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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KOENIG PYRRHOS.
der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen. Ein
römisches Heer blieb als Reserve in Rom, während ein zwei-
tes unter dem Consul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein-
rückte und Volsinii und Volci zu Paaren trieb. Vor allem
aber kam es darauf an dem König entgegenzutreten ehe Un-
teritalien unter seinen Fahnen sich vereinigte. Man zählte
zum Theil auf die römischen Besatzungen in den Griechen-
städten; allein die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe
-- es waren 800 Campaner und 400 Sidiciner unter einem
campanischen Hauptmann Decius -- entriss den Römern diese
wichtige Stadt ohne sie doch Pyrrhos in die Hände zu geben.
Wenn einerseits bei diesem Militäraufstand der Nationalhass
der Campaner gegen die Römer unzweifelhaft mitwirkte, so
konnte andrerseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der
Hellenen über das Meer gekommen war, unmöglich die Trup-
pen in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirthe
in den Häusern niedergemacht hatten; und so blieben sie für
sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen,
den Mamertinern, das heisst den campanischen Söldnern des
Agathokles, die das gegenüberliegende Messana in ähnlicher
Weise gewonnen hatten, und brandschatzten und verheerten
auf ihre eigene Rechnung die umliegenden Griechenstädte,
so Kroton, wo sie die römische Besatzung niedermachten, und
Kaulonia, das sie zerstörten. Dagegen gelang es den Römern
durch ein schwaches Corps, das an der lucanischen Grenze
sich aufstellte, und durch die Besatzung von Venusia die Lu-
caner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hin-
dern, während die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen,
also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen minde-
stens 60000 Mann stark, unter dem Consul Publius Laevinus
gegen Pyrrhos marschirte, der zur Deckung der tarentinischen
Colonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia * mit
seinen eigenen und den tarentinischen Truppen sich aufgestellt
hatte (474). Die Römer, die unter Deckung ihrer Reiterei den
Uebergang über den Siris erzwangen, eröffneten die Schlacht
mit einem hitzigen Reiterangriff, bei dem sie siegten, nach-
dem der König, der seine Reiter selber führte, vom Pferde ge-
stürzt und die Seinigen dadurch in Unordnung gerathen waren.
Indess Pyrrhos stellte sich an die Spitze des Fussvolks und

* Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannte-
ren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.

KOENIG PYRRHOS.
der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen. Ein
römisches Heer blieb als Reserve in Rom, während ein zwei-
tes unter dem Consul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein-
rückte und Volsinii und Volci zu Paaren trieb. Vor allem
aber kam es darauf an dem König entgegenzutreten ehe Un-
teritalien unter seinen Fahnen sich vereinigte. Man zählte
zum Theil auf die römischen Besatzungen in den Griechen-
städten; allein die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe
— es waren 800 Campaner und 400 Sidiciner unter einem
campanischen Hauptmann Decius — entriſs den Römern diese
wichtige Stadt ohne sie doch Pyrrhos in die Hände zu geben.
Wenn einerseits bei diesem Militäraufstand der Nationalhaſs
der Campaner gegen die Römer unzweifelhaft mitwirkte, so
konnte andrerseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der
Hellenen über das Meer gekommen war, unmöglich die Trup-
pen in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirthe
in den Häusern niedergemacht hatten; und so blieben sie für
sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen,
den Mamertinern, das heiſst den campanischen Söldnern des
Agathokles, die das gegenüberliegende Messana in ähnlicher
Weise gewonnen hatten, und brandschatzten und verheerten
auf ihre eigene Rechnung die umliegenden Griechenstädte,
so Kroton, wo sie die römische Besatzung niedermachten, und
Kaulonia, das sie zerstörten. Dagegen gelang es den Römern
durch ein schwaches Corps, das an der lucanischen Grenze
sich aufstellte, und durch die Besatzung von Venusia die Lu-
caner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hin-
dern, während die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen,
also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen minde-
stens 60000 Mann stark, unter dem Consul Publius Laevinus
gegen Pyrrhos marschirte, der zur Deckung der tarentinischen
Colonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia * mit
seinen eigenen und den tarentinischen Truppen sich aufgestellt
hatte (474). Die Römer, die unter Deckung ihrer Reiterei den
Uebergang über den Siris erzwangen, eröffneten die Schlacht
mit einem hitzigen Reiterangriff, bei dem sie siegten, nach-
dem der König, der seine Reiter selber führte, vom Pferde ge-
stürzt und die Seinigen dadurch in Unordnung gerathen waren.
Indeſs Pyrrhos stellte sich an die Spitze des Fuſsvolks und

* Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannte-
ren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
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[265/0279] KOENIG PYRRHOS. der Dienstpflicht befreiten Proletarier unter die Waffen. Ein römisches Heer blieb als Reserve in Rom, während ein zwei- tes unter dem Consul Tiberius Coruncanius in Etrurien ein- rückte und Volsinii und Volci zu Paaren trieb. Vor allem aber kam es darauf an dem König entgegenzutreten ehe Un- teritalien unter seinen Fahnen sich vereinigte. Man zählte zum Theil auf die römischen Besatzungen in den Griechen- städten; allein die Meuterei der in Rhegion liegenden Truppe — es waren 800 Campaner und 400 Sidiciner unter einem campanischen Hauptmann Decius — entriſs den Römern diese wichtige Stadt ohne sie doch Pyrrhos in die Hände zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militäraufstand der Nationalhaſs der Campaner gegen die Römer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte andrerseits Pyrrhos, der zu Schirm und Schutz der Hellenen über das Meer gekommen war, unmöglich die Trup- pen in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirthe in den Häusern niedergemacht hatten; und so blieben sie für sich, im engen Bunde mit ihren Stamm- und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heiſst den campanischen Söldnern des Agathokles, die das gegenüberliegende Messana in ähnlicher Weise gewonnen hatten, und brandschatzten und verheerten auf ihre eigene Rechnung die umliegenden Griechenstädte, so Kroton, wo sie die römische Besatzung niedermachten, und Kaulonia, das sie zerstörten. Dagegen gelang es den Römern durch ein schwaches Corps, das an der lucanischen Grenze sich aufstellte, und durch die Besatzung von Venusia die Lu- caner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hin- dern, während die Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von Bundestruppen minde- stens 60000 Mann stark, unter dem Consul Publius Laevinus gegen Pyrrhos marschirte, der zur Deckung der tarentinischen Colonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia * mit seinen eigenen und den tarentinischen Truppen sich aufgestellt hatte (474). Die Römer, die unter Deckung ihrer Reiterei den Uebergang über den Siris erzwangen, eröffneten die Schlacht mit einem hitzigen Reiterangriff, bei dem sie siegten, nach- dem der König, der seine Reiter selber führte, vom Pferde ge- stürzt und die Seinigen dadurch in Unordnung gerathen waren. Indeſs Pyrrhos stellte sich an die Spitze des Fuſsvolks und * Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannte- ren Stadt gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/279>, abgerufen am 10.05.2024.