als
eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten
Zahlenangaben sich gefallen und sich verrathen. — Erst mit der zweiten
Hälfte des vierten Jahrhunderts beginnen theils die groſsen Gebietserwer-
bungen, theils die Incorporationen ganzer Gemeinden in die römische (S. 223),
wodurch die Bürgerrolle plötzlich und beträchtlich steigen muſste. Es ist
glaubwürdig überliefert wie an sich glaublich, daſs um 416 man 165000
römische Bürger zählte, wozu es recht gut stimmt, daſs zehn Jahre vorher,
als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief,
das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den
groſsen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Campanien zählte
man im fünften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem
ersten punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfähige Bürger. Diese
Zahlen sind sicher genug, allein aus einem andern Grunde geschichtlich
wenig brauchbar, insofern hier nämlich unzweifelhaft die römischen Voll-
bürger und die ‚Bürger ohne Stimme‘, wie zum Beispiel die Caeriten und
Capuaner, in einander gerechnet sind, während doch die letztern factisch
durchaus den Unterthanen beigezählt werden müssen und Rom viel sicherer
zählen konnte auf die hier nicht eingerechneten Zuzüge der Latiner, als auf
die campanischen Legionen.
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[283/0297] KOENIG PYRRHOS. wir, daſs Rom die doppelte Klippe vermied die militärischen Kräfte seiner Bundesgenossen und Unterthanen entweder un- genutzt zu lassen oder sie so zu nutzen, daſs die herrschende Gemeinde von den beherrschten abhängig ward. Im Ganzen pflegte bei jedem römischen Heer die Zahl der Bürger und die der Bundesgenossen gleich zu sein, wo denn allerdings wohl jene bei der Aushebung stärker in Anspruch genommen wer- den muſsten. Unter den Bundesgenossen wurden die latini- schen Gemeinden vorzugsweise angezogen, damit die herr- schende Nation überall im Heer das Uebergewicht habe. Die kostspieligsten Dienstgattungen wurden dagegen vorzugsweise den Unterthanen überwiesen; so lag die Unterhaltung und Be- mannung der Kriegsmarine vorwiegend den griechischen Städten * * fenfähigen römischen Bürger für die Königszeit auf etwa 20000 anschlagen (S. 70). Eine festgestellte Thatsache ist es, daſs von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare römische Mark nicht wesentlich erwei- tert ward; womit es vollkommen übereinstimmt, daſs bis auf das Jahr 367 neue Bürgerbezirke nicht errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuſs der Geborenen über die Gestorbenen, durch Ein- wanderungen und Freilassungen noch so reichlich in Anschlag bringen, so wird es doch schlechterdings unmöglich sein mit den engen Grenzen eines Gebiets, das schwerlich 30 Quadratmeilen erreichte, die überlieferten Cen- suszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl der waffen- fähigen römischen Bürger in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362, wofür eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr dürften diese Zahlen mit den 84700 Bürgern des servianischen Census auf einer Linie stehen und überhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius hinaufgeführte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete ältere Censusliste nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz detaillirten Zahlenangaben sich gefallen und sich verrathen. — Erst mit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts beginnen theils die groſsen Gebietserwer- bungen, theils die Incorporationen ganzer Gemeinden in die römische (S. 223), wodurch die Bürgerrolle plötzlich und beträchtlich steigen muſste. Es ist glaubwürdig überliefert wie an sich glaublich, daſs um 416 man 165000 römische Bürger zählte, wozu es recht gut stimmt, daſs zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den groſsen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Campanien zählte man im fünften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfähige Bürger. Diese Zahlen sind sicher genug, allein aus einem andern Grunde geschichtlich wenig brauchbar, insofern hier nämlich unzweifelhaft die römischen Voll- bürger und die ‚Bürger ohne Stimme‘, wie zum Beispiel die Caeriten und Capuaner, in einander gerechnet sind, während doch die letztern factisch durchaus den Unterthanen beigezählt werden müssen und Rom viel sicherer zählen konnte auf die hier nicht eingerechneten Zuzüge der Latiner, als auf die campanischen Legionen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/297>, abgerufen am 10.05.2024.