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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
während gleichzeitig ein starkes punisches Heer die Belage-
rung zu Lande begann (476). Es war hohe Zeit, dass Pyrrhos
in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die An-
gelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort
entbehrt werden konnten. Die beiden Consuln des Jahres
476, Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus,
beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kräftig
begonnen und trotz der Niederlagen, die die Römer erlitten
hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich er-
mattet fühlten und den Frieden herbeiwünschten. Pyrrhos
machte noch einen Versuch ein leidliches Abkommen zu er-
langen. Der Consul Fabricius hatte dem König einen Elen-
den zugesandt, der ihm den Antrag gemacht gegen gute Be-
zahlung den König zu vergiften. Zum Dank gab der König
nicht bloss alle römischen Gefangenen ohne Lösegeld frei,
sondern er fühlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner
tapfern Gegner, dass er zur Belohnung ihnen einen ungemein
billigen und günstigen Frieden selber antrug. Kineas scheint
noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernst-
lich gefürchtet zu haben, dass sich Rom zum Frieden bequeme.
Indess der Senat blieb fest und wiederholte seine frühere
Antwort. Wollte der König nicht Syrakus den Karthagern in
die Hände fallen und damit seinen grossen Plan sich zerstö-
ren lassen, so blieb ihm nichts andres übrig als seine itali-
schen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorläufig auf den
Besitz der wichtigsten Hafenplätze, namentlich von Tarent und
Lokri zu beschränken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner
und Samniten sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten
die Tarentiner ihn auf entweder seiner Feldherrnpflicht nach-
zukommen oder die Stadt ihnen zurückzugeben. Den Klagen
und Vorwürfen setzte der König gute Worte oder derbe Ab-
weisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurück, des Königs
Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte
noch im Frühjahr 476 sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus
ein, wo er trotz der karthagischen Flotte glücklich landete.

Durch Pyrrhos Abzug erhielten die Römer freie Hand in
Italien, wo Niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen
wagte und die Gegner überall sich einschlossen in ihre Festen
oder in ihre Wälder. Indess der Kampf ging nicht so schnell
zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran theils
die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges Schuld war,
theils aber wohl auch die Erschöpfung der Römer, von deren

ZWEITES BUCH. KAPITEL VII.
während gleichzeitig ein starkes punisches Heer die Belage-
rung zu Lande begann (476). Es war hohe Zeit, daſs Pyrrhos
in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die An-
gelegenheiten keineswegs so, daſs er und seine Truppen dort
entbehrt werden konnten. Die beiden Consuln des Jahres
476, Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus,
beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kräftig
begonnen und trotz der Niederlagen, die die Römer erlitten
hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich er-
mattet fühlten und den Frieden herbeiwünschten. Pyrrhos
machte noch einen Versuch ein leidliches Abkommen zu er-
langen. Der Consul Fabricius hatte dem König einen Elen-
den zugesandt, der ihm den Antrag gemacht gegen gute Be-
zahlung den König zu vergiften. Zum Dank gab der König
nicht bloſs alle römischen Gefangenen ohne Lösegeld frei,
sondern er fühlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner
tapfern Gegner, daſs er zur Belohnung ihnen einen ungemein
billigen und günstigen Frieden selber antrug. Kineas scheint
noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernst-
lich gefürchtet zu haben, daſs sich Rom zum Frieden bequeme.
Indeſs der Senat blieb fest und wiederholte seine frühere
Antwort. Wollte der König nicht Syrakus den Karthagern in
die Hände fallen und damit seinen groſsen Plan sich zerstö-
ren lassen, so blieb ihm nichts andres übrig als seine itali-
schen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorläufig auf den
Besitz der wichtigsten Hafenplätze, namentlich von Tarent und
Lokri zu beschränken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner
und Samniten sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten
die Tarentiner ihn auf entweder seiner Feldherrnpflicht nach-
zukommen oder die Stadt ihnen zurückzugeben. Den Klagen
und Vorwürfen setzte der König gute Worte oder derbe Ab-
weisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurück, des Königs
Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte
noch im Frühjahr 476 sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus
ein, wo er trotz der karthagischen Flotte glücklich landete.

Durch Pyrrhos Abzug erhielten die Römer freie Hand in
Italien, wo Niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen
wagte und die Gegner überall sich einschlossen in ihre Festen
oder in ihre Wälder. Indeſs der Kampf ging nicht so schnell
zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran theils
die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges Schuld war,
theils aber wohl auch die Erschöpfung der Römer, von deren

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[274/0288] ZWEITES BUCH. KAPITEL VII. während gleichzeitig ein starkes punisches Heer die Belage- rung zu Lande begann (476). Es war hohe Zeit, daſs Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die An- gelegenheiten keineswegs so, daſs er und seine Truppen dort entbehrt werden konnten. Die beiden Consuln des Jahres 476, Gaius Fabricius Luscinus und Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug kräftig begonnen und trotz der Niederlagen, die die Römer erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich er- mattet fühlten und den Frieden herbeiwünschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch ein leidliches Abkommen zu er- langen. Der Consul Fabricius hatte dem König einen Elen- den zugesandt, der ihm den Antrag gemacht gegen gute Be- zahlung den König zu vergiften. Zum Dank gab der König nicht bloſs alle römischen Gefangenen ohne Lösegeld frei, sondern er fühlte sich so hingerissen von dem Edelsinn seiner tapfern Gegner, daſs er zur Belohnung ihnen einen ungemein billigen und günstigen Frieden selber antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom gegangen zu sein und Karthago ernst- lich gefürchtet zu haben, daſs sich Rom zum Frieden bequeme. Indeſs der Senat blieb fest und wiederholte seine frühere Antwort. Wollte der König nicht Syrakus den Karthagern in die Hände fallen und damit seinen groſsen Plan sich zerstö- ren lassen, so blieb ihm nichts andres übrig als seine itali- schen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorläufig auf den Besitz der wichtigsten Hafenplätze, namentlich von Tarent und Lokri zu beschränken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten sie nicht im Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf entweder seiner Feldherrnpflicht nach- zukommen oder die Stadt ihnen zurückzugeben. Den Klagen und Vorwürfen setzte der König gute Worte oder derbe Ab- weisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurück, des Königs Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Frühjahr 476 sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein, wo er trotz der karthagischen Flotte glücklich landete. Durch Pyrrhos Abzug erhielten die Römer freie Hand in Italien, wo Niemand ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner überall sich einschlossen in ihre Festen oder in ihre Wälder. Indeſs der Kampf ging nicht so schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran theils die Natur dieses Gebirgs- und Belagerungskrieges Schuld war, theils aber wohl auch die Erschöpfung der Römer, von deren

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/288>, abgerufen am 10.05.2024.