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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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DIE ITALIKER GEGEN ROM.
die Lucaner wurden zum Frieden gezwungen und lucanische
Geisseln nach Rom geführt. Das folgende Jahr konnten beide
Consuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifer-
num, sein treuer Waffengefährte Publius Decius Mus bei Male-
ventum und fünf Monate hindurch lagerten zwei römische Heere
in Feindesland. Die Ursache war, dass die tuskischen Staaten
sich bereit zeigten mit Rom einen Sonderfrieden zu schliessen;
welchen abzuwenden die Samniten das Aeusserste aufboten.
Der samnitische Feldherr Gellius Egnatius bot endlich den
Etruskern an in ihrem eigenen Lande ihnen Hülfe zu brin-
gen; und diese Zusicherung bewog den tuskischen Bundes-
rath auszuharren und noch einmal die Entscheidung der
Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstreng-
ungen um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine
bestimmt zur Vertheidigung des eigenen Gebiets, das zweite
zum Einfall in Campanien, das dritte und stärkste nach Etru-
rien; und wirklich zog im Jahre 458 das letztere, geführt
von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische
Gebiet, deren Bewohner im Einverständniss waren, in Etrurien
ein, wo die Städte mit wenigen Ausnahmen gegen Rom sich
erhoben und ihre Zuzüge sandten, während sie zugleich gal-
lische Söldnerschaaren anwarben. Die Römer hinderten den
Abmarsch nicht; sie nahmen in diesem Sommer einige feste
Plätze in Samnium und brachen den Einfluss der samniti-
schen Partei in Lucanien. Als man aber den kühnen und
klugen Marsch des samnitischen Heeres erfuhr, ward auch
in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheira-
thete in Cohorten formirt -- man fühlte hüben und drüben,
dass die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 jedoch ver-
ging, wie es scheint, mit Rüstungen und Märschen. Für das
folgende (459) stellten die Römer ihre beiden besten Gene-
rale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fa-
bius Rullianus an die Spitze der Armee von Etrurien, welche
mit allen in Campanien irgend entbehrlichen Truppen verstärkt
ward und wenigstens 60000 Mann, darunter über ein Drittel
römische Vollbürger zählte; ausserdem ward eine zwiefache
Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den
Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Verbündeten
war Umbrien, wo die Strassen aus dem gallischen, etruskischen
und sabellischen Gebiet zusammenliefen; dorthin wandten sich
die Consuln, indem sie mit der Hauptmacht an den beiden
Ufern der Tiber hinauf marschirten, während zugleich die

DIE ITALIKER GEGEN ROM.
die Lucaner wurden zum Frieden gezwungen und lucanische
Geiſseln nach Rom geführt. Das folgende Jahr konnten beide
Consuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifer-
num, sein treuer Waffengefährte Publius Decius Mus bei Male-
ventum und fünf Monate hindurch lagerten zwei römische Heere
in Feindesland. Die Ursache war, daſs die tuskischen Staaten
sich bereit zeigten mit Rom einen Sonderfrieden zu schlieſsen;
welchen abzuwenden die Samniten das Aeuſserste aufboten.
Der samnitische Feldherr Gellius Egnatius bot endlich den
Etruskern an in ihrem eigenen Lande ihnen Hülfe zu brin-
gen; und diese Zusicherung bewog den tuskischen Bundes-
rath auszuharren und noch einmal die Entscheidung der
Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstreng-
ungen um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine
bestimmt zur Vertheidigung des eigenen Gebiets, das zweite
zum Einfall in Campanien, das dritte und stärkste nach Etru-
rien; und wirklich zog im Jahre 458 das letztere, geführt
von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische
Gebiet, deren Bewohner im Einverständniſs waren, in Etrurien
ein, wo die Städte mit wenigen Ausnahmen gegen Rom sich
erhoben und ihre Zuzüge sandten, während sie zugleich gal-
lische Söldnerschaaren anwarben. Die Römer hinderten den
Abmarsch nicht; sie nahmen in diesem Sommer einige feste
Plätze in Samnium und brachen den Einfluſs der samniti-
schen Partei in Lucanien. Als man aber den kühnen und
klugen Marsch des samnitischen Heeres erfuhr, ward auch
in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheira-
thete in Cohorten formirt — man fühlte hüben und drüben,
daſs die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 jedoch ver-
ging, wie es scheint, mit Rüstungen und Märschen. Für das
folgende (459) stellten die Römer ihre beiden besten Gene-
rale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fa-
bius Rullianus an die Spitze der Armee von Etrurien, welche
mit allen in Campanien irgend entbehrlichen Truppen verstärkt
ward und wenigstens 60000 Mann, darunter über ein Drittel
römische Vollbürger zählte; auſserdem ward eine zwiefache
Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den
Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Verbündeten
war Umbrien, wo die Straſsen aus dem gallischen, etruskischen
und sabellischen Gebiet zusammenliefen; dorthin wandten sich
die Consuln, indem sie mit der Hauptmacht an den beiden
Ufern der Tiber hinauf marschirten, während zugleich die

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[247/0261] DIE ITALIKER GEGEN ROM. die Lucaner wurden zum Frieden gezwungen und lucanische Geiſseln nach Rom geführt. Das folgende Jahr konnten beide Consuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifer- num, sein treuer Waffengefährte Publius Decius Mus bei Male- ventum und fünf Monate hindurch lagerten zwei römische Heere in Feindesland. Die Ursache war, daſs die tuskischen Staaten sich bereit zeigten mit Rom einen Sonderfrieden zu schlieſsen; welchen abzuwenden die Samniten das Aeuſserste aufboten. Der samnitische Feldherr Gellius Egnatius bot endlich den Etruskern an in ihrem eigenen Lande ihnen Hülfe zu brin- gen; und diese Zusicherung bewog den tuskischen Bundes- rath auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstreng- ungen um drei Heere zugleich ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Vertheidigung des eigenen Gebiets, das zweite zum Einfall in Campanien, das dritte und stärkste nach Etru- rien; und wirklich zog im Jahre 458 das letztere, geführt von Egnatius selbst, durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverständniſs waren, in Etrurien ein, wo die Städte mit wenigen Ausnahmen gegen Rom sich erhoben und ihre Zuzüge sandten, während sie zugleich gal- lische Söldnerschaaren anwarben. Die Römer hinderten den Abmarsch nicht; sie nahmen in diesem Sommer einige feste Plätze in Samnium und brachen den Einfluſs der samniti- schen Partei in Lucanien. Als man aber den kühnen und klugen Marsch des samnitischen Heeres erfuhr, ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und Verheira- thete in Cohorten formirt — man fühlte hüben und drüben, daſs die Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 jedoch ver- ging, wie es scheint, mit Rüstungen und Märschen. Für das folgende (459) stellten die Römer ihre beiden besten Gene- rale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fa- bius Rullianus an die Spitze der Armee von Etrurien, welche mit allen in Campanien irgend entbehrlichen Truppen verstärkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter über ein Drittel römische Vollbürger zählte; auſserdem ward eine zwiefache Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der Hauptstadt. Der Sammelplatz der Verbündeten war Umbrien, wo die Straſsen aus dem gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen; dorthin wandten sich die Consuln, indem sie mit der Hauptmacht an den beiden Ufern der Tiber hinauf marschirten, während zugleich die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/261>, abgerufen am 22.11.2024.