beiten verstanden. Zum Renommiren dient alles, selbst die Wunde, die oft hernach erweitert wird der breiteren Narbe zu Liebe. Gewöhnlich fechten sie zu Fuss, einzelne Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen in ältester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittel- alters; am meisten die den Römern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes, zu dem sie nicht bloss im Kriege den einzelnen Feind herausforderten, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Geberden verhöhnt hatten; auch im Frieden fochten sie gegen einander auf Leben und Tod in glänzender Rüstung, und dass die Zechgelage hernach nicht fehlten, ver- steht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kämpfen und Heldenthaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Frühling und nirgends ist ein grosser Staat, nirgends eine eigene Cultur von ihnen geschaffen worden.
So schildern uns die Alten diese Nation; über ihre Her- kunft lässt sich nur muthmassen. Demselben Schoss ent- sprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und ger- manischen Völkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem östlichen Mutterland in Europa eingerückt, wo sie in frühester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begründeten, gegen Norden hin sich übersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Süden die Pyrenäen überschreitend und mit den iberischen Völkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indess führte ihre erste grosse Wan- derung sie vorbei und erst von den westlichen Ländern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Züge, die sie über die Alpen und den Haemus, ja über den Bosporus führten und durch die sie das Schrek- ken der sämmtlichen civilisirten Nationen des Alterthums durch manche Jahrhunderte geworden sind, bis Cäsars Siege und die von Augustus geordnete Grenzvertheidigung ihre Macht brachen. -- Die einheimische Wandersage, die hauptsächlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen Zügen folgender- massen *. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze
* Die Verknüpfung der Wanderung des Bellovesus mit der Gründung
Röm. Gesch. I. 14
STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
beiten verstanden. Zum Renommiren dient alles, selbst die Wunde, die oft hernach erweitert wird der breiteren Narbe zu Liebe. Gewöhnlich fechten sie zu Fuſs, einzelne Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen in ältester Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittel- alters; am meisten die den Römern und Griechen fremde Sitte des Zweikampfes, zu dem sie nicht bloſs im Kriege den einzelnen Feind herausforderten, nachdem sie ihn zuvor mit Worten und Geberden verhöhnt hatten; auch im Frieden fochten sie gegen einander auf Leben und Tod in glänzender Rüstung, und daſs die Zechgelage hernach nicht fehlten, ver- steht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kämpfen und Heldenthaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie der Schnee im Frühling und nirgends ist ein groſser Staat, nirgends eine eigene Cultur von ihnen geschaffen worden.
So schildern uns die Alten diese Nation; über ihre Her- kunft läſst sich nur muthmaſsen. Demselben Schoſs ent- sprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und ger- manischen Völkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne Zweifel gleich diesen aus dem östlichen Mutterland in Europa eingerückt, wo sie in frühester Zeit das Westmeer erreichten und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begründeten, gegen Norden hin sich übersiedelnd auf die britannischen Inseln, gegen Süden die Pyrenäen überschreitend und mit den iberischen Völkerschaften um den Besitz der Halbinsel ringend. An den Alpen indeſs führte ihre erste groſse Wan- derung sie vorbei und erst von den westlichen Ländern aus begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter Richtung jene Züge, die sie über die Alpen und den Haemus, ja über den Bosporus führten und durch die sie das Schrek- ken der sämmtlichen civilisirten Nationen des Alterthums durch manche Jahrhunderte geworden sind, bis Cäsars Siege und die von Augustus geordnete Grenzvertheidigung ihre Macht brachen. — Die einheimische Wandersage, die hauptsächlich Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen Zügen folgender- maſsen *. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze
* Die Verknüpfung der Wanderung des Bellovesus mit der Gründung
Röm. Gesch. I. 14
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STURZ DER ETRUSKISCHEN MACHT. DIE KELTEN.
beiten verstanden. Zum Renommiren dient alles, selbst
die Wunde, die oft hernach erweitert wird der breiteren
Narbe zu Liebe. Gewöhnlich fechten sie zu Fuſs, einzelne
Schwärme aber auch zu Pferde, wo dann jedem Freien
zwei gleichfalls berittene Knappen folgen; Streitwagen finden
sich früh wie bei den Libyern und den Hellenen in ältester
Zeit. Mancher Zug erinnert an das Ritterwesen des Mittel-
alters; am meisten die den Römern und Griechen fremde
Sitte des Zweikampfes, zu dem sie nicht bloſs im Kriege den
einzelnen Feind herausforderten, nachdem sie ihn zuvor mit
Worten und Geberden verhöhnt hatten; auch im Frieden
fochten sie gegen einander auf Leben und Tod in glänzender
Rüstung, und daſs die Zechgelage hernach nicht fehlten, ver-
steht sich. So führten sie unter eigener oder fremder Fahne
ein unstetes Soldatenleben, das sie von Irland und Spanien
bis nach Kleinasien zerstreute unter steten Kämpfen und
Heldenthaten; aber was sie auch begannen, es zerrann wie
der Schnee im Frühling und nirgends ist ein groſser Staat,
nirgends eine eigene Cultur von ihnen geschaffen worden.
So schildern uns die Alten diese Nation; über ihre Her-
kunft läſst sich nur muthmaſsen. Demselben Schoſs ent-
sprungen, aus dem auch die hellenischen, italischen und ger-
manischen Völkerschaften hervorgingen, sind die Kelten ohne
Zweifel gleich diesen aus dem östlichen Mutterland in Europa
eingerückt, wo sie in frühester Zeit das Westmeer erreichten
und in dem heutigen Frankreich ihre Hauptsitze begründeten,
gegen Norden hin sich übersiedelnd auf die britannischen
Inseln, gegen Süden die Pyrenäen überschreitend und mit
den iberischen Völkerschaften um den Besitz der Halbinsel
ringend. An den Alpen indeſs führte ihre erste groſse Wan-
derung sie vorbei und erst von den westlichen Ländern aus
begannen sie in kleineren Massen und in entgegengesetzter
Richtung jene Züge, die sie über die Alpen und den Haemus,
ja über den Bosporus führten und durch die sie das Schrek-
ken der sämmtlichen civilisirten Nationen des Alterthums durch
manche Jahrhunderte geworden sind, bis Cäsars Siege und
die von Augustus geordnete Grenzvertheidigung ihre Macht
brachen. — Die einheimische Wandersage, die hauptsächlich
Livius uns erhalten hat, berichtet von diesen Zügen folgender-
maſsen *. Die gallische Eidgenossenschaft, an deren Spitze
* Die Verknüpfung der Wanderung des Bellovesus mit der Gründung
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/223>, abgerufen am 19.07.2024.
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