Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
Italien von Rom beherrscht, während jenen selbst nicht bloss
grosse materielle und politische Vortheile aus ihrer Stellung
zu Rom zuflossen, sondern auch einem jeden ihrer Bürger
die zwischen Rom und Latium bestehende Freizügigkeit die
Gewinnung des Bürgerrechts in der herrschenden Gemeinde
möglich machte. Freilich nachdem der Zweck erreicht war,
verspürten es auch die Latiner, dass Rom ihrer nicht mehr
so wie bisher bedurfte; es wird im folgenden Buch darzu-
stellen sein, wie für die seit 486, dass heisst seit der voll-
ständigen Unterwerfung Italiens, gegründeten Städte das freie
Zugrecht beschränkt ward. -- Neben den beiden Klassen der
herrschenden Nation, den römischen Vollbürgern und den La-
tinern, standen die Unterthanen, theils als Communen römi-
scher Bürger ohne Stimmrecht, wie zum Beispiel Caere und
Capua, theils als Bundesstaaten mit vertragsmässig festge-
stellten mehr oder minder geschmälerten Rechten. Für die
Treue dieser Unterthanen bürgte im Wesentlichen allerdings
die Furcht; allein der Senat war zu staatsklug sich allein
darauf zu verlassen. Es ward von Rom aus dafür gesorgt,
dass in jeder Stadt eine römische Partei entstand. Zu dem
Ende wurde das demokratische Regiment wo es bestand
geändert und die vermöglichen und angesehenen Leute, die
zu gewinnen oder zu schrecken waren, überall ans Ruder
gebracht. Ein merkwürdiges Exempel in dieser Art ward
489 an Volsinii statuirt. Die Partei der Altbürger, die
in Volsinii ähnlich wie in Rom auf gesetzlichem Wege
ihre Sonderrechte eingebüsst haben muss, wandte sich
nach Rom um Wiederherstellung der alten Verfassung; wor-
auf die Bürgerschaft, hievon in Kunde gesetzt, die Landesver-
räther zur gerechten Strafe zog. Allein der römische Senat
nahm Partei für die Altbürger und da die Bürgerschaft sich
nicht gutwillig fügte, wurden Truppen gesandt um die in an-
erkannter Wirksamkeit stehende Verfassung von Volsinii zu
zerreissen. Die Zerstörung der alten Hauptstadt Etruriens
bewies den Italikern, dass sie nicht bloss die politische Selbst-
ständigkeit eingebüsst hatten, sondern auch die communale.
-- In welchem numerischen Verhältniss diese vier politischen
Klassen der Bewohner Italiens zu einander standen, ist nicht
mehr auch nur annähernd zu ermitteln *; wohl aber erkennen

* Es ist zu bedauern, dass wir über die Zahlenverhältnisse nicht ge-
nügende Auskunft zu geben im Stande sind. Man kann die Zahl der waf-

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
Italien von Rom beherrscht, während jenen selbst nicht bloſs
groſse materielle und politische Vortheile aus ihrer Stellung
zu Rom zuflossen, sondern auch einem jeden ihrer Bürger
die zwischen Rom und Latium bestehende Freizügigkeit die
Gewinnung des Bürgerrechts in der herrschenden Gemeinde
möglich machte. Freilich nachdem der Zweck erreicht war,
verspürten es auch die Latiner, daſs Rom ihrer nicht mehr
so wie bisher bedurfte; es wird im folgenden Buch darzu-
stellen sein, wie für die seit 486, daſs heiſst seit der voll-
ständigen Unterwerfung Italiens, gegründeten Städte das freie
Zugrecht beschränkt ward. — Neben den beiden Klassen der
herrschenden Nation, den römischen Vollbürgern und den La-
tinern, standen die Unterthanen, theils als Communen römi-
scher Bürger ohne Stimmrecht, wie zum Beispiel Caere und
Capua, theils als Bundesstaaten mit vertragsmäſsig festge-
stellten mehr oder minder geschmälerten Rechten. Für die
Treue dieser Unterthanen bürgte im Wesentlichen allerdings
die Furcht; allein der Senat war zu staatsklug sich allein
darauf zu verlassen. Es ward von Rom aus dafür gesorgt,
daſs in jeder Stadt eine römische Partei entstand. Zu dem
Ende wurde das demokratische Regiment wo es bestand
geändert und die vermöglichen und angesehenen Leute, die
zu gewinnen oder zu schrecken waren, überall ans Ruder
gebracht. Ein merkwürdiges Exempel in dieser Art ward
489 an Volsinii statuirt. Die Partei der Altbürger, die
in Volsinii ähnlich wie in Rom auf gesetzlichem Wege
ihre Sonderrechte eingebüſst haben muſs, wandte sich
nach Rom um Wiederherstellung der alten Verfassung; wor-
auf die Bürgerschaft, hievon in Kunde gesetzt, die Landesver-
räther zur gerechten Strafe zog. Allein der römische Senat
nahm Partei für die Altbürger und da die Bürgerschaft sich
nicht gutwillig fügte, wurden Truppen gesandt um die in an-
erkannter Wirksamkeit stehende Verfassung von Volsinii zu
zerreiſsen. Die Zerstörung der alten Hauptstadt Etruriens
bewies den Italikern, daſs sie nicht bloſs die politische Selbst-
ständigkeit eingebüſst hatten, sondern auch die communale.
— In welchem numerischen Verhältniſs diese vier politischen
Klassen der Bewohner Italiens zu einander standen, ist nicht
mehr auch nur annähernd zu ermitteln *; wohl aber erkennen

* Es ist zu bedauern, daſs wir über die Zahlenverhältnisse nicht ge-
nügende Auskunft zu geben im Stande sind. Man kann die Zahl der waf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0296" n="282"/><fw place="top" type="header">ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/>
Italien von Rom beherrscht, während jenen selbst nicht blo&#x017F;s<lb/>
gro&#x017F;se materielle und politische Vortheile aus ihrer Stellung<lb/>
zu Rom zuflossen, sondern auch einem jeden ihrer Bürger<lb/>
die zwischen Rom und Latium bestehende Freizügigkeit die<lb/>
Gewinnung des Bürgerrechts in der herrschenden Gemeinde<lb/>
möglich machte. Freilich nachdem der Zweck erreicht war,<lb/>
verspürten es auch die Latiner, da&#x017F;s Rom ihrer nicht mehr<lb/>
so wie bisher bedurfte; es wird im folgenden Buch darzu-<lb/>
stellen sein, wie für die seit 486, da&#x017F;s hei&#x017F;st seit der voll-<lb/>
ständigen Unterwerfung Italiens, gegründeten Städte das freie<lb/>
Zugrecht beschränkt ward. &#x2014; Neben den beiden Klassen der<lb/>
herrschenden Nation, den römischen Vollbürgern und den La-<lb/>
tinern, standen die Unterthanen, theils als Communen römi-<lb/>
scher Bürger ohne Stimmrecht, wie zum Beispiel Caere und<lb/>
Capua, theils als Bundesstaaten mit vertragsmä&#x017F;sig festge-<lb/>
stellten mehr oder minder geschmälerten Rechten. Für die<lb/>
Treue dieser Unterthanen bürgte im Wesentlichen allerdings<lb/>
die Furcht; allein der Senat war zu staatsklug sich allein<lb/>
darauf zu verlassen. Es ward von Rom aus dafür gesorgt,<lb/>
da&#x017F;s in jeder Stadt eine römische Partei entstand. Zu dem<lb/>
Ende wurde das demokratische Regiment wo es bestand<lb/>
geändert und die vermöglichen und angesehenen Leute, die<lb/>
zu gewinnen oder zu schrecken waren, überall ans Ruder<lb/>
gebracht. Ein merkwürdiges Exempel in dieser Art ward<lb/>
489 an Volsinii statuirt. Die Partei der Altbürger, die<lb/>
in Volsinii ähnlich wie in Rom auf gesetzlichem Wege<lb/>
ihre Sonderrechte eingebü&#x017F;st haben mu&#x017F;s, wandte sich<lb/>
nach Rom um Wiederherstellung der alten Verfassung; wor-<lb/>
auf die Bürgerschaft, hievon in Kunde gesetzt, die Landesver-<lb/>
räther zur gerechten Strafe zog. Allein der römische Senat<lb/>
nahm Partei für die Altbürger und da die Bürgerschaft sich<lb/>
nicht gutwillig fügte, wurden Truppen gesandt um die in an-<lb/>
erkannter Wirksamkeit stehende Verfassung von Volsinii zu<lb/>
zerrei&#x017F;sen. Die Zerstörung der alten Hauptstadt Etruriens<lb/>
bewies den Italikern, da&#x017F;s sie nicht blo&#x017F;s die politische Selbst-<lb/>
ständigkeit eingebü&#x017F;st hatten, sondern auch die communale.<lb/>
&#x2014; In welchem numerischen Verhältni&#x017F;s diese vier politischen<lb/>
Klassen der Bewohner Italiens zu einander standen, ist nicht<lb/>
mehr auch nur annähernd zu ermitteln <note xml:id="seg2pn_3_1" next="#seg2pn_3_2" place="foot" n="*">Es ist zu bedauern, da&#x017F;s wir über die Zahlenverhältnisse nicht ge-<lb/>
nügende Auskunft zu geben im Stande sind. Man kann die Zahl der waf-</note>; wohl aber erkennen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0296] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. Italien von Rom beherrscht, während jenen selbst nicht bloſs groſse materielle und politische Vortheile aus ihrer Stellung zu Rom zuflossen, sondern auch einem jeden ihrer Bürger die zwischen Rom und Latium bestehende Freizügigkeit die Gewinnung des Bürgerrechts in der herrschenden Gemeinde möglich machte. Freilich nachdem der Zweck erreicht war, verspürten es auch die Latiner, daſs Rom ihrer nicht mehr so wie bisher bedurfte; es wird im folgenden Buch darzu- stellen sein, wie für die seit 486, daſs heiſst seit der voll- ständigen Unterwerfung Italiens, gegründeten Städte das freie Zugrecht beschränkt ward. — Neben den beiden Klassen der herrschenden Nation, den römischen Vollbürgern und den La- tinern, standen die Unterthanen, theils als Communen römi- scher Bürger ohne Stimmrecht, wie zum Beispiel Caere und Capua, theils als Bundesstaaten mit vertragsmäſsig festge- stellten mehr oder minder geschmälerten Rechten. Für die Treue dieser Unterthanen bürgte im Wesentlichen allerdings die Furcht; allein der Senat war zu staatsklug sich allein darauf zu verlassen. Es ward von Rom aus dafür gesorgt, daſs in jeder Stadt eine römische Partei entstand. Zu dem Ende wurde das demokratische Regiment wo es bestand geändert und die vermöglichen und angesehenen Leute, die zu gewinnen oder zu schrecken waren, überall ans Ruder gebracht. Ein merkwürdiges Exempel in dieser Art ward 489 an Volsinii statuirt. Die Partei der Altbürger, die in Volsinii ähnlich wie in Rom auf gesetzlichem Wege ihre Sonderrechte eingebüſst haben muſs, wandte sich nach Rom um Wiederherstellung der alten Verfassung; wor- auf die Bürgerschaft, hievon in Kunde gesetzt, die Landesver- räther zur gerechten Strafe zog. Allein der römische Senat nahm Partei für die Altbürger und da die Bürgerschaft sich nicht gutwillig fügte, wurden Truppen gesandt um die in an- erkannter Wirksamkeit stehende Verfassung von Volsinii zu zerreiſsen. Die Zerstörung der alten Hauptstadt Etruriens bewies den Italikern, daſs sie nicht bloſs die politische Selbst- ständigkeit eingebüſst hatten, sondern auch die communale. — In welchem numerischen Verhältniſs diese vier politischen Klassen der Bewohner Italiens zu einander standen, ist nicht mehr auch nur annähernd zu ermitteln *; wohl aber erkennen * Es ist zu bedauern, daſs wir über die Zahlenverhältnisse nicht ge- nügende Auskunft zu geben im Stande sind. Man kann die Zahl der waf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/296
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/296>, abgerufen am 25.11.2024.