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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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ZWEITES BUCH. KAPITEL VI.
erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um wo
möglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entschei-
dung abzurufen zur Vertheidigung der Heimath. Die erste
Begegnung lief nicht glücklich für die Römer ab; ihre Vorhut
ward in dem Gebiet von Chiusi geschlagen von den vereinig-
ten Galliern und Samniten. Aber jene Diversion erreichte
ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch
die Trümmer ihrer Städte hindurchgezogen waren um auf der
rechten Wahlstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nach-
richt von dem Einfall der römischen Reserve in Etrurien ein
grosser Theil der etruskischen Contingente von der Bundes-
armee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es
am östlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entschei-
denden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser Tag. Auf
dem rechten Flügel der Römer stand zwischen Rullianus bei-
den Legionen und dem samnitischen Heer die Schlacht lange
Zeit ohne Entscheidung; auf dem linken, den Publius Decius
befehligte, wurde die römische Reiterei durch die gallischen
Streitwagen in Verwirrung gebracht und schon begannen die
Legionen zu weichen. Da rief der Consul den Priester Marcus
Livius heran und hiess ihn zugleich das Haupt des römischen
Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern
weihen; und alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier
sich stürzend suchte und fand er den Tod. Diese helden-
müthige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feld-
herrn war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen
wieder, die Tapfersten griffen von Neuem an um den Führer
zu rächen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten
Augenblick erschien der Consular Lucius Scipio auf Rullianus
Befehl mit der Reserve auf dem gefährdeten linken Flügel.
Die vortreffliche campanische Reiterei, die den Galliern in die
Flanke und den Rücken fiel, gab hier den Ausschlag; die
Gallier flohen und endlich wichen auch die Samniten, deren
Feldherr Egnatius am Thore des Lagers fiel. Neuntausend
Römer bedeckten die Wahlstatt; aber der theuer erkaufte Sieg
war solchen Opfers werth. Das Bundesheer löste sich auf
und damit der Bund selbst; Umbrien blieb in römischer Ge-
walt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten,
noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruz-
zen ab in die Heimath. Campanien, das die Samniten wäh-
rend des etruskischen Krieges überschwemmt hatten, ward
ihnen mit leichter Mühe wieder entrissen. Etrurien bat im

ZWEITES BUCH. KAPITEL VI.
erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um wo
möglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entschei-
dung abzurufen zur Vertheidigung der Heimath. Die erste
Begegnung lief nicht glücklich für die Römer ab; ihre Vorhut
ward in dem Gebiet von Chiusi geschlagen von den vereinig-
ten Galliern und Samniten. Aber jene Diversion erreichte
ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch
die Trümmer ihrer Städte hindurchgezogen waren um auf der
rechten Wahlstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nach-
richt von dem Einfall der römischen Reserve in Etrurien ein
groſser Theil der etruskischen Contingente von der Bundes-
armee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es
am östlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entschei-
denden Schlacht kam. Dennoch war es ein heiſser Tag. Auf
dem rechten Flügel der Römer stand zwischen Rullianus bei-
den Legionen und dem samnitischen Heer die Schlacht lange
Zeit ohne Entscheidung; auf dem linken, den Publius Decius
befehligte, wurde die römische Reiterei durch die gallischen
Streitwagen in Verwirrung gebracht und schon begannen die
Legionen zu weichen. Da rief der Consul den Priester Marcus
Livius heran und hieſs ihn zugleich das Haupt des römischen
Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern
weihen; und alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier
sich stürzend suchte und fand er den Tod. Diese helden-
müthige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feld-
herrn war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen
wieder, die Tapfersten griffen von Neuem an um den Führer
zu rächen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten
Augenblick erschien der Consular Lucius Scipio auf Rullianus
Befehl mit der Reserve auf dem gefährdeten linken Flügel.
Die vortreffliche campanische Reiterei, die den Galliern in die
Flanke und den Rücken fiel, gab hier den Ausschlag; die
Gallier flohen und endlich wichen auch die Samniten, deren
Feldherr Egnatius am Thore des Lagers fiel. Neuntausend
Römer bedeckten die Wahlstatt; aber der theuer erkaufte Sieg
war solchen Opfers werth. Das Bundesheer löste sich auf
und damit der Bund selbst; Umbrien blieb in römischer Ge-
walt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten,
noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruz-
zen ab in die Heimath. Campanien, das die Samniten wäh-
rend des etruskischen Krieges überschwemmt hatten, ward
ihnen mit leichter Mühe wieder entrissen. Etrurien bat im

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[248/0262] ZWEITES BUCH. KAPITEL VI. erste Reserve eine Bewegung gegen Etrurien machte, um wo möglich die etruskischen Truppen von dem Platz der Entschei- dung abzurufen zur Vertheidigung der Heimath. Die erste Begegnung lief nicht glücklich für die Römer ab; ihre Vorhut ward in dem Gebiet von Chiusi geschlagen von den vereinig- ten Galliern und Samniten. Aber jene Diversion erreichte ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Trümmer ihrer Städte hindurchgezogen waren um auf der rechten Wahlstatt nicht zu fehlen, entfernte sich auf die Nach- richt von dem Einfall der römischen Reserve in Etrurien ein groſser Theil der etruskischen Contingente von der Bundes- armee, und die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am östlichen Abhang des Apennin bei Sentinum zur entschei- denden Schlacht kam. Dennoch war es ein heiſser Tag. Auf dem rechten Flügel der Römer stand zwischen Rullianus bei- den Legionen und dem samnitischen Heer die Schlacht lange Zeit ohne Entscheidung; auf dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die römische Reiterei durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht und schon begannen die Legionen zu weichen. Da rief der Consul den Priester Marcus Livius heran und hieſs ihn zugleich das Haupt des römischen Feldherrn und das feindliche Heer den unterirdischen Göttern weihen; und alsdann in den dichtesten Haufen der Gallier sich stürzend suchte und fand er den Tod. Diese helden- müthige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feld- herrn war nicht vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten griffen von Neuem an um den Führer zu rächen oder mit ihm zu sterben; und eben im rechten Augenblick erschien der Consular Lucius Scipio auf Rullianus Befehl mit der Reserve auf dem gefährdeten linken Flügel. Die vortreffliche campanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke und den Rücken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen und endlich wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Thore des Lagers fiel. Neuntausend Römer bedeckten die Wahlstatt; aber der theuer erkaufte Sieg war solchen Opfers werth. Das Bundesheer löste sich auf und damit der Bund selbst; Umbrien blieb in römischer Ge- walt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruz- zen ab in die Heimath. Campanien, das die Samniten wäh- rend des etruskischen Krieges überschwemmt hatten, ward ihnen mit leichter Mühe wieder entrissen. Etrurien bat im

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/262>, abgerufen am 22.11.2024.